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Gesundheit: Studenten vor Gericht

Wachschutz regelt Bewerberansturm auf die Uni. Abgewiesene können sich einklagen – oder müssen in die Provinz

In den letzten Wochen konnten angehende Studenten an der Technischen Universität schon einmal das üben, was allgemein als „soft skills“ bezeichnet wird: Durchsetzungsvermögen, Belastbarkeit, Ausdauer, Teamarbeit, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit. Grund waren die chaotischen Zustände bei der Einschreibung: Gedränge vor dem Immatrikulationsbüro, Gerangel um Wartemarken und Einlass, überkochende Emotionen und ein Wachschutz, der aufgebrachte Studenten vom Stürmen der Zulassungsstellen abhalten musste. „Es war schlimm“, bestätigt TU-Pressesprecherin Kristina Zerges.

Noch nie haben sich so viele Bewerber an den Berliner Universitäten beworben wie in diesem Semester – fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. In manchen Fächern kommen auf jeden Studienplatz zehn Bewerber oder mehr. An der Humboldt-Universität drängten 1586 Interessenten auf 115 Plätze in den Kulturwissenschaften. Für viele Studierwilligen heißt es: wegen Überfüllung geschlossen.

Was können abgelehnte Erstsemester jetzt tun, um doch noch einen Studienplatz zu finden? Grundsätzlich gilt: nicht zu früh verzweifeln. Bis zum Semesterbeginn am 20. Oktober lässt sich mit Glück als Nachrücker noch ein Studienplatz ergattern. Während TU und FU den Ansturm noch nicht völlig überblicken, konnten sich bei der HU bereits 2000 Nachrücker doch noch freuen – mehr als je zuvor. Denn wegen des erstmals fast flächendeckenden Numerus clausus gab es viele Mehrfachbewerber, die damit ihre Chancen steigern wollten. „Diesmal habe ich von ganz vielen Studenten gehört: ‚Ich habe mich überall beworben’“, berichtet der Leiter des FU-Immatrikulationsbüros, Wolfgang Röcke.

Unzumutbares Chaos?

Mehr als 15 000 Bewerber auf 4500 Studienplätze in zulassungsbeschränkten Fächern waren es allein an der Technischen Universität. Die Folge: jede Menge Mehrarbeit, der die Unis nicht gewachsen sind. „Wir sind in den Bewerbungen versunken“, sagt Pressesprecherin Zerges. Der Asta-Vorsitzende der TU, Marius Pöthe, spricht bereits von „unzumutbarem Chaos“. Viele Zulassungsanträge seien auch eine Woche vor Semesterbeginn noch gar nicht bearbeitet worden.

Was, wenn man aber nicht zu den Nachrückern gehört? In der Vergangenheit haben sich abgelehnte Studenten immer wieder in ein NC-freies Fach eingeschrieben, dann aber in dem Studiengang Scheine erworben, welchen sie eigentlich studieren wollten. Später sind sie in ein höheres, NC-freies Semester in ihrem Wunschfach umgestiegen. Das kann in manchen Fächern immer noch klappen – ist aber riskant, vor allem, wenn die Uni sich eines Tages entscheidet, das Schlupfloch zu schließen.

Immer mehr steigt unter den abgelehnten Studenten daher die Bereitschaft, für den Studienplatz vor Gericht zu ziehen. Im vergangenen Jahr zählte das Berliner Verwaltungsgericht 3655 Verfahren – etwa ein Drittel davon Klagen und zwei Drittel einstweilige Anordnungen. Für dieses Wintersemester haben die Richter jedoch schon deutlich mehr Anträge als zuvor registriert.

In zahlreichen studentischen Internetforen tauschen leer ausgegangene Abiturienten Tipps für die Studienplatzklage aus. Ein Medizin-Bewerber schreibt: „Es geht mir ja gar nicht darum, an meine Wunsch-Uni zu kommen. Das habe ich schon lange aufgegeben. Ich klage, um überhaupt einen Studienplatz an irgendeiner popeligen Uni irgendwo in Deutschland zu bekommen!“ Auch ein paar Anwälte mischen in den Debatten mit und empfehlen sich den Klagewilligen. Aber braucht man überhaupt einen Anwalt?

Jeder Bewerber, der einen Ablehnungsbescheid erhalten hat, kann klagen – auch ohne Anwalt. Er argumentiert mit der Ausbildungskapazität der Hochschule, die durch die zur Verfügung gestellte Studienplatzzahl nicht völlig ausgelastet sei. Für diese „Kapazitätsklage“ muss innerhalb eines Monats nach der Ablehnung Widerspruch bei der Uni eingelegt und dann schnellstmöglich beim Verwaltungsgericht ein Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt werden – damit man vorläufig zugelassen wird.

Häufig ist eine Klage dann gar nicht mehr nötig. Formulare und weitere Informationen erhält man beim Verwaltungsgericht und bei den Studierendenausschüssen der Unis, die auch Rechtsberatungen anbieten. Kommt es gar nicht erst zur Klage, tragen die Studenten die Gerichtskosten von rund 50 Euro – und gegebenenfalls die Kosten für den eigenen Anwalt. Bei einer Klage kann es jedoch teuer werden. Vor allem, wenn sich die Hochschulen, wie es bisher die FU getan hat, ebenfalls von einem Anwalt vertreten lassen. Im schlechtesten Fall hat der Student dann nicht nur keinen Studienplatz, sondern auch die Gerichts- sowie Anwaltskosten der Universität zu tragen. Die Gerichtskosten liegen, wenn eine Verhandlung stattgefunden hat, bei knapp 500 Euro. Mit Anwalt können, je nach Ausgang des Verfahrens, noch einmal 500 Euro oder mehr anfallen.

NC-Freiheit in Erfurt

Das Verwaltungsgericht prüft nach Eingang der Klage die Kapazität der Universität. Stellt es fest, dass in einem Studiengang mit den vorhandenen Möglichkeiten mehr Studenten ausgebildet werden könnten, so muss die Uni zusätzliche Studienplätze bereitstellen. Diese werden unter den klagenden Studenten verlost. Die Erfolgschancen beurteilt der Berliner Rechtsanwalt Horst Milewich derzeit in Berlin als „grundsätzlich positiv“. Mit starken Unterschieden je nach Fach: In Psychologie sei eine Klage derzeit aussichtslos, in vielen anderen Fächern bestünden wiederum gute Chancen.

Aber selbst eine gewonnene Klage garantiert noch keinen Studienplatz. Ein verzweifelter Medizin-Bewerber schreibt in einem Internetforum: „In Dresden gab es etwa 500 Kläger auf 48 zusätzlich festgestellte Studienplätze. Ich bin auf Platz 300 und irgendwas gelost worden. Konnte zwei Tage zuvor nicht schlafen, obwohl ich mir eigentlich keine Chancen ausgerechnet habe. In Ulm war ich näher dran: Rang 14 von 7 Plätzen.“

Aber es gibt viele Studiengänge, die sich an Universitäten außerhalb von Berlin ohne NC studieren lassen. Greifswald, Erfurt, Kiel oder Siegen bieten weit mehr Studiengänge ohne NC als Berlin. Zwar ist die Einschreibefrist etwa in Greifswald für begehrte Fächer wie Jura oder Germanistik schon vorbei, doch für BWL, Physik sowie geisteswissenschaftliche Fächer kann man sich noch während der ersten Vorlesungswoche immatrikulieren. Man sei dieses Semester völlig überrannt worden, heißt es aus der Greifswalder Uni-Verwaltung. Es gebe einen deutlichen „gefühlten Zuwachs“ von Berliner Bewerbern.

Rechtsberatung bieten der Asta der Technischen Universität Berlin dienstags von 14 bis 16 Uhr, Tel.: 314 23960; der Freien Universität freitags von 16 bis 18 Uhr, Tel.: 839 0910; und der RefRat der Humboldt-Uni mittwochs von 18 bis 20 Uhr, Tel.: 2093 2614.

Infobörsen im Internet:

www.studentenseite.de ; www.asta.uni -hamburg.de/service/

klage.html; www.allstudents.de ; www.studienplatzklage.de

Juliane von Mittelstaedt

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