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Gesundheit: Türsteher gegen das Aids-Virus

Von Adelheid Müller-Lissner Bisher können Medikamente das Immunschwäche-Virus nur bremsen. Doch das gelingt ihnen immer besser.

Von Adelheid Müller-Lissner

Bisher können Medikamente das Immunschwäche-Virus nur bremsen. Doch das gelingt ihnen immer besser. „In Barcelona war von Neuentwicklungen und von Weiterentwicklungen der bisher verfügbaren Medikamente die Rede“, berichtet HIV-Spezialist Kaikawus Arastéh vom Berliner Auguste-Viktoria-Krankenhaus von der internationalen Aids-Konferenz, die heute zu Ende geht.

Zwei Medikamentengruppen, auf die neue Hoffnungen gesetzt werden, beruhen wie die etablierte Dreifach-Therapie auf dem Prinzip der Hemmung: Integrase-Hemmer blockieren ein Enzym, das das Virus braucht, um in die Erbinformation der Zelle integriert zu werden. „Die Tests an Affen ergaben jetzt, dass die Substanzen verträglich sind und vom Körper gut aufgenommen werden. Das könnte für den Durchbruch entscheidend sein“, sagt Arastéh.

Eine Hoffnung ns T 20

Der Wirkstoff T 20, den das Schweizer Pharmaunternehmen Roche zusammen mit seinem US-Partner Trimeris entwickelt hat, wurde schon bei Patienten eingesetzt. Auf dem Welt-Aids-Kongress in Barcelona wurden eine europäische und eine amerikanische Studie mit dem Fusions-Hemmer vorgestellt, der im Frühjahr 2003 in den USA auf den Markt kommen soll. Die Wirkungsweise der Substanz, die auch als „Entry-Blocker“ bezeichnet wird, besteht darin, dass sie die Verschmelzung von Virus und Körperzellen verhindert. Die chemische Herstellung erfolgt in 40 Schritten und gilt deshalb als ausgesprochen kompliziert.

Arend Moll, dessen Charlottenburger HIV-Schwerpunktpraxis an einer Anwendungsstudie beteiligt war, fürchtet, dass deshalb die produzierten Mengen gering bleiben werden. T 20 muss zweimal täglich unter die Haut gespritzt werden, für viele eine aufwändige Prozedur. „Wahrscheinlich wird es eher bei Patienten eingesetzt werden, die mit den Tabletten allein nicht mehr auskommen“, vermutet Arastéh.

Der HIV-Experte meint damit die inzwischen schon bewährte Dreifach-Therapie, die im Kampf gegen HIV in den letzten Jahren große Erfolge gebracht hat: Die Krankheit Aids bricht in den Ländern, in denen diese Arzneikombination zur Verfügung steht, deutlich seltener und später aus, obwohl die Zahl der Neuinfektionen kaum abgenommen hat.

Zwei der drei Medikamentengruppen, die derzeit eingesetzt werden, blockieren die Reverse Transkriptase, ein Eiweiß, das das Virus braucht, um seine genetische Information in einen DNS-Strang zu übersetzen und damit für die Zellen „lesbar“ zu machen. Das dritte Mittel im Bunde, der Protease-Hemmer, verhindert die Reifung des Virus. Alle drei zusammen sorgen dafür, dass die Ausbreitung des Immunschwäche-Virus sich deutlich verlangsamt.

Die Schattenseite des Überlebens

Zu den Schattenseiten der Kombinationsbehandlung gehören störende Nebenwirkungen wie die Lipodystrophie, eine Umverteilung des Fettgewebes. Besonders heimtückisch ist aber auch die Fähigkeit der Viren, sich so zu verändern, dass sie gegen Teile des Arznei-Cocktails unempfindlich werden. „Mit maßgeschneiderten Medikamenten will man versuchen, ihnen trotzdem beizukommen“, sagt Arastéh.

Nicht das geringste Problem liegt aber im Preis der Präparate: Während noch 1995 die Behandlung eines HIV-Patienten in Deutschland im Jahr mit durchschnittlich 8000 DM zu Buche schlug, werden heute 15 000 Euro veranschlagt. 80 Prozent der Infizierten werden in der Bundesrepublik mit Medikamenten behandelt. Trotz der Bereitschaft der Herstellerfirmen zu Preisnachlässen ist das etwa in Afrika undenkbar. „Hinzu kommt, dass wir Patienten, die diese Präparate nehmen, gründlich überwachen müssen“, sagt Moll. Mit 10 000 bis 12 000 Dollar Therapiekosten pro Jahr wird T 20 die Kombinationstherapie teilweise noch überbieten.

Der große Traum der Forscher bleibt die Impfung. „Leider sind wir noch weit entfernt davon, wirklich vorbeugend zu impfen“, sagt Arastéh. „Das Virus verändert sich so schnell, dass ihm mit dem bei Impfstoffen bewährten Schlüssel-Schloss-Prinzip nicht beizukommen ist.“

Eine therapeutische Impfung ist realistischer. Sie soll erreichen, dass schon geringste Mengen des Virus vom „hochgefahrenen“ Immunsystem bekämpft werden. Die therapeutische Impfung setzt allerdings das frühe Abklären einer Infektion voraus. Solange sie – nicht nur in Afrika – als stigmatisierend gilt, sind aber auch die Tests ein Politikum. So gesehen ist HIV trotz neuer Therapieansätze weit davon entfernt, eine „normale“ Infektionskrankheit zu sein.

Ein Krankheitserreger, der im Jahr 2001 drei Millionen Opfer forderte und von dem weltweit 40 Millionen Menschen infiziert sind, davon allein 29 Millionen in Afrika, ist einfach ein Politikum. Nicht erstaunlich deshalb, dass bei der Aids-Konferenz heiße Diskussionen über effektivere Präventionsstrategien und über kostengünstige Therapien im Vordergrund standen.

Trotzdem gibt es auch für eine Forderung gute Gründe, die im Medizinerblatt „Lancet“ provozierend cool formuliert wurde: „HIV sollte als eine Infektionskrankheit wie jede andere betrachtet werden, bei der Tests und Behandlung die Regel und nicht die Ausnahme darstellen.“ Medizinische Fortschritte sind eine Voraussetzung.

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