zum Hauptinhalt

Gesundheit: Was kann Justiz?

Der Bahnerpresser Klaus-Peter S. wurde zu lebenslang verurteilt.

Der Bahnerpresser Klaus-Peter S. wurde zu lebenslang verurteilt. Nachahmer wird das nicht abschreckenGerhard Mauz, Sabine Zehmiger und Thomas Jander

Nach der Verkündung eines Strafurteils heißt es nicht selten, Gerechtigkeit sei geübt worden. Doch diese Redewendung ist ehrlicher, als denen bewusst ist, die sie gebrauchen. Gerechtigkeit wird in der Tat geübt.

In Berlin wurde am 24. Januar der 47 Jahre alte Klaus-Peter S. zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte versucht, die Deutsche Bahn zu erpressen. "Reines Glück" hatte verhindert, dass seinen Manipulationen an Gleisanlagen und Schienen Menschen zum Opfer fielen; dass es nicht zu einer Katastrophe wie in Eschede kam.

Die mündliche Urteilsbegründung beschrieb den Egoismus, die Habgier und die Menschenverachtung des Angeklagten. Eine Strafmilderung kam für das Gericht nicht in Betracht. Und überzeugend hieß es, Klaus-Peter S. sei ein Mann, der bereit ist, über Leichen zu gehen. Die ehrbare Verteidigung hat dieser Wertung nach dem Urteil nicht widersprochen. Revision hat sie angekündigt, weil der Gesundheitszustand ihres Mandanten nicht berücksichtigt wurde. Sie hatte zwölf Jahre Freiheitsstrafe beantragt.

Doch wir üben Gerechtigkeit. Und so hat die Deutsche Bahn das Urteil begrüßt, weil es ein Signal setze, das Nachahmer abschrecken werde. Es zeige, dass der Rechtsstaat konsequent "gegen eine vorsätzliche und zutiefst verwerfliche Bedrohung des öffentlichen Lebens" vorgehe.

Es gibt keinen Rechtsstaat auf der Erde. Es gibt nur Staaten, die sich bemühen, dem unerreichbaren Ziel der Rechtsstaatlichkeit näher zu kommen. Das Urteil über Klaus-Peter S. ist ein solcher Versuch. Doch ein Signal, das Menschen davon abhält, einen ähnlich brutalen Versuch wie Klaus-Peter S. zu unternehmen, kann es nicht sein.

In den Vereinigten Staaten hat kein Politiker die Chance, gewählt zu werden, der nicht für die Todesstrafe eintritt. Und nichts macht die Abgründe so spürbar, denen das Festhalten an ihr entspringt, wie die Tatsache, dass die Androhung der Todesstrafe kein einziges Kapitalverbrechen verhindert hat und verhindern wird. Dieser Tatsache wird in den Vereinigten Staaten nicht einmal widersprochen.

Die Einübung in die Gerechtigkeit, die eine stete, unausgesetzte Einübung zu sein hat, damit man dem Rechtsstaat wenigstens näher kommt, hat nicht zuletzt der Einsicht zu gelten, dass keine immer schärfere Androhung von Strafen bis hin zur Todesstrafe ausreicht, um Straftaten zu verhindern.

Der Mensch, und zwar jeder Mensch, ist zu allem, zu Unsäglichem fähig. Da erschießt ein SS-Mann in einem Lager die beiden kleinen Kinder eines jüdischen Ehepaars vor den Augen der Eltern. Und danach weidet er sich lange an dem kniefälligen Flehen dieser Eltern, auch sie zu töten, bevor er auch sie erschießt. Der Führer hat befohlen, die Juden auszurotten. Und so kann man den Tag über an der Rampe "selektieren" und abends mit Frau und Kindern daheim "Stille Nacht" singen, denn es ist gerade Weihnachten.

Seit 1945 ist es kein feinsinniges Bild der Literatur mehr, dass jeder Mensch zu allem fähig ist, wenn er dem Allzumenschlichen oder den Umständen der Zeit erliegt. Und wer darauf setzt, dass sich eines Tages ein Gen finden wird, das Kriminalität stiftet, und dass es also möglich sein wird, früh- und rechtzeitig die kriminelle Spreu vom redlichen Weizen zu scheiden, gibt sich einer Illusion hin. Verstöße gegen die Gesetze genannten Verabredungen, die ein leidliches Zusammenleben ermöglichen sollen, haben nicht nur eine Wurzel.

Es wird irgendwann wieder einen Menschen geben, der sich eine erfolgreiche Erpressung der Deutschen Bahn ausrechnet. Der sieht die Fehler, die Klaus-Peter S. begannen hat, vermeidet sie - und begeht neue, andere. Zlof, der Oetker-Entführer, hatte fabelhaft studiert und kalkuliert. Doch dass Hinweise aus seinem persönlichen Umfeld kommen und die Identifikation seiner Stimme ermöglichen könnten, hatte er nicht auf der Rechnung. Was hat die Flick-Affäre, was hat der Strafprozess gegen von Brauchitsch, Friderichs und Lambsdorff bewirkt? Dass man gewitztere andere, neue Wege zur Finanzierung und Umgehung der Gesetze suchte und gefunden zu haben meinte ...

Was aber, wenn die populären, den Wählern bescherten Verschärfungen der angedrohten Strafen und sogar die Todesstrafe nichts bewirken? Das ist ein anderes Thema der Einübung. Zu dem hat der große Jurist Adolf Arndt 1968 gesagt: "Die Frage des Strafens entsteht dort, wo die Welt nicht mehr heil ist, weil von Menschenhand ein Urteil geschah, das sich von Menschenhand nicht wieder heilmachen lässt. Die Frage des Strafens erhebt sich vor uns dort, wo uns Gerechtigkeit unerreichbar wurde."

Diese Kolumne erscheint künftig alle zwei Wochen. Gerhard Mauz, langjähriger Gerichtsreporter des "Spiegel", dem er heute noch als Autor verbunden ist, wird sein Augenmerk richten auf Strafprozesse, Gesetzesinitiativen und Rechtsreformen.

Gerhard Mauz[Sabine Zehmiger], Thomas Jander

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false