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Gesundheit: Transplantation und Obduktion: Wer bekommt ein Herz?

In Deutschland warten 14 000 Patienten auf ein neues Organ, 12 000 davon auf eine Niere. Im vergangenen Jahr konnten aber nur knapp 4000 Organe überpflanzt werden.

In Deutschland warten 14 000 Patienten auf ein neues Organ, 12 000 davon auf eine Niere. Im vergangenen Jahr konnten aber nur knapp 4000 Organe überpflanzt werden. Die meisten wurden 1026 Toten entnommen, 387 kamen von lebenden Spendern. Nierenkranke können sich notfalls mit der Blutwäsche behelfen. Aber zwei von drei Patienten, die auf ein Herz, eine Leber oder eine Lunge warten, sterben vor der erhofften Transplantation.

Werden sie künftig mit Pavianlebern oder Schweineherzen weiterleben können? Die Schwierigkeiten der Xenotransplantation, der Übertragung tierischer Gewebe und Organe auf den Menschen, sind größer als gedacht. "Die 1994 geäußerte Prognose, dass zum Jahrtausendwechsel die Xenotransplantation Routine sein würde, hat sich nicht bewahrheitet und ist nach heutigem Kenntnisstand noch immer nicht vorhersehbar", sagte der Freiburger Transplantationschirurg Günter Kirste auf einer Podiumsdiskussion. Die hatte die Bundesärztekammer in Berlin organisiert, um die Öffentlichkeit über die Lage der Organtransplantation zu informieren.

Ersatzorgane: "Phantastereien"

Auch Ersatzorgane, die vielleicht einmal durch Klonierung gezüchtet werden könnten, sieht Kirste noch in weiter Ferne. Von "Phantastereien" sprach gewohnt deutlich Karsten Vilmar, Chirurg und langjähriger Präsident und heute Ehrenpräsident der Bundesärztekammer. Auf Organtransplantation wird man also noch lange angewiesen sein. Damit sind Wartelisten unvermeidlich.

Es gibt jetzt nur noch einheitliche Wartelisten, je nach Organ, für ganz Deutschland. Geführt werden sie in Leiden bei der Stiftung Eurotransplant, der gesetzlich vorgesehenen Vermittlungsstelle für Organe. Ihr haben sich bisher sechs Länder angeschlossen, neben Deutschland die Beneluxstaaten, Österreich und Slowenien. Für Chancengleichheit der wartenden Patienten ist gesorgt. Geld, Prominenz oder auch soziale Gründe wie die Unentbehrlichkeit einer Mutter kleiner Kinder beeinflussen den Platz auf de Warteliste nicht, ebenso wenig die früher erklärte eigene Organspendebereitschaft.

Es gelten allein medizinische Gründe. Nach dem 1997 verabschiedeten Transplantationsgesetz sind dabei Regeln zu befolgen, die dem Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse entsprechen. Maßgebend sind vor allem "Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung". Das Gesetz ist nur eine Rahmenregelung, die Details sind Sache der ärztlichen Selbstverwaltung, wie Vilmar hervorhob, damit sie dem jeweiligen Stand der Erkenntnisse angepasst werden können.

Für die Aufnahme in die Warteliste - ein formeller Akt - hat die "Ständige Kommission Organtransplantation" der Bundesärztekammer Richtlinien erarbeitet, die Ende 1999 verabschiedet wurden. Und erst im vorigen Jahr hat die Ärztekammer Ausführungsbestimmungen zum Transplantationsgesetz mit den Kassen, den Krankenhäusern und der Deutschen Stiftung Organtransplantation vertraglich vereinbart. Diese Stiftung fungiert als Koordinationsstelle und organisiert außer der Organvermittlung die Zusammenarbeit der Beteiligten bei der Organentnahme nach Feststellung des Hirntods und alle anderen Maßnahmen bis zur Transplantation.

Erst jetzt, nachdem mit deutscher Gründlichkeit alles bis ins Kleinste geregelt ist, kann das Gesetz wirklich erfüllt werden. Vorher habe bei der Organvergabe "eine gewisse Willkür" geherrscht, sagt der Göttinger Rechtsmediziner Hans-Ludwig Schreiber, Vorsitzender der "Ständigen Kommission". Zum ersten Mal im deutschen Gesundheitswesen werde jetzt auch festgelegt, unter welchen Umständen jemand eine Leistung nicht erhalten soll - in diesem Fall aus Mangel an Organen.

Eine offizielle Rationierung, oder, schonender ausgedrückt, "Prioritätensetzung" gibt es, bemerkte Vilmar, in anderen Ländern längst auch aus Mangel an Geld. Als Zuhörer fragte man sich daher, ob ähnlich elaborierte Zuteilungsrichtlinien vielleicht eines Tages auch für andere teure medizinische Leistungen gelten könnten.

Wenig Nutzen für Raucher

Die Hauptkriterien Notwendigkeit und Erfolgsaussicht stünden, so Schreiber, oft miteinander im Widerspruch: Wer ein neues Organ am dringendsten brauche, habe meist die schlechteste Erfolgsaussicht, und umgekehrt. Die Verweigerungsgründe seien rein medizinisch.

Starke Raucher, Alkoholiker und andere Suchtkranke hätten zum Beispiel kaum Nutzen von einer Transplantation, HIV-Infizierte auch nur bedingt. Da die Organübertragung nicht Heilung bedeutet und der Empfänger lebenslang Patient bleibt, ist auch eine zuverlässige Mitarbeit unabdingbar, etwa die regelmäßige Einnahme der nötigen Medikamente.

Schreiber erwähnte den Fall jener Türkin, der wegen mangelnder Verständigungsmöglichkeiten eine Herztransplantation verweigert wurde. Sie bekam das Organ dann doch, denn Sprachschwierigkeiten seien mit Dolmetschern zu überwinden. Die Richtlinien werden nachgebessert. Die potenziellen Organempfänger sind mit der Regelung im Prinzip zufrieden. Die Einheitlichkeit und Transparenz der Wartelisten lobte Ulrich Boltz, Jurist mit neuem Herzen und Patientenvertreter in der Kommission. Kirste dagegen, auch Kommissionsmitglied, befürchtet, das komplizierte Verfahren zur Gewichtung der verschiedenen Kriterien könnte Transplantationen verzögern.

Die Krankenhäuser sind gesetzlich verpflichtet, alle potenziellen Organspender zu melden. Bisher halten sich aber noch nicht alle daran, klagte Martin Molzahn, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Eine bessere Organisation sei jetzt durch die Verträge ermöglicht worden. Molzahn hofft, dass in fünf, sechs Jahren zumindest Nieren nicht mehr rationiert werden müssen.

Noch stagniere die Zahl der Transplantationen in Deutschland, erfreulicherweise aber nehme die der Lebendspenden zu. Und zwei Drittel der Bundesbürger hätten in Befragungen ihre Bereitschaft zur Organspende nach dem Tode erklärt, aber nur wenige hätten einen Spenderausweis. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage öffne sich immer weiter, sagte der Eurotransplant-Vertreter Guido Persijn. Ihn erinnert die notwendige Organ-Rationierung an eine Triage - bei allem Bemühen um Gerechtigkeit.

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