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Gesundheit: Reine Nervensache

Die Entzündung ist ein universeller Abwehrreflex des Körpers – auch das Gehirn spielt dabei eine wichtige Rolle

Immer dann, wenn Gewebe durch Erreger, Verletzung, Gift oder verminderte Durchblutung geschädigt wird, antwortet der Körper mit einem stereotypen Reaktionsmuster: der Entzündung. Die Entzündungsreaktion ist nicht nur einer der elementarsten körpereigenen Mechanismen, sie ist auch eines der ältesten bekannten medizinischen Phänomene. Bereits im Jahr 40 definierte der griechische Heilkundler Celsus die charakteristischen Merkmale: rubor (Röte), calor (Überwärmung), dolor (Schmerz) und tumor (Schwellung). Diese vier Symptome sind jedem geläufig, der sich einmal in den Finger geschnitten hat. Sie sind allerdings nur die äußerlich sichtbaren Zeichen eines ungemein komplexen Vorgangs, an dem eine Vielzahl von Zellen, löslichen Faktoren, Botenstoffen und Enzymen beteiligt sind.

Wenn ein Gewebe – wo auch immer – verletzt oder geschädigt wird, ist es für den Körper essenziell zu wissen, ob auch Krankheitserreger eingedrungen sind. Haben sich an einer Stelle Mikroben eingeschlichen, so muss der Körper rasch klären, ob auch Gewebe verletzt wurde. Da eine Infektion immer das bedrohlichere der beiden möglichen Ereignisse ist, werden Krankheitserreger mit höchster Priorität bekämpft.

Kühl kalkulierte Kollateralschäden

Dazu brauchen die übergeordneten Steuermechanismen schnell eindeutige Signale über Lokalisation und Art der Schädigung – so wie die Feuerwehrzentrale Informationen über Ort und Ursache des Feuers benötigt. Und ähnlich wie bei einem Feuer werden erst einmal alle verfügbaren Kräfte mobilisiert, fährt der Körper bei einer Infektion die Gegenmaßnahmen schnell hoch. Dabei werden Kollateralschäden in Kauf genommen, wenn etwa entzündungsfördernde Substanzen im Übermaß produziert werden, die ihrerseits bislang gesundes Gewebe zerstören.

Aus der Taktik der maximalen Kräftemobilisierung folgt, dass die Entzündungsreaktion so rasch wie möglich wieder heruntergefahren werden muss, wenn das Ziel – Beseitigung von Erregern oder Reparatur der Verletzung – erreicht wurde. Um solche diffizile Entscheidungen zu treffen, gibt es – ähnlich der Steuerung technischer Prozesse, etwa eines Atomreaktors – zahlreiche Kontrollpunkte, an denen Informationen über den Ist-Zustand abgefragt werden. Und es sind just diese Kontrollpunkte, die die Entzündungsforschung zunehmend beschäftigen.

So ist seit kurzem bekannt, dass ein Zweig des autonomen Nervensystems, die parasympathischen Nervenfasern, bei Entzündungsreaktionen beteiligt sind. Besonders der Vagusnerv, der mit allen inneren Organen, dem Rückenmark und vermutlich sogar den Gelenken vernetzt ist, hat eine wesentliche Funktion bei der Steuerung von Entzündungsreaktionen. Über jene Fasern, die von den Organen in das Gehirn laufen, wird der Nucleus tractus solitarius, eine wichtige Schaltzentrale im Gehirn, über Zeitpunkt und Ort einer Gewebeschädigung umgehend informiert. Die in die Gegenrichtung laufenden Nervenfasern sorgen dagegen dafür, dass eine Entzündung abgebremst wird, sobald einer der Kontrollpunkte das entsprechende Signal gibt.

Interessanterweise läuft der Bremsvorgang über einen Botenstoff, mit dem sonst nur die parasympathischen Nervenzellen miteinander kommunizieren, das Acetylcholin. Wie Forschungen ergeben haben, besitzen Makrophagen (Immunzellen, die von im Blut zirkulierenden weißen Blutkörperchen, den Monozyten, abstammen) Andockstellen für just diesen Neurotransmitter.

