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Gesundheit: „Studenten wollen sich in ihrem Fach spiegeln“

Wer Jura wählt, kleidet sich gern korrekt. Naturwissenschaftler mögen’s hemdsärmelig: Eine kleine Uni-Typenkunde aus ethnologischer Sicht

DAS SEMESTER BEGINNT

Herr Kaschuba, bislang dachten wir, Studienanfänger wählen ihr Fach nach inhaltlichen Interessen und vielleicht noch nach späteren Berufschancen. Sie sagen, es geht auch um etwas anderes, nämlich um das Image eines Faches.

Ja, der Studienanfänger hat schon Vorstellungen von einem Fach, die er mitbringt, ohne je an einer Universität gewesen zu sein. Es sind Bilder: Ein Jurist trägt im Alltag eher Krawatte und geht mit Aktenköfferchen umher. Ein Naturwissenschaftler wiederum erscheint eher hemdsärmelig und locker. Und Geisteswissenschaftler reden angeblich viel. Diese Mischung aus Alltagsbeobachtungen und Stereotypen ergibt einen Eindruck, nach dem man sich auch richtet. Der Studienanfänger will sich in seinem Fach wiedererkennen.

Der korrekte Mensch fühlt sich also zu Jura hingezogen, der Vielredner zu den Geisteswissenschaften? Sind das nicht alles nur Klischees?

Gerade weil es diese Klischees gibt, wählen die Studienanfänger ihr Fach oft auch. So stimmt das Klischee am Ende mit der Wirklichkeit überein. Es gibt etwas, das man Habitus nennt. Das betrifft das gesamte Selbstverständnis: Dinge, die man mag, von Musik bis zur Esskultur, den Lebensstil. Solch einen passenden Habitus suchen junge Menschen auch an der Universität.

Also gut. Wir nennen ein Fach, und Sie beschreiben kurz, wie der jeweilige Stil aussieht. Bleiben wir gleich bei Jura.

Juristen haben bestimmte Regeln zu beachten. Das drückt sich in einer Tendenz zur schicken Seriosität aus. Wer Juristen bei Prüfungen beobachtet, kann feststellen, dass der Anteil der Krawattenträger dort recht hoch ist. Sie verkörpern also Verbindlichkeit, Souveränität und Konventionalität. Es sind auch eine Menge Vorurteile im Spiel: Sie kommen aus besseren Elternhäusern, erhalten ihr Studium finanziert, die Berufsperspektiven sind schon durch die Eltern geregelt. Viele Juristen sind durchaus geschmeichelt von diesem Bild, identifizieren sich jedenfalls gern als Elite. Andere ärgert es – es gibt ja auch jene 50 Prozent, die nicht aus JuristenElternhäusern kommen.

Medizin?

Mediziner haben die intensivste Gruppenausbildung und sind deswegen vielleicht die abgeschlossenste Gruppe auf dem Campus. Zudem ist die Medizin durch ihr spezifisches Vokabular geprägt. Das führt dazu, dass die Kommunikation untereinander oft als sprachliches Training empfunden wird. Dies schließt Umstehende wiederum aus.

Theologie?

Die Zahl der bauchnabelfrei gekleideten Studentinnen an der theologischen Fakultät dürfte gering sein. Man könnte sich vorstellen, dass man da eher Leute mit einer weichen, gestischen Körpersprache antrifft, weil die freie Rede ja bereits im Studium sehr wichtig ist.

Naturwissenschaften?

Die Zahl der fehlenden Manschettenknöpfe ist bei den Naturwissenschaftlern sicherlich sehr hoch. Man muss da unter Umständen auch mit Feuer, Messer, Werkzeug umgehen können – im Habitus drückt sich das durch demonstrative Praxiszugewandtheit aus. Das hat aber auch damit zu tun, dass Naturwissenschaftler gerne das Stereotyp des abgehobenen Geisteswissenschaftlers pflegen und sich davon absetzen wollen.

Und wie sind die Geisteswissenschaftler wirklich?

