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Gesundheit: Streit um das rosa Ungetüm

Ein grauer Morgen: Modriges Laub ziert die Ufer des Landwehrkanals, über der Tiergartenschleuse steigen Nebelschwaden auf. Hinter dem Zoologischen Garten führt eine kleine Brücke über das Gewässer hinüber auf die Schleuseninsel.

Ein grauer Morgen: Modriges Laub ziert die Ufer des Landwehrkanals, über der Tiergartenschleuse steigen Nebelschwaden auf. Hinter dem Zoologischen Garten führt eine kleine Brücke über das Gewässer hinüber auf die Schleuseninsel. Dort reckt sich ein rosa Ungetüm in den Himmel, beinahe wie ein Kraftwerk. Die rosa Riesenröhre beherbergt den großen Umlauftank der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau (VWS) der Technischen Universität.

Dort forschen die Ingenieure an neuen Schiffstypen, testen die Modelle von Bohrinseln oder messen die Strömungseigenschaften von Pinguinen. Vor 99 Jahren gegründet, hatte der deutsche Schiffsbau mit der VWS über Jahrzehnte eines seiner wichtigsten Forschungszentren. "Nächstes Jahr wird die Versuchsanstalt 100 Jahre alt", sagt Burkhard Müller-Graf, der bis 1997 an der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau arbeitete. Ob die Versuchsanstalt dann noch arbeiten kann, ist ungewiss. "Dass jetzt alles einfach vorbei sein soll, ist ein Skandal."

Gehen die Lichter aus?

Burkhard Müller-Graf ist ein alter Berliner. Vierzig Jahre seines Lebens stecken in der Versuchsanstalt, seit 1960 bis zur Rente war er Abteilungsleiter für Schiffshydrodynamik. Er nimmt kein Blatt vor den Mund: "Der Berliner Senat hat die VWS an die TU abgegeben, obwohl er wusste, dass dies der Anfang vom Ende sein würde", erzählt er wütend. "Die Schleuseninsel bietet Anlagen, die weltweit ihresgleichen suchen, und nun sollen plötzlich die Lichter ausgehen."

Der Grund für die Aufregung: Kürzlich beschloss der Akademische Senat der TU, die Zentraleinrichtung Versuchsanstalt für Wasserbau und Schifffahrt zum Jahresende dicht zu machen. Am 6. Dezember entscheidet das Kuratorium endgültig, und dann sind auch Berliner Politiker in den Beschluss eingebunden. Das TU-Präsidium begründete den Schritt mit der mangelnden Auslastung der Versuchstechnik und technischen Mängeln des großen Umlauftanks. Das stimmt nur teilweise: Einige Anlagen sind älter als 25 Jahre, andere gelten als hochmodern. Hinzu kommt: Noch in diesem Jahr muss die TU ungefähr zwanzig Millionen Mark sparen, das entspricht rund 130 Stellen. Die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau verfügt zurzeit noch über eine Professur und vierzig Mitarbeiter. Die Professur läuft erst 2005 aus, viele Mitarbeiter haben unkündbare Verträge.

Die acht Meter breite Flachwasserrinne mit dem Schnellschleppwagen wurde erst 1993 von der Versuchsanstalt in Betrieb genommen. Bis zu zwölf Meter pro Sekunde schnell kann der Schleppwagen verschiedene Schiffsprofile durch das Wasser ziehen, um daran die Wasserwiderstände und Strömungsverhältnisse zu messen. "Andere Labors in Europa oder Übersee schaffen nur sechs bis acht Meter pro Sekunde", erläutert Burkhard Müller-Graf. "Diese Investition kostete damals acht Millionen Mark. Das kann man nicht einfach wegwerfen."

Neben diesen Anlagen verfügt die Versuchsanstalt über eine Tiefwasserrinne, mehrere kleine Rinnen und Tanks für spezielle Untersuchungen. Der große Umlauftank ist in Europa die einzige Versuchsanlage dieser Größe, in der Experimente bei annäherndem Vakuum durchgeführt werden können. Anders bei den Rinnen mit den Schleppwagen hängen die Schiffsprofile fest im Wasserstrom, der kontinuierlich mit einer bestimmten Geschwindigkeit umgewälzt wird. In ihm lassen sich die Schiffsschrauben großer Handelsschiffe optimieren, um immer mehr Tonnage schneller über die Meere zu befördern. Bis zu zehn Meter groß sind moderne Schiffspropeller im Durchmesser. Sie laufen mit hundert Umdrehungen pro Minute. Bei solchen Geschwindigkeiten reißt das Wasser oft von der Propelleroberfläche ab, es hinterlässt ein Vakuum. Dieser Vorgang heißt Kavitation - er verursacht Schäden an den Propellerblättern.

Der große Umlauftank steht unter Denkmalschutz, der Sanierungsaufwand liegt bei rund zehn Millionen Mark. Egal, ob die TU die Versuchsanstalt schließt oder nicht - dieses Denkmal muss dringend saniert werden. Die Versuchsanstalt entstand 1903 als "Königliche Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Berlin", vor allem als Forschungslabor für die deutsche Handelsflotte und die Kriegsmarine - erst für den Kaiser, dann für die Nazis. Mit der Kapitulation 1945 ging die Schleuseninsel in die Hände der Russen über. Um die Demontage wertvoller Anlagen zu verhindern, besetzten 1953 West-Berliner Polizisten die Insel, zeitgleich mit dem Rundfunkgebäude an der Masurenallee. Unter dem Schutz der Briten entstand eine neue VWS, die Amerikaner ließen hier schnelle Schiffstypen für die Navy testen. Vor allem aber die deutschen Werften und Handelsreeder nutzten die VWS, deren Ausrüstung sich damals ein kommerzielles Unternehmen kaum leisten konnte.

Unerwünschte Turbulenzen

Die Grundlage für die Entscheidung des Akademischen Senats bildet ein Gutachten, das die TU beim Germanischen Lloyd in Auftrag gegeben hatte. Demnach ist der große Umlauftank wegen seiner Konstruktion nur begrenzt nutzbar. Bei großen Umlaufgeschwindigkeiten fließe das Wasser nicht mehr ungehindert durch die Röhre, sondern es träten auch unerwünschte Turbulenzen auf. "Das ist kein Mangel, sondern das war von Anfang an bekannt", hält der Chef der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau, Professor Hans Amann, den Gutachtern entgegen. "Deshalb haben wir ja den Schnellschleppwagen, um auch für größere Geschwindigkeiten forschen zu können."

Nach Auffassung der Gutachter könnten ähnliche Versuchsanstalten in Hamburg oder Potsdam die Forschungen zur Strömungsdynamik, zur maritimen Technik oder zu Schiffsantrieben besser erledigen. Ob dieses Gutachten tatsächlich unabhängig ist, bezweifelt Hans Amann. Der Germanische Lloyd ist Hauptgesellschafter bei der Hamburger Versuchsanstalt für Schiffsbau, dem wichtigsten Konkurrenten der Berliner VWS. Die Industrie jedenfalls sah in den vermeintlichen Mängeln bislang keinen Grund, die Berliner Versuchsanstalt zu meiden: "Allein die holländische Firma Marin will hier in den nächsten Jahren fast eine Million Mark investieren, um für ihre internationalen Kunden Schiffe und Bohrinseln zu testen", sagt Hans Amann. CargoLifter lässt derzeit an der Versuchsanstalt das Strömungsprofil des neuen Riesenluftschiffes CL 160 testen, das 2004 in Brand südlich von Berlin in den Himmel abheben soll. "Die Forschungsaufträge bringen uns im Jahr zwischen 1,5 Millionen und zwei Millionen Mark ein", berichtet Hans Amann. Rund 30 Prozent ihres Jahresetats bringe die VWS aus eigener Kraft auf, da könne kaum ein anderes TU-Institut mithalten.

"Unsere Anlagen könnten also durchaus noch einige Jahre laufen, bezahlte Arbeit ist genug vorhanden", kritisiert Hans Amann die schnelle Schließung der VWS zum Jahresende. "Eine längerfristige, geordnete Abwicklung wäre ohne weiteres möglich. Dann könnten wir noch erhebliche Einnahmen erwirtschaften."

Heiko Schwarzburger

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