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Gesundheit: Wenig zu vererben

Warum stirbt einer früh, während ein anderer 100 Jahre alt wird? An den Genen allein liegt es offenbar nicht

Methusalem wurde laut biblischer Erzählung 969 Jahre alt. Bewiesen ist das nicht, denn damals gab es so etwas wie Geburts- oder Sterberegister noch nicht. Die nachweisbare Rangliste der ältesten Menschen führt laut Guinnessbuch der Rekorde Jeanne Louise Calment an: Die Französin starb im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen und definiert damit die Grenze dessen, wie alt ein Mensch werden kann. Obwohl Forscher weltweit auf der Suche nach dem Methusalem-Gen sind, einem Gen, das ursächlich für das Altern ist, verlief die Suche bislang weitgehend ergebnislos. Jüngste Forschungsergebnisse deuten sogar daraufhin, dass der Einfluss der Gene auf die Lebenserwartung gar nicht so groß ist – mit Ausnahme vielleicht von Familien, in denen auffällig viele Mitglieder sehr alt wurden.

„Keiner weiß, welchen Anteil Gene, Umwelteinflüsse oder Ernährung bei der Lebenserwartung die entscheidende Rolle haben“, sagt der Epidemiologe Kaare Christensen von der Universität von Süddänemark. Nur aufgrund der Tatsache, dass die eigene Großmutter über 90 Jahre alt wurde, könne man sehr wenig Rückschlüsse auf die eigene Lebenszeit ziehen.

Nachdem man lange geglaubt hatte, dass äußere Lebensumstände den entscheidenden Ausschlag geben, waren viele Forscher in den letzten Jahren der Meinung, dass der Mensch eine programmierte Lebenszeit habe und man die Veranlagung zu einem langen Leben erbe – wie die Merkmale Körpergröße oder Hautfarbe. Wie groß die Eltern sind, erklärt 80 bis 90 Prozent der eigenen Größe. An der Lebenszeit lasse sich also nichts verändern, außer man greife in das genetische Material ein, so die Vorstellung. „Aber nur ein Viertel der Variation der Lebenserwartung lässt sich überhaupt durch genetische Faktoren erklären“, sagt Jutta Gampe vom Rostocker Max-Planck-Institut (MPI) für demografische Forschung. „Langlebigkeit ist in keiner Weise so etwas wie das Merkmal Körpergröße, das man erbt.“ Der Mensch habe keine spezifische Lebenszeit – anders als das etwa der Stanford-Mediziner James Fries behaupte. Das sehe man schon daran, so sagt Gampe, dass sich alle bisherigen Prognosen zur Obergrenze der Lebenserwartung als nichtig erwiesen haben. Seit 1840 steige die Rekordlebenserwartung kontinuierlich um drei Monate pro Jahr, genetisch seien die Menschen aber gleich geblieben.

„Obwohl manche Gene als mögliche Kandidaten in Betracht gezogen wurden, konnte bisher nur bei einem einzigen Gen, der Erbanlage für das Eiweiß APO-E, ein geringer Einfluss auf die Lebenserwartung nachgewiesen werden“, schreibt Christensen mit Kollegen unter anderem vom Rostocker MPI im Fachblatt „Nature“ (Band 7, Seite 436). Die Lebensspanne sei jedoch Ergebnis sehr komplizierter Prozesse, bei denen möglicherweise Tausende von Genen und andere Faktoren eine Rolle spielten.

Lange wurde versucht, mit Familienstudien