Werden diese Andockstellen, Rezeptoren genannt, durch von Vagus-Nervenfasern freigesetztes Acetylcholin blockiert, hören die Immunzellen abrupt auf, Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) zu produzieren. Dies ist eine der potentesten entzündungsfördernden Substanzen, die der Körper herstellen kann. Da Makrophagen und TNF überall dort zu finden sind, wo eine Entzündung abläuft, und der Vagusnerv über feine Verästelungen nahezu alle Körperregionen erreicht, erscheint die Blockade durch Acetylcholin als quasi universelle Methode, um die TNF-Produktion als Motor der Entzündung abzuschalten.

Die Erkenntnisse über den „Entzündungsreflex“ ermöglichen neue Ansätze in der Behandlung von zahlreichen Krankheiten, die durch eine überschießende Entzündungsreaktion bedingt sind. Das sind vor allem Autoimmunerkrankungen wie das Nervenleiden Multiple Sklerose. Bei ihnen richtet sich das Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe.

So hat sich das Medikament CNI-1493 in ersten Studien bei der Crohnschen Krankheit als wirksam erwiesen (eine Autoimmunerkrankung des Dünndarms, die durch eine überschießende Freisetzung von TNF in der Darmwand verursacht wird). CNI-1493 ist eine Substanz, die besonders auf das parasympathische Nervensystem wirkt. Weitere Medikamente, die im Gehirn gezielt die Neuronen des Vagusnerv „anfeuern“, werden in Tiermodellen von anderen Autoimmunerkrankungen untersucht.

Nikotin gegen Darmleiden

Andererseits ist aus der neurologischen Forschung eine ganze Palette von Substanzen bekannt, die Zellrezeptoren für Acetylcholin besetzen und so als Aktivatoren wirken oder Enzyme wie die Acetylcholinesterase blockieren, die die Transmittersubstanz rasch abbauen (und somit eine Daueraktivierung der parasympathischen Nerven-Kontaktstellen verhindern). Einer der wirksamsten Acetylcholin-Unterstützer ist Nikotin. Wird Nikotin über ein Pflaster kontinuierlich freigesetzt, kann es die Haut durchdringen und sich an die Acetylcholin-Andockstellen der Makrophagen heften. Eine erste Studie bei Patienten mit einer schubweise verlaufenden Entzündung des Dickdarms zeigte, dass durch Nikotinpflaster die Intensität der Darmentzündung reduziert werden kann.

Denkbar ist auch, den Vagusnerv gezielt elektrisch zu stimulieren, etwa über einen implantierten Minisender, wie er zur Behandlung der Epilepsie eingesetzt wird. Aber auch alternative Methoden bieten sich an, um eine überschießende Entzündungsreaktion über den Vagus-Nerv abzubremsen. Obwohl seine Fasern zum autonomen Nervensystem gehören, lassen sie sich durch übergeordnete Zentren in der Gehirnrinde beeinflussen. So kann man durch eine Technik namens „Biofeedback“ lernen, Herzschlag, Blutdruck und Darmaktivität zu beeinflussen – alles Funktionen, die durch das autonome Nervensystem gesteuert werden und deshalb als durch den Willen unbeeinflussbar galten. Auch Akupunktur, Hypnose, ja sogar Meditation sind Methoden, mit denen der Vagus-Nerv gesteuert werden kann.

Es ist also denkbar, dass in Zukunft pharmakologische, elektrische und mentale Methoden gleichzeitig eingesetzt werden, wann immer im Körper eine überschießende Entzündungsreaktion für einen Krankheitsprozess verantwortlich ist. Der Patient würde dann nicht nur ein Medikament bekommen, sondern auch ein Video oder eine CD mit Instruktionen zum Erlernen von mentalen Techniken mit nach Hause nehmen.

Hermann Feldmeier

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