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Gesundheit: Seltene Bücher und Professorenphotos gammeln in der Raritäten-Bibliothek der HU besseren Zeiten entgegen

Die Damen trugen beim Empfang schwere Röcke aus kostbarem Material. Mit ernster Würde schritten die Gelehrten durch die Räume der Alma mater.

Die Damen trugen beim Empfang schwere Röcke aus kostbarem Material. Mit ernster Würde schritten die Gelehrten durch die Räume der Alma mater. Damals, anno 1910, feierte die Berliner Universität den 100. Jahrestag ihrer Gründung. Die Postkarte zeigt, wie sich "Unsere Kaiserfamilie bei der Universitätsfeier" die Ehre gab. Das Bild ist eine Rarität. Daher steht das Bändchen mit der Sammlung historischer Postkarten auch in der sogenannten Rara-Kammer der Universitätsbibliothek (UB) in Berlin-Mitte.

Rara wird als Kennung bundesweit verwendet und steht für "Rarissima". Unter diese Kategorie fallen seltene Erstausgaben, alte und kostbare Drucke, Bücher mit kunstvollen Einbänden oder Illustrationen und ähnliches mehr. In der Rara-Kammer der UB der Humboldt-Universität steht die Dissertation von Hegel genauso wie Modezeitschriften aus dem 18. Jahrhundert und eine vollständige Kant-Ausgabe aus dem Bruno-Cassirer-Verlag. Nach Hause dürfen diese Werke nicht mitgenommen werden. "Rara bedeutet aber nicht, dass kein Leser an die Bände herankommt", sagt die Bibliothekarin Elke-Barbara Peschke. Die meisten Schätze kann man im Lesesaal einsehen, dürfen aber nicht kopiert werden. Das helle Licht und das starke Aufbiegen des Bandes würden dem kostbaren Stück schaden. Ein großer Teil der Rara-Bestände befindet sich in einem vierzig Quadratmeter großen Raum in einer der oberen Etagen. So gut wie möglich werden die rund 7 000 Publikationen dort vor Sonnenlicht und Bauschmutz geschützt - ein Teil der UB wird gerade saniert.

Die Schmuddelecke

Elke-Barbara Peschke, die als Referatsleiterin für die "Historischen Buchbestände" zuständig ist, zieht vorsichtig mehrere dicke Bände aus einem Regal. Diese Zeitschriften erschienen um die Jahrhundertwende und trugen so harmlose Titel wie "Freundschaftsblatt" und "Der Eigene". Doch dahinter verbergen sich die ersten Schwulen- und Lesbenmagazine. Hin und wieder findet man Abbildungen nackter Menschen, dazwischen lange Essays. Da Publikationen, die wie diese die Sexualität betrafen, seinerzeit als "minderwertige Literatur" klassifiziert wurden, verzichteten viele Büchereien auf ihre Anschaffung. Die Universitätsbibliothek besitzt trotzdem einige der selten gewordenen Ausgaben. "Wir hatten das Berliner Pflichtexemplar", erklärt Peschke. Selbst, wenn die Polizei die Hefte wegen ihres vermeintlich anstößigen Charakters anderswo beschlagnahmte, verblieb eines im Magazin der UB. Manche erhielten aber damals den handschriftlichen Vermerk "Darf nicht entliehen werden".

Erst in den sechziger Jahren begannen die Mitarbeiter, Seltenheiten in eine besondere Kammer einzuordnen. Doch schon früher wurden einzelne Werke mit Vermerken als wertvoll ausgewiesen. Ein Großteil der Schätze dokumentiert die Geschichte der Universität. In der "Rara"-Kammer stehen alte Reglements, die früher das Leben an der Alma mater in die rechten Bahnen lenkten, und ein "Berliner Universitäts-Kalender auf das Jahr 1813". In diesem schmalen Buch findet man Informationen über Promotionen, akademische Feierlichkeiten und Beförderungen. Auch moderne Vorlesungsverzeichnisse fallen unter die "Rara"-Kategorie. In hundert Jahren, wenn Studenten und Wissenschaftler ihre Exemplare längst weggeworfen haben werden, geben sie dann über die Entwicklung der Uni Aufschluss. Auch auf die Sammlung historischer Berlin-Bücher legt die UB Wert, ist die Geschichte der Stadt doch eng mit der Uni verknüpft. Die Bücherei besitzt etliche sogenannte SMAD-Drucke, Befehle der Sowjetischen Militäradministration nach 1945.

