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Gesundheit: Tatort Nahrung

Der Ex-Präsident des BKA klagt über kriminelle Strukturen in der Lebensmittelherstellung

Von Adelheid

Müller-Lissner

Hans-Ludwig Zachert bezeichnet sich als Genussmensch. Schon deshalb fordert der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamtes BKA: „Essen und Trinken dürfen nicht zu einem Lebensrisiko werden.“

Doch Zachert interessiert sich für das Thema auch als Verbrechensexperte. Er fordert eine effektivere Lebensmittel-Kriminalistik, denn: „Wir haben es hier mit einer neuen Form der Kriminalität zu tun, die unser alltägliches Leben in Zukunft noch viel mehr berühren wird.“

Am Studiengang für Lebensmitteltechnologie und Verpackungstechnik der Technischen Fachhochschule Berlin gehört das Thema Lebensmittelsicherheit sozusagen zum täglichen Brot. Am vergangenen Freitag eröffnete der Fachbereichstag das neue Semester – und nun war es ausnahmsweise ein Jurist, der deftige Worte auftischte.

Strafbare Handlungen sind demnach in allen Bereichen der Herstellungskette – von der Futtermittelproduktion bis zur Verpackung – möglich. Oft erfüllen sie alle Kriterien der organisierten Kriminalität, von Konspiration über Einschüchterung Beteiligter und massiver Korruption bis hin zu internationalen Strukturen.

Zachert könnte deshalb der Einführung des neuen Straftatbestands der „vorsätzlichen Lebensmittelverseuchung“ viel abgewinnen. „Die nordrhein-westfälische Ministerin Bärbel Höhn lag ganz richtig, als sie von mafiösen Strukturen in der Futtermittelindustrie sprach.“

Die Behörden scheinen mit dieser guten Vernetzung nicht unbedingt Schritt zu halten. „Es gibt keine einheitliche Zuständigkeit, und über 20 Rechtsgebiete sind betroffen“, sagte der ehemalige BKA-Präsident. Das BKA kann zudem erst tätig werden, wenn es den Auftrag dazu bekommt. Deshalb sei es entscheidend, dass Tatbestände der Behörde möglichst präzise mitgeteilt werden. Zachert rechnet damit, dass heute auf einen Fall, in dem ermittelt wird, fünf andere kommen, die in bedenkliches Dunkel gehüllt bleiben.

Auf der anderen Seite ist aber nicht jeder „Lebensmittelskandal“, den die Medien ausrufen, das Ergebnis einer vorsätzlichen kriminellen Handlung. In manchen Fällen ist, wie etwa bei Nitrofen, das zu Beginn dieses Jahres in Ökoweizen gefunden wurde, zumindest zu Beginn auch Fahrlässigkeit im Spiel. Denn das Getreide wurde in einer Halle gelagert, in der Jahre zuvor das längst verbotene Pflanzenschutzmittel aufbewahrt worden war.

Dann gibt es schädliche Stoffe, deren Entstehen schlicht Folge bestimmter Herstellungsverfahren ist. Ein solcher Fall ist die Substanz Acrylamid. Sie entsteht beim Fritieren von Pommes Frites, bei der Herstellung von Kartoffelchips oder beim Backen von Knäckebrot. Um sie zu vermeiden, braucht man keinen kriminalistischen Spürsinn, sondern innovative Produktionstechniken.

Inzwischen tritt auch das Problem der allzu präzisen Messung immer häufiger auf. Bei der Fahndung nach Zutaten, die in einem Lebensmittttel fehl am Platz sind, können heute mit modernen Labormethoden oft schon kleinste Mengen erfasst werden.

„Die Labors wetteifern in der Empfindlichkeit ihrer Methoden“, berichtete die Lebensmittelexpertin und Juristin Petra Unland von der Firma Dr. Oetker aus der Praxis. Oft würden dabei sogar Funde gemeldet, die der Nachprüfung nicht standhalten.

Unland machte deutlich, wie wichtig es ist, zuverlässige Analysemethoden zu haben – und aus ihnen auch die richtigen Schlüsse zu ziehen.

So gehört das Antibiotikum Chloramphenicol, das vor einiger Zeit in Garnelen und Shrimps aus Asien gefunden wurde, in diese Meeresfrüchte zwar eindeutig nicht hinein. Andererseits will es auch nicht in den Kopf des Verbrauchers, dass Shrimps, bei denen 0,03 Mikrogramm pro Kilo gemessen wurden, in Deutschland aus den Regalen genommen wurden, während im Nachbarland Frankreich zur gleichen Zeit die dreifache Menge erlaubt war. Die Risiken und die kriminellen Machenschaften sind längst grenzüberschreitend. Dagegen wirken die unterschiedlichen Reaktionen der Behörden oft noch hilflos.

AdelheidMüller-Lissner

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