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Gesundheit: Tuberkulose im Winterschlaf

Forscher entlarven, mit welchen Tricks sich der Erreger der Körperabwehr entzieht

Einer der zuverlässigsten Kämpfer aus der großen Truppe körpereigener Abwehrkräfte sind die Makrophagen. Diese Fresszellen haben einen unbändigen Appetit auf alle Arten von Krankheitserregern. Haben sie einmal ein Bakterium „verschluckt“, so landet es in einer spezialisierten Organelle, dem Phagosom.

Als Organellen bezeichnet man von einer Membran umschlossene Untereinheiten von Zellen. Ähnlich dem Verdauungsvorgang, der abläuft, wenn eine Speise in den Magen gelangt, ändert sich auch das interne Milieu in einem Phagosom, wenn ein Keim hineingelangt ist.

Unter dem Einfluss des Botenstoffs Interferon-Gamma wird der pH-Wert erniedrigt, das heißt der Säuregehalt des Milieus steigt. Es beginnt die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO), einem äußerst wirksamen antimikrobiellen Gas. Schließlich fusioniert das Phagosom mit einer weiteren Organelle, dem Lysosom. Den dabei freigesetzten „Verdauungssäften“, Sauerstoff- und Stickstoffradikalen kann kein Keim widerstehen – es sei denn, es handelt sich um notorische Überlebenskünstler wie Mycobacterium tuberculosis, den Erreger der menschlichen Tuberkulose.

Wie es Mykobakterien schaffen, den geballten chemischen Kräften im Inneren von Makrophagen zu widerstehen, war bisher rätselhaft. Jetzt hat eine amerikanisch-englische Forschergruppe Licht ins Dunkel gebracht (veröffentlicht im Fachblatt „Journal of Experimental Medicine“, Band 198, Seiten 693–704).

Dazu nutzte sie eine Methode, mit der man den Aktivitätszustand der gesamten Erbinformation des Erregers wie mit einem ultramikroskopisch kleinen Spiegel sichtbar machen kann. Zu diesem Zweck kultivierten die Mikrobiologen den Tuberkuloseerreger einmal unter optimalen Wachstumsbedingungen und andererseits unter Stress.

Gleichzeitig bildeten sie im Labor das Milieu im Inneren von Fresszellen nach. In bestimmten Abständen wurde nun überprüft, welche der mehr als 1000 Gene aus dem bakteriellen Erbgut gerade eingeschaltet waren.

Diese Profile wurden mit Aktivitätsmustern von Erregern verglichen, die sich in Phagosomen von Makrophagen festgesetzt hatten. Da man weiß, welche Stoffwechselvorgänge durch welche Erbgut-Abschnitte gesteuert werden, ließ sich im Umkehrschluss aus dem jeweiligen Erbgut-Aktivitätsmuster ableiten, auf welche „Umweltveränderungen“ die Erreger gerade reagierten. Dabei zeigte sich, dass Mykobakterien ein ganzes Arsenal von Maßnahmen in petto haben, um die Abwehrtechniken der Fresszellen zu unterlaufen.

Als Erstes stellten die eingeschlossenen Tuberkuloseerreger ihren Stoffwechsel vom Abbau von Kohlehydraten auf denjenigen von Fetten um – offensichtlich eine Reaktion auf den knappen Zuckervorrat im Inneren des Phagosoms. Als nächstes wurden Genabschnitte aktiviert, die für spezielle Eiweiße kodieren. Nämlich für solche, die notwendig sind, um die Bakterienzellwand zu reparieren sowie Eisen und Aminosäuren wieder zu verwerten.

Die Forscher interpretierten dies als Hinweis darauf, dass die innerhalb des Phagosoms freigesetzten „Verdauungssäfte“ die Zellwand des Erregers angegriffen hatten und das Angebot an lebensnotwendigen Nährstoffen in der winzigen Bakterienglocke immer knapper wurde. So wie ein auf einer einsamen Insel gestrandeter Schiffbrüchiger sich neue Nahrungsquellen erschließen und ein möglichst perfektes Recycling betreiben muss, um zu überleben, verwenden auch Mykobakterien in einer existenziellen Notlage Mineralien und biochemische Grundbausteine offensichtlich immer wieder neu .

Reicht dies immer noch nicht und ist das Überleben des Erregers in höchster Gefahr, zieht Mycobacterium tuberculosis den besten aller verfügbaren Joker – es fällt in eine Art Winterschlaf. Ein für einen Keim ganz ungewöhnlicher Zustand, in dem der Stoffwechsel quasi auf null reduziert wird.

Überraschenderweise werden die „Schlafgene“ durch Stickstoffmonoxid eingeschaltet, also just jenen chemischen Kampfstoff, der den in Phagosomen festsitzenden Erregern eigentlich den Garaus machen soll. Allerdings ist dieser Effekt stark konzentrationsabhängig: Ist die NO-Konzentration hoch genug, hat der Erreger keine Chance. Ist die NO-Dosis etwas zu gering, rettet sich der Keim in den Winterschlaf und bleibt dort, bis sich die Verhältnisse wieder bessern.

Die Studie aus der amerikanischen Cornell- sowie der Stanford-Universität und dem Londoner St.-George-Hospital zeigt, welche Experimente möglich werden, seitdem das vollständige Genom von Mycobacterium tuberculosis bekannt ist. Wäre nicht die gesamte Erbinformation des Erregers kartiert, so hätte man zwar die Aktivitätsmuster unter den verschiedenen Kulturbedingungen aufdecken können. Allerdings hätten die Forscher dann vor komplexen Karten gestanden, die nicht zu entziffern gewesen wären. Bleibt abzuwarten, ob die Erkenntnisse, die durch Reagenzglasversuche gewonnen wurden, auch für Tuberkuloseerreger gelten, die den Menschen befallen haben und sich in seinen Fresszellen verstecken.

Herrmann Feldmeier

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