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Gesundheit: Sind Langzeitstudenten glücklicher?

Schnell heißt oberflächlich, meint Anja Schillhaneck, 22. Semester. Kurzzeitstudent Sebastian Litta will rasch in den Beruf – ein Streitgespräch

Der Berliner

Wissenschaftssenator a.D.

zu Bildung und Politik

DAS SEMESTER BEGINNT

Was macht man denn elf Jahre lang an der Uni, Frau Schillhaneck?

SCHILLHANECK: Ich habe nach dem Abi versucht, Stadt- und Regionalplanung zu studieren und das nach einem Jahr enttäuscht aufgegeben. Danach habe ich mir etwas völlig Absurdes ausgesucht: Islam- und Kulturwissenschaften. Dann habe ich irgendwann noch mal gewechselt und auf Lehramt Chemie und Englisch studiert. Das war auch nix. Seit zwölf Semestern studiere ich jetzt Erziehungswissenschaften.

LITTA: Mir wäre das viel zu lange. Ich habe sofort nach dem Abi mit Politikwissenschaft begonnen, das fand ich von Anfang an spannend. Dann ging es relativ fix. Mir war immer klar: Ich will schnell studieren aber auch intensiv.

Kann man denn schnell und intensiv studieren? Oder ist das nicht oberflächlich?

LITTA: Na klar geht beides. Ich habe schon eine ganze Menge gemacht, vieles vertieft, was mich interessiert hat. Ich war zwei Monate in Russland und ein Jahr in den USA. Ich versuche alles mitzunehmen, was mir die Uni bietet – aber in der Regelstudienzeit.

SCHILLHANECK: Moment mal. Wenn ich mich 20 Stunden in der Woche universitätspolitisch engagiere, zehn Stunden jobbe und dann noch gerade mal 20 Stunden Zeit habe, um zu studieren – dann geht das eben nicht in der Regelstudienzeit. Die ist ohnehin häufig wenig realistisch. Vorausgesetzt werden 45 Arbeitsstunden pro Woche – nur für das Studium. Wer wirklich so studiert, der schafft nichts nebenbei.

Andererseits sind die meisten Studierenden in anderen europäischen Staaten oder den USA mit 23 oder 24 Jahren fertig. Wie wollen da deutsche Absolventen konkurrieren, die im Durchschnitt 29 Jahre alt sind?

LITTA: Sicher ist das ein Problem. Wenn wir den Abschluss haben, sind die schon jahrelang im Beruf. Wer zum Beispiel bei einer internationalen Organisation arbeiten will, kann da oft nicht mithalten. Für mich war das auf jeden Fall ein Kriterium, schnell zu studieren. Mein USA-Aufenthalt hat mich da sicherlich auch beeinflusst.

SCHILLHANECK: Ich habe bis jetzt immer einen Job gefunden und das wird auch in Zukunft so sein. Daher glaube ich nicht, dass es ein Hindernis ist, wenn ich meine Diplomurkunde erst nach meinem dreißigsten Geburtstag bekomme. Außerdem finde ich diese Trennung wenig sinnvoll: im Vordergrund das Ziel Broterwerb und irgendwann danach vielleicht auch mal Engagement. Das will ich nicht.

Geht dem Studium die Wissenschaftlichkeit verloren, wenn Studium nur noch schnell sein soll und alle anderen als Bummelanten gelten?

SCHILLHANECK: Ja, das glaube ich schon. Diese ganze Debatte um Bummelstudenten geht in die falsche Richtung. Es kommt doch darauf an, was Uni leisten soll. Die Tendenz geht ja heute leider zur reinen Berufsausbildung – im engsten Sinne. Ganzheitliche Bildung à la Humboldt ist dagegen offensichtlich nicht mehr en vogue. Trotzdem habe ich mir gesagt: Ich nehme mir Zeit für die Wissenschaft und nutze das universitäre Angebot. Es gibt wohl nur wenige, die sich wie ich mit Religions- und Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Philologie beschäftigt haben. Das steht in keiner Studienordnung und trotzdem möchte ich diese Erfahrungen nicht missen. Das sind Qualifizierungen, die mir später weiter helfen werden.

LITTA: Ja, so schön wie das ist, aber: Hättest du das nicht alles nach dem Studium machen können? Stell dir vor, du wärst mit 24 fertig gewesen, dann hättest du für alle deine Aktivitäten sechs Jahre Zeit gehabt. Ich sehe viele an der Uni, die sich verzetteln, weil sie zu viel machen oder Angst vor der Zukunft haben. Nach vier Jahren mit Seminaren, Vorlesungen und Referaten muss etwas Neues passieren. Spätestens mit 30 will ich in einem anderen Lebensabschnitt sein.

Sie wollen schnell Karriere machen?

LITTA: Das wird uns ja oft vorgeworfen. Schnell das Diplom abgreifen und dann Karriere machen. Dabei will ich das gar nicht. Ich kann mir durchaus vorstellen, noch mal was anderes zu studieren, vielleicht zu promovieren. Weiterlernen ist mir wichtig, Leistung zeigen aber auch. Wenn ich erst meinen Abschluss in der Tasche habe, bin ich viel unabhängiger, kann alles machen.

SCHILLHANECK: Aber vieles macht man später eben doch nicht. Ich habe einen großen Teil meiner Semesterferien für ehrenamtliche Tätigkeiten drangegeben, mich nebenbei im Asta und im Akademischen Senat für die Belange der Studierenden eingesetzt. Wäre ich mit 25 fertig gewesen, hätte ich das alles nicht machen können. Aber das ist wichtige Lebenserfahrung. Viele meiner Freunde studieren Jura und sind mit 26 Jahren qualifiziert für ein Richteramt. Da frage ich manchmal schon: Wie weit ist es da mit der Lebenserfahrung her?

Lebenserfahrung schön und gut – aber wer bezahlt das? Studieren ist immer noch umsonst, während ein Kitaplatz längst Geld kostet. Ist das sozial gerecht?

SCHILLHANECK: Da muss ich widersprechen. Ich komme aus einer bildungsfernen Schicht und bin die Älteste von acht Geschwistern – da wäre ich sicher nie an die Uni gegangen, gäbe es Studiengebühren. Wäre das dann sozial gerecht? Außerdem liege ich keinem auf der Tasche. Ich verzichte auf Bafög

LITTA: Aber dein Studienplatz kostet doch, den finanziert der Steuerzahler.

SCHILLHANECK: Ich gebe sowohl der Uni wie auch dem Steuerzahler durchaus viel zurück. Zum Beispiel durch mein tägliches Engagement. Ich investiere seit Jahren viel Arbeit in soziale Projekte und Gremienarbeit. Zwischendurch habe ich für den Bundestag und für das Abgeordnetenhaus kandidiert. Da finde ich nicht, dass ich irgendetwas über Gebühr konsumiere.

Aber nicht alle geben soviel zurück. Wären da Studiengebühren nicht sinnvoll?

LITTA: Ich denke, sie wären sinnvoll – wenn den Hochschulen das Geld zukommt. Aber nur dann. Außerdem bieten Studiengebühren natürlich einen Anreiz, zielgerichteter zu studieren. Aber das reicht nicht. Als erstes müsste die Betreuungssituation verbessert werden, um Langzeitstudenten zu vermeiden. Dann wäre ich auch bereit, über Studiengebühren zu diskutieren.

SCHILLHANECK: Aber wer glaubt denn, dass das Geld an den Unis bleibt? Ich halte das für völlig illusorisch, stattdessen wird die soziale Selektivität verstärkt. Und was Gebühren für Langzeitstudenten angeht: Man kann doch nicht die reine Verweildauer an der Uni messen, sondern muss fragen: Was machen die Studenten in der Zeit? Wie bringen sie sich in die inneruniversitäre Selbstorganisation ein? Engagieren sie sich gesellschaftlich? Das geht in der aktuellen Debatte total unter, die alle Langzeitstudenten als irgendwie Asoziale über einen Kamm schert.

Aber Studieren ist doch auch ein ganz bequemer Status, oder?

LITTA: Ja, und wie. Als Student kann ich mir meine Zeit frei einteilen. Da gerät mancher leicht in Versuchung, eine angenehme Verantwortungslosigkeit zu genießen. Man muss sich nicht so viele Gedanken machen, kann hier und da was probieren. Das verführt natürlich viele dazu, diesen Status zu verlängern.

SCHILLHANECK: Es gibt ja diese weitverbreitete Mär vom „Aufenthalt in den Wärmehallen der Nation“. Natürlich ist das Studentendasein verdammt bequem – einerseits. Aber anderseits habe ich keinen Anspruch auf Wohngeld oder Sozialhilfe und muss ganz schön knapsen – zudem ich mal bescheuert genug war, auf das Bafög zu verzichten und lieber arbeiten zu gehen. Wieso ist das bequem?

Das Gespräch führte Juliane von Mittelstaedt

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