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Gesundheit: Universität Cottbus: Zonenrandermutigung

Sieben Meter hoch ragen die pilzförmigen Isolatoren unter das Hallendach. Melodisch summen fingerdicke Drähte.

Sieben Meter hoch ragen die pilzförmigen Isolatoren unter das Hallendach. Melodisch summen fingerdicke Drähte. Plötzlich kracht ein gleißender Blitz aus der Spitze und schlägt in den Container auf dem Prüfstand ein. "Eine Million Volt können wir hier erzeugen, um Freileitungen, elektrische Schaltgeräte und Baugruppen zu testen", erklärt Harald Schwarz, geschützt hinter dicken Gläsern in der Schaltzentrale. "Das ist die modernste Hochspannungshalle Deutschlands, wir forschen an den Energienetzen der nächsten dreißig Jahre."

Der Professor und seine Studenten arbeiten unter Hochspannung: Die neue Versuchshalle ist gerade zwei Jahre alt, schon treten sich hier Siemens, Alsthom und ADtranz auf die Füße. Kein Wunder, die letzte vergleichbare Anlage wurde vor 25 Jahren in Karlsruhe gebaut. Der Blitzschutz für Transformatoren und Isolatoren spielt in der Energieversorgung eine wichtige Rolle. Moderne Autos oder Reisezüge sind vollgestopft mit Elektronik, die einen Blitzeinschlag verkraften muss. Auch starke Antennen verursachen immer wieder Störungen. "Elektromagnetische Verträglichkeit ist ein wichtiges Forschungsfeld der kommenden Jahre", prophezeit Harald Schwarz. "Wir planen derzeit einen völlig neuen Prüfstand für den ICE der nächsten Generation."

Um ihren technologischen Vorsprung zu halten, nutzen die deutsche Energiewirtschaft und die Bahnhersteller solche Prüfstände gern. In dem Prüfstand an der Technischen Universität in Cottbus stecken 15 Millionen Mark, die das Land Brandenburg, die Stadt und das Energie Ressourcen Institut (ERI), ein An-Institut der Universität, aufbrachten. Auf dem Gelände des Kraftwerkes in Jänschwalde betreibt ERI ein großes Zentrum für Energieforschung, das die Universität ebenfalls für Forschung und Ausbildung nutzen kann. "Wir setzen auf Technologie", sagt der Cottbuser Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt. "Sonst laufen uns die besten Leute weg."

Aufbauhilfe aus Berlin

"Zonenrandermutigung" heißt der neue Publikumsrenner im Cottbuser Jugendstiltheater. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt beträgt 16 Prozent, in der Lausitz sind es 23 Prozent. Cottbus war einst das Zentrum der ostdeutschen Stromwirtschaft, der Reichsbahn und der Textilindustrie. Heute sinkt die Bevölkerungszahl dramatisch. Der Großraum Berlin zieht die jungen Leute an, viele junge Familien gehen nach Bayern und Baden-Württemberg. "Zonenrandermutigung" - dieser Slogan könnte ebenso über der Brandenburgisch-Technischen Universität (BTU) Cottbus stehen. Vor zehn Jahren hatte die Landesregierung in Potsdam den Leiter des Doppelinstituts für Werkzeugmaschinen und Produktionstechnik der Fraunhofer Gesellschaft und der Technischen Universität Berlin, Günter Spur, gebeten, in Cottbus die einzige technische Uni des Landes zu gründen. Mit Spur hatten sich noch weitere renommierte Professoren der Berliner TU für das Aufbauwerk in Cottbus engagiert. Spur gilt als Vordenker der automatischen Fabrik und als einer der fähigsten Tüftler des deutschen Maschinenbaus. Als er 1996 die Amtsgeschäfte an den Stuttgarter Physiker Ernst Sigmund übergab, waren die wichtigsten Pfeiler eingeschlagen. Im Juli feiert die BTU ihr zehnjähriges Bestehen. Sie hat 4500 Studenten, ein Fünftel kommt aus dem Ausland, vor allem aus China und Polen. Mit 115 Professoren und 500 wissenschaftlichen Mitarbeitern ist die Universität einer der größten Arbeitgeber der Region. Der jährliche Haushalt umfasst rund 100 Millionen Mark. Dazu konnten die Cottbuser Forscher im vergangenen Jahr 24 Millionen Mark aus der Industrie einwerben - das entspricht 120 hochqualifizierten Stellen.

Anfang dieses Jahres genehmigte die Deutsche Forschungsgemeinshaft den ersten Sonderforschungsbereich an der Universität Cottbus. Er befasst sich mit den vom Braunkohletagebau zerstörten Landschaften in Südbrandenburg und Mitteldeutschland. "Mittlerweile kommen Minenfachleute aus aller Welt zu uns, um von unseren Ergebnissen zu profitieren", erzählt Reinhard Hüttl, der sich seit Jahren mit versauerten Seen, einer Folge des Bergbaus beschäftigt. In Tagebauen und Stollen werden mit den Kohlen und Erzen oft mineralische Pyrite an die Oberfläche gefördert, so genanntes Katzengold, das mit Sauerstoff und Wasser zu Schwefelsäure reagiert. Die Lausitzer Abraumhalden schwemmen riesige Mengen Säure in das aufsteigende Grundwasser, bedrohen den Spreewald und die Neißeauen - auch das Berliner Trinkwasser könnte gefährdet werden. "Dieses Problem wird uns noch Jahrhunderte beschäftigen", wagt Hüttl eine Prognose.

Nach ihren Aufbaujahren geht die Universität nun in die Offensive: Vor wenigen Wochen versenkte Ernst Sigmund den Grundstein für ein neues Leichtbauzentrum in der Erde. Die Halle und die Labors kosten 17 Millionen Mark. Als Betreiber treten die BTU, die Stadt und der Landkreis gemeinsam auf. "Dort werden wir unsere Forschungen zu leichten Kunststoffen, Magnesium, Titanlegierungen und Aluminiummaterialien konzentrieren", sagt Bernd Viehweger, Materialforscher an der BTU. Vor allem in der Autoindustrie lassen sich damit sowohl Gewicht als auch Kraftstoff sparen. "100 junge Forscher sollen dort an Aufträgen aus der Industrie arbeiten", betont Ernst Sigmund selbstbewusst.

Grenzübergreifende Vernetzung

Gemeinsam mit IBM will die Universität ein Linux-Zentrum gründen, das mit dem Rechnenzentrum der polnischen Universitäten in Poznan (Posen) vernetzt werden soll. Geplant sind außerdem eine neue Bibliothek, neue Labore für die Verfahrenstechniker, zahlreiche Anbauten und eine Versuchshalle für Flugzeugtriebwerke und Automobile. Insgesamt 90 Millionen Mark fließen in die Modernisierung der Gebäude, die Stadt stellt zusätzliche Flächen am Nordrand von Cottbus zur Verfügung. Damit verfügt die BTU über einen kompakten Campus der kurzen Wege. Auch die Mensa wurde zwischenzeitlich renoviert.

Heiko Schwarzburger

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