Wenn ein Buch besonders stark angegriffen ist, wird es zum Schutz vor Staub und Licht in säurefreies Papier eingepackt und kommt nicht mehr in den Lesesaal. Der interessierte Student kann aber auf Mikrofiches zurückgreifen. Beim Gang durch die Rara-Kammer fallen einige besonders helle Bände auf, die gerade die regelmäßige Reinigung hinter sich haben. Dafür wird die Publikation mit einem Pinsel oder Tuch vorsichtig entstaubt, der Ledereinband mit einer Speziallösung eingerieben.

Die Rara-Sammlung der UB ist weit größer als der Inhalt der Rara-Kammer. Sie umfasst seltene Dissertationen, Manuskripte von Vorlesungen, Flugblätter von der 1848er Revolution, selbst den wissenschaftlichen Nachlass einzelner Professoren. Ein Teil dieser Schätze wurde jahrzehntelang ungeordnet aufbewahrt und fast vergessen. Erst jetzt kümmern sich Mitarbeiter um die wertvollen Blätter und arbeiten sie in den Katalog ein. Doch für diese zum Teil sehr seltenen Stücke ist der Zustand des Hauses nicht gerade zuträglich: An vielen Stellen rieselt Putz von der Decke, im Magazin ist es zu trocken und zu warm. "Wir brauchen dringend Geld, um die Bücher zu restaurieren", sagt die Bibliothekarin Peschke.

Ausgesonderte Nazi-Literatur

Bislang fehlte es auch an Mitteln, um die ASF-Literatur - Zeitungen und Bücher aus der Nazi-Zeit - wieder in den Bestand einzuordnen. Zu DDR-Zeiten wurden diese Publikationen in die Staatsbibliothek ausgelagert, wo sich eine "Abteilung für Spezielle Forschungsliteratur" befand. An die ASF-Bücher kam nur, wer eine offizielle Genehmigung vorlegen konnte. Diesen Schein hatten zum Beispiel Historiker, die über den Zweiten Weltkrieg recherchierten. Jetzt kann man die Nazi-Schriften wieder ohne Sondererlaubnis in den Lesesaal der UB bestellen. Doch vorerst lagern sie in einem Sondermagazin. "Als sie damals aus den Regalen der UB entfernt wurden, entstanden Lücken, die in der Folgezeit zugestellt wurden", erklärt Peschke. "Es wird einige Zeit dauern, wieder die alte Aufstellungsfolge herzustellen."

Stolz geht die Bibliothekarin durch die Gänge ihres Hauses und zeigt Schätze, die anzuschauen ein ganzes Seminar in Anspruch nehmen würde. Schließlich bleibt sie vor einem grünen Aktenschrank stehen. Das triste Möbel enthält eine Kollektion, die Stoff für eine kuriose Hausarbeit im Fach Soziologie oder Kunstgeschichte bieten würde. Die UB sammelt Fotos der Professoren, die an die Alma mater berufen wurden. Da blicken würdige Gelehrte mit weißen Wallebärten von altertümlichen Daguerreotypien, halten weise Brillenträger sich an ihrem Schreibtisch fest. Ab und zu ist auch ein junger Spund mit optimistischem Gesicht zu sehen, noch seltener eine Dame. Jeder, der neu an die Humboldt-Universität kommt, wird aufgefordert, seine Aufnahme abzuliefern, erklärt Peschke. Wer dieser Bitte nachkommt, hat die Gelegenheit, mit Hegel in eine Schublade gesteckt zu werden.

Josefine Janert

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