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Gesundheit: Semesteranfang: Der Schlossdiener

Hunderte von Sonnenblumen wehen im Wind. Mittendrin steht Hans-Joachim Mengel, Professor für Politikwissenschaft an der FU, der seinen Garten liebt und dort schon morgens früh um sechs arbeitet.

Hunderte von Sonnenblumen wehen im Wind. Mittendrin steht Hans-Joachim Mengel, Professor für Politikwissenschaft an der FU, der seinen Garten liebt und dort schon morgens früh um sechs arbeitet. Doch liegt der Garten nicht in Dahlem, und der Professor ist kein gewöhnlicher: Wir befinden uns eine Viertelstunde entfernt von Polen, auf Schloss Wartin nahe Prenzlau, wo die Luft salzig vom Stettiner Haff herüber bläst. Der Professor und seine Seminare auf dem Schloss sind berühmt-berüchtigt. Selbstversorgung in Wartin, Kochen und Diskussionsrunden im Garten sind ein Geheimtipp für alle, die den persönlichen Kontakt in der anonymen Uni vermissen. Mengels Studienprojekt Europäische Akademie kennen nur die Studierenden, die die Plakate an seiner Bürotür in der Uni lesen. Wer sich anmeldet, muss vorher einen Essay abgeben.

Zum Thema Online Spezial: Uni-Start Mengel empfängt mit englischem Charme: "Trinken Sie Tee? Ich hoffe, die Musik ist nicht zu laut." Im Hintergrund läuft Klassikradio. Auf dem Tisch stehen sich eine riesige Teekanne und die zierliche Büste Voltaires gegenüber. Mengel schwärmt seit seiner Studienzeit von Paris.

Kamine vom Prenzlberg

Auf die vielen Gästezimmer für Studierende ist der Professor bei aller Zurückhaltung doch ein wenig stolz. Gern zeigt er jedes einzeln - jedes anders eingerichtet: "Das sind Abrisskamine aus dem Prenzlberg, die Möbel stammen vom Trödel." In der unteren Schlossetage finden ständig Ausstellungen junger und unbekannter Künstler statt. Was treibt den beliebten Professor mit dem wehenden Haar und dem angelsächsischen Outfit in die uckermärkische Einöde?

Angefangen hatte es einst vor vielen Jahren in Yale. Dort macht Mengel den juristischen Abschluss "Master of Law" an der Yale Law School. Einmal ist er auf Wohnungssuche. Vergeblich bemüht er sich um ein Zimmer. Da bietet der bekannte Politikwissenschaftler Karl Deutsch seine große Wohnung an. Mengel und Kommilitonen sollen sie mieten: "Sie werden sehen, in schöner Umgebung lässt es sich besser lernen", sagt der Gelehrte. Bei Mengel macht es klick, ein Schlüsselerlebnis: Deutsch hat recht.

Lange später, Ende der neunziger Jahre, will Mengel als Dekan des Otto-Suhr-Instituts der FU den Geist vom gemeinsamen Leben und Lernen aus angelsächsischen Colleges verbreiten. "Aber das war nicht so einfach, wie ich anfangs dachte", sagt Mengel nachdenklich. Vorausblickend versuchte er damals schon, internationale Studienabschlüsse und Austauschprogramme einzuführen, stieß aber auf Widerstand im Kollegium.

Unbequem seien seine enthusiastischen Reformvorstellungen schon gewesen, gibt er heute schmunzelnd zu. Einmal verglich er den "desolaten Zustand" universitärer Grünanlagen mit einem "Autobahnmittelstreifen" - in einer Rede vor dem Präsidium der FU. Im Rückblick schaut der Professor aus dem Fenster des Schlosses, überlegt lange bevor er spricht: "Mein Standpunkt ist immer noch der selbe. Zur geistigen Entwicklung gehört eben auch Ästhetik. Mir ist es immer ein Rätsel geblieben, warum der Suche nach Wahrheit in Deutschland eine gewisse Muffigkeit anhaftet." In seiner Zeit als Dekan aber scheiterten Mengels Reformversuche, seine Gesundheit litt: "Nach einem Jahr holten sie mich mit Blaulicht in die Klinik." Zeit für einen persönlichen Aufbruch.

Mengel zog hinaus in die Uckermark und gründete dort sein eigenes Projekt: Die Europäische Akademie, Treffpunkt für Studierende der FU, Greifswald oder Yale und polnischer Universitäten. Zur Verwirklichung seines Lebenstraums warb der Unermüdliche private Investoren wie die Robert-Bosch-Stiftung und die Deutsche Stiftung Umweltschutz. Mit Freunden gründete er einen gemeinnützigen Verein und übernahm das heruntergekommene Schloss in Erbbaupacht von der Gemeinde Wartin.

Heute erstrahlen die alten Barockgemäuer wieder in "fast toskanischer Schönheit" (Mengel). Pastelgelb und rot schimmern die Flure, auf denen Mengels Golden Retriever "Apoll" entlang fegt. Roh angeschliffene Dielen schaffen eine spartanische Atmosphäre, offenbar ist Bescheidenheit ein Charakterzug des Professors: "Bitte kein Foto von mir auf der Treppe als Schlossherr, bei all der Arbeit fühle ich mich eher als Schlossdiener." Tatsächlich bewohnt der 54-Jährige nur zwei Räume des riesigen Gebäudes. Sein Bad auf dem Schloss ist öffentlich - des Platzmangels wegen.

Wo die Ministerin jätet

Ganz verlegen wird der Professor wieder, kommt die Rede auf seine zahlreichen Gäste aus Literatur, Politik und Wirtschaft, die in Wartin ein und aus gehen. Über ihre Namen möchte er lieber nicht reden, sich nicht mit Prominenz brüsten. Botho Strauss wurde aber schon in Wartin gesichtet. Mengel erzählt lieber über sein Lebenswerk, die Europäische Akademie: "Studierende und Seminarteilnehmer leben hier gratis." Dafür müssten sie selbst kochen, Holz für die Kamine im Zimmer mitbringen und im Garten helfen: "Und zwar alle, auch die Justizministerin, die hat letztes Mal die Sträucher dort drüben gejätet." Mengel hält ein Dutzdend Gänse. Zum zehnjährigen Jubiläum der Europäischen Akademie am vorigen Wochenende plünderte er den Gemüsegarten und bekochte eine 400-köpfige Besucherschar mit Hühnersuppe.

Von einer Hochterrasse über dem Sonnenblumen-Garten blickt der Professor in die uckermärkische Weite: "Ja, es war eine innere Emigration, hierher zu gehen." Aber, so fügt er hinzu, bereut habe er nichts. Da ist keine Bitterkeit, im Gegenteil. Die Europäische Akademie will Mengel in eine Stiftung umwandeln, damit sie länger lebt als er selbst. Und von der FU trennen ihn ohnehin "nur zwei Ampeln und die Autobahnabfahrt Hüttenweg." Nur im Winter zieht es den Ausreißer aus der Kälte des Schlosses in sein "kleines warmes Büro" in Dahlem. Der Schlosshund Apoll kommt mit und sitzt - zum Schreck oder Amüsement der Studierenden - auf dem Sofa.

Nicole Doerr

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