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Gesundheit: Was dem Affen fehlt

Winzige Unterschiede im Bauplan eines Gens könnten dem Menschen zur Sprache verholfen haben

Von Hartmut Wewetzer

Was macht den Mensch zum Menschen? Ein wichtiger Unterschied zum Tier – und manche werden ihn für den wesentlichen halten – ist unsere Fähigkeit zu sprechen. Sie verlangt Höchstleistungen vom Gehirn, denn die „gedachten“ Wörter müssen in kompliziertem Zusammenspiel vieler Muskeln von Kehlkopf und Mundhöhle in präzise Laute umgesetzt werden. Forscher haben jetzt ein Gen eingekreist, das bei diesen Prozessen eine entscheidende Rolle zu spielen scheint. Denn seine Ausprägung beim Menschen ist offenbar einzigartig in der Natur. Hat sie dazu geführt, dass wir unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, um den entscheidenden Tick voraus sind? Lässt es uns sprechen statt unartikuliert schreien, blöken und grunzen?

Wie so oft führte auch hier eine Störung beim Menschen auf die Spur des „Sprach-Gens“. Denn es gibt Familien, in denen eine einzige winzige Veränderung im genetischen Bauplan der Erbanlage „FOXP2“ vorkommt. Diese „Punktmutation“ in einer der beiden Kopien des Gens im Erbgut führt dazu, dass die Betroffenen große Schwierigkeiten bei der Sprachentwicklung haben.

Wolfgang Henard vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig studiert die genetischen Unterschiede von Mensch und Menschenaffen. Das 2001 veröffentlichte Gen weckte seine Neugier. Denn Mensch und Schimpanse sind zu fast 99 Prozent genetisch identisch. Es sind also vielleicht nur ein paar subtile Unterschiede im Erbgut, die dem Menschen seinen intellektuellen Vorsprung sichern.

Gemeinsam mit Forschern seines Instituts und Mitarbeitern des Humangenetik-Zentrums der Wellcome-Stiftung an der Universität Oxford rekonstruierte Henard den Stammbaum des FOXP2-Gens. Und förderte dabei Überraschendes zu Tage, wie die Forscher in einer vorab im Internet veröffentlichten Studie in der Zeitschrift „Nature“ berichten. Die zentralen Erkenntnisse: DasFOXP2-Gen hat sich während der Entwicklung der Säugetiere so gut wie nicht verändert. Es enthält den Bauplan für ein Protein, ein Eiweißmolekül, das aus rund 700 Aminosäuren besteht.

Obwohl sich die biologischen Wege von Maus und Mensch bereits vor 70 Millionen Jahren trennten, unterscheidet sich das Menschen- und Maus-Protein im wesentlichen nur dadurch, dass es an drei Stellen jeweils andere Aminosäuren besitzt – drei von etwa 700!

Schimpanse, Gorilla und Rhesusaffe haben ein jeweils baugleiches FOXP2, das sich in zwei Aminosäuren von dem des Menschen unterscheidet. Liegt hier der Schlüssel zur Sprache?

Die Forscher halten das für denkbar. Das FOXP2-Protein gehört zur Gruppe der Transkriptionsfaktoren. Das ist eine große Familie von Eiweißmolekülen, die das Übersetzen der genetischen Information, die Transkription, steuert. Transkriptionsfaktoren docken an der Erbsubstanz an, und zwar am Beginn eines Gens.

Es gibt eine einzigartige Veränderung an einer bestimmten Position des menschlichen FOXP2-Proteins, die weit reichende Folgen haben könnte. Durch den Austausch einer Aminosäure an dieser Stelle könnte das Molekül für die biochemische Veränderung durch ein anderes Eiweiß empfänglich gemacht werden. Das wiederum würde seine Aktivität beeinflussen, sie dämpfen oder ankurbeln.

Die Forscher schätzen, dass die entscheidende genetische Veränderung vor rund 200 000 Jahren erfolgte. Das würde gut in den Terminplan der menschlichen Evolution passen. Aber noch ist ungeklärt, welche Rolle FOXP2 wirklich bei der Entwicklung von Sprache und Grammatik spielt und ob nicht vielleicht noch weitere Gene dabei von Bedeutung sind.

Am Anfang war das Wort, heißt es in der Bibel. Und gerade das Menschenbild der Theologie wird durch Erkenntnisse der Genforschung herausgefordert. Was, wenn „das Wort“ sich nur einer Spielart im genetischen Bauplan verdankt? „Dass eine so großartige Errungenschaft wie Sprache und Kultur nur unendlich kleinen genetischen Unterschieden geschuldet sein soll, ist wirklich ziemlich schwer verdaulich“, kommentierte John Haught, Theologe an der Georgetown-Universität in Washington, die Studie. „Aber man kann bewundern, wie es dazu kam.“

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