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Gesundheit: Parapsychologie: Der sechste Un-Sinn

Ihre Berufsbezeichnung beschwört unweigerlich Assoziationen zu Poltergeistern, Seancen mit Toten und dem gabelbiegenden Uri Geller herauf. Doch statt mit Geisterjagd und Tischrücken geben sich Parapsychologen heutzutage nur noch mit Kartenraten und Beeinflussungsversuchen mit zufallsgesteuerten Lämpchen ab.

Ihre Berufsbezeichnung beschwört unweigerlich Assoziationen zu Poltergeistern, Seancen mit Toten und dem gabelbiegenden Uri Geller herauf. Doch statt mit Geisterjagd und Tischrücken geben sich Parapsychologen heutzutage nur noch mit Kartenraten und Beeinflussungsversuchen mit zufallsgesteuerten Lämpchen ab. Aber auch wenn Presseberichte ein anderes Bild vermitteln, bleibt die Fahndung nach dem Außersinnlichen weiterhin ergebnislos: Selbst ein gerüttelt Maß an statistischer Mathematik und Methodenkritik hat keinen Beweis für die Realität von Parapsychologie (Psi) erbracht.

Der 1991 verstorbene Parapsychologe Hans Bender machte noch Schlagzeilen, indem er in Zahnarztpraxen nichtexistente Poltergeister jagte. Doch 1994 brachte die bis dato eher windige Disziplin einen entscheidenden Schritt in die Seriosität zustande, als der Psychologe Daryl Bem von der Cornell-Universität und sein britischer Kollege Charles Honorton von der Universität vonEdinburgh in einem amerikanischen Fachblatt die Ergebnisse ihrer mehrjährigen "Ganzfeld-Studien" zusammentrugen. Mit knallharten statistischen Analysen hatten die beiden Gelehrten scheinbar den Beweis für "Gedankenlesen" erbracht.

An einem Ganzfeld-Experiment nehmen stets zwei Versuchspersonen teil: der Empfänger und der Sender. Der Empfänger sitzt in einem Liegestuhl und hat vor jedem Auge die Hälfte eines Pingpong-Balls. Weil darauf rotes Licht fällt, sieht er nur ein gleichmäßiges, rotes Feld - das Ganzfeld. Aus seinem Kopfhörer dringt monotones Rauschen. Die normale Wahrnehmung wird dadurch ausgeschaltet. Parapsychologen glauben, dass so Gedankenlesen am besten funktioniert, weil der Empfänger die Signale außersinnlicher Wahrnehmung, die sonst überdeckt werden, leichter aufnehmen kann. In einem anderen Raum sitzt der Sender.

Gesendete Bilder erraten

Eine halbe Stunde lang konzentriert er sich auf ein bestimmtes Bild vor seinen Augen. Nach einer halben Stunde muss der Empfänger das "gesendete" Bild aus einer Serie von insgesamt vier Bildern erraten. Die Chance für einen zufälligen Treffer liegt in diesem Fall also bei 25 Prozent. Honorton und Bem machten mit 240 Versuchspersonen 354 Experimente, die besonders strengen Regeln unterlagen: Der Versuchsleiter sollte nicht manipulieren können, das entscheidende Bild nicht einmal kennen. Ein Computer steuerte das Experiment automatisch, weshalb der Forscher nun vom Autoganzfeld sprach. Der Rechner wählte per Zufallsgenerator das Bild für den Sender aus und präsentierte dem Empfänger hinterher die von seinem Elektronengehirn ausgewürfelten Kontrollbilder. Sender und Empfänger saßen in schalldichten Kabinen.

Trotzdem lagen die Probanden in 35 Prozent der Fälle mit ihrem Urteil richtig - ein Ergebnis, das einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Milliarde entsprach und als gewaltiger Schub für die Parapsychologie gewertet wurde. Allerdings fielen dem skeptischen Begutachter Ray Hyman schon damals ein paar Unstimmigkeiten auf: Die Erfolgsquote wurde alleine beim Erraten von Filmen, nicht beim Erraten von Bildern erreicht. Und die Teilnehmer rieten treffsicherer, wenn der Versuchsleiter sie beim Wählen etwas anfeuerte.

Im vergangenen Jahr sorgte dann die Psychologin Julie Milton von der britischen Universität von Hertfordshire im gleichen Fachblatt mit ihrer aktuellen Metaanalyse für Sprengstoff in der Zunft. 30 neue Ganzfeld-Studien, die höchsten methodischen Ansprüchen genügten, hatte die Psychologin statistisch ausgewertet. Und nun wichen die Ergebnisse überhaupt nicht mehr signifikant vom Zufall ab: Das Flaggschiff-Projekt der Parapsychologie, so die Quintessenz der Studie, müsse als gescheitert gelten.

Ähnlich ernüchternd gestaltet sich die Psychokinese-Forschung. Da sollten Testpersonen vom Computer zufallsgenerierte Ereignisse in der Art von "Kopf oder Zahl", "Licht an oder Licht aus" durch die Konzentration des Geistes dergestalt beeinflussen, dass ein Ereignis überzufällig häufig auftritt. Tatsächlich warteten Forscher vom Princeton-Engineering-Anomalies-Research-Institut mit Fällen auf, in denen der von einem "Medium" gelenkte Computer mehr Nullen oder Einsen ausspuckte, als durch Zufall zu erwarten war. Doch als man am Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene den Effekt wiederholen wollte, blieb die Macht des Geistes über den Zufall völlig aus.

"Erfolgreiche" Psi-Experimente bringen stets nur relativ schwache Anomalien mit Trefferquoten von wenigen Promille Abweichungen vom erwarteten Zufallswert zum Vorschein, gibt der amerikanische Psychologe Geoffrey Dean zu bedenken. "Da Psi - wenn überhaupt - nur als leichte Abweichung vom Zufall existiert, und solche Abweichungen viele andere, nicht außersinnliche Ursachen haben können, sind sehr strenge methodische Kontrollen nötig."

Winzige Fehler wirken sich aus

Wenn man sehr große Stichproben verwendet, ergeben sich manchmal messbare, aber sehr geringfügige Effekte. "Es bedarf aber nur winziger Fehler, Ungenauigkeiten und Voreingenommenheiten, um solche kleinen Effekte künstlich herbeizuführen." Der Psychologe Dean zweifelt daran, dass die Parapsychologie die nötige Raffinesse besitzt, um solche Fehler auszuschließen.

Möglicherweise landen die "Medien" aber in manchen Studien nur deshalb mehr Treffer, als vom Zufall zu erwarten ist, weil der Mensch Schwierigkeiten im Umgang mit dem Zufall hat. Nach einer Überlegung von Bertrand Russell müssten wir eigentlich immer vor Verblüffung erblassen, wenn wir das Nummernschild eines vorbeifahrenden Autos erblicken. Die Wahrscheinlichkeit für eine Begegnung mit genau dieser Kombination ist nämlich stets verschwindend klein. In Wirklichkeit frappiert uns aber höchstens eine ungewöhnliche Ziffernfolge wie 77777, während eine banale Reihe wie 47135 niemand stutzig macht, bemerkt der Psychologe Peter Brugger von der Universitätsklinik Zürich. Statistisch haben jedoch beide Kombinationen die gleiche Wahrscheinlichkeit.

Menschen sind denkbar schlechte "Zufallsgeneratoren". Das beweisen die Experimente mit "subjektiven Zufallsfolgen". "Haben Versuchspersonen bestimmte Dinge (Zahlen, Symbole, Karten) in einer zufälligen Reihenfolge zu nennen oder anzuordnen, gelingt ihnen dies nicht", sagt der Psi-Kritiker Brugger. Aus Angst vor Regelmäßigkeit vermeiden sie Wiederholungen, obwohl diese in "echten" Zufallsfolgen immer wieder vorkommen.

In vielen parapsychologischen Experimenten konzentrieren sich "Sender" auf bestimmte, zufällige Folgen (etwa von Karten), welche die "Empfänger" mit dem sechsten Sinn erspüren müssen. Die Ergebnisse liegen nun de facto häufig (etwas) über dem Zufallsniveau (bloßes Raten). Aber auch ein Ergebnis unter den statistischen Erwartungen wird mit einer gewissen Logik als Indiz für paranormale Einflüsse angesehen. Da es dem "Medium" in der Regel dämmert, dass die Zielfolge keine bestimmte Systematik besitzt, sondern "ganz zufällig" angeordnet ist, wird es mehr oder weniger bewusst versuchen, die einzelnen Symbole ebenfalls zufällig zu verknüpfen. Dabei unterlaufen ihm jedoch die gleichen Verzerrungen, die man von den "subjektiven Zufallsfolgen" kennt.

Es gibt keinen perfekten Zufallsgenerator - egal ob die Zielsequenzen durch Mischen von Karten, Willkür des Computers oder gar durch Ablesen von Quantensprüngen ermittelt wurden. In den Kombinationen findet sich häufig ein ähnlicher "Drall" wie in den Köpfen der Menschen. Sie enthalten "Musik statt Rauschen". Wenn die gesendeten und die empfangenen Sequenzen nun aber systematisch von der statistischen Wahrscheinlichkeit abweichen, müssen die Ergebnisse über (oder unter) der Zufallserwartung liegen. Dann könnte man die Psi-Treffer als Scheinresultat abtun.

Es hat sich tatsächlich herausgestellt, dass die Trefferquote langsam den Bach hinuntergeht, wenn man sorgfältiger austarierte Zufallsfolgen verwendet. Parapsychologen halten sich oft daran fest, dass bestimmte Persönlichkeiten mehr Treffer erzielen als andere. Gläubige ("Schafe") treffen häufiger ins Schwarze als Nihilisten ("Ziegen"). Das liegt aber nach Bruggers Erkenntnissen nur daran, dass "Schafe" besonders schiefe Vorstellungen vom Zufall haben - und besonders verzerrte Zufallsreihen produzieren.

Die gravierendste Frage aber ist die nach der Natur der Telepathie: "Es gibt nur eine negative Definition", bemängelt der Kritiker Ray Hyman. "Wenn wir alles Normale ausschließen und trotzdem etwas übrig bleibt, dann soll das Telepathie sein." Zwar kursieren Thesen und Theorien, die etwa quantenmechanische Effekte oder die "Modifikation der Wahrscheinlichkeit alternativer Weltverläufe" behaupten. Aber keine erklärt, wie Psi wirklich funktionieren soll. Abgesehen davon sind "außersinnliche" Erklärungen auch ziemlich langweilig, bemäkelt der Londoner Zoologe Desmond Morris. Dann heißt es immer nur, die Person besitzt eben außersinnliche Fähigkeiten, und damit hat es sich. Die Suche nach Prozessen hinter den Erscheinungen wird so im Keim erstickt.

Rolf Degen

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