Die Geisteswissenschaften sind in den letzten Jahren ihren Beschäftigungsgegenständen näher gekommen. Felder wie die Alltagsgeschichte oder die Migrationsforschung berühren auch den eigenen Alltag. Dann sitzt man in der U-Bahn in Berlin und sieht jene Menschen live, mit denen man sich gerade theoretisch beschäftigt hat. Das führt zu mehr Normalität – im Umgang mit der Familie, mit Fristen im Studium oder auch im Umgang mit Kleidung. Ich erinnere mich noch gut an die Reaktion meiner Sekretärin, als die ersten beiden jungen Männer im Tanktop zum Examen kamen. Sie war ganz schockiert: „Die würde ich nicht prüfen – in den Klamotten!“

Aber ist in Bezug auf Äußerlichkeiten inzwischen nicht alles möglich? Tattoos beispielsweise sieht man inzwischen an jeder zweiten Person.

Das ist ein interessantes Beispiel dafür, wie sich Fachkulturen und gesellschaftliche Trends zueinander verhalten. Tattoos stoßen tatsächlich in alle Fachrichtungen vor. Auch Juristen tragen sie. Die Frage ist nur: Wo? Juristen tragen sie eher verdeckt, damit sie die Wirkung kontrollieren können. Sozialwissenschaftler tragen sie unter Umständen offen.

Kann man diese Klischees durch wissenschaftliche Untersuchungen belegen?

Die Klischees haben einen richtigen Kern, da sie hochkomprimierte Erfahrungswerte darstellen – selbst wenn wir das nicht wahrhaben wollen. Tübinger Wissenschaftler haben festgestellt, dass Juristen und Wirtschaftswissenschaftler besonderen Wert auf ihr Schreibgerät legen. Sie haben eine Tendenz zu teuren Füllern. Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaftler dagegen reichen meist billige Kulis. Man hat auch herausgefunden, dass sich Wissenschaftler in staatstragenden Disziplinen, also Juristen, für wichtiger halten als etwa Germanisten.

Die Studenten verhalten sich so, dass sie sich in ihrer Fachkultur möglichst gut wiederfinden – das klingt nicht so, als ob die Universität viel zum Wandel der Gesellschaft beiträgt.

Auf der einen Seite führt das in der Tat zu einer gewissen Kontinuität, weil die Leute so werden wie die Bilder, die sie im Kopf haben. Die Bauern im 19. Jahrhundert sind auch so geworden, wie die Volkskunde sie gezeichnet hat. Sie haben Tracht getragen, obwohl sie es vorher nicht taten. So machen es die Studierenden auch. Andererseits lebt man nicht im Wolkenkuckucksheim, sondern im Hinblick auf den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft. Das führt dann doch zum Hinterfragen der eigenen Wissenschaft.

Was passiert mit schweigenden Schlipsträgern in geisteswissenschaftlichen Seminaren? Finden die gar keine Freunde?

Ein Krawattenträger in einem Geschichtsseminar ruft mit Sicherheit erst mal Befremden hervor. Im besten Fall ist es ein Anlass, angesprochen zu werden, dann kann man sich integrieren. Im schlechtesten Fall wird man von der Kommunikation ausgeschlossen. In einem Seminar in Tübingen habe ich erlebt, dass ein Burschenschaftler in unser Seminar kam. Das war ein netter Mensch, aber die anderen waren völlig hilflos, wie man mit ihm umgeht. In Berlin kam ein Student mit Reithosen ins Seminar, der wurde auch ausgegrenzt. Später hat er andere Hosen angezogen – es gibt auch unter Studenten einen großen Anpassungsdruck.

Gibt es etwas, das alle Berliner Studenten eint?

Es zieht einen bestimmten Studententyp nach Berlin: Es kommen Leute, die über den Tellerrand hinausgucken und Risiken eingehen wollen. Die anderen gehen nach Heidelberg. Alle Berliner Studenten wissen, dass es ein Leben außerhalb der Wissenschaft gibt. Das ist für Berlin ein Standortvorteil. Unsere Studenten sind ein Kapital, mit dem die Stadt intellektuell und ökonomisch wuchern sollte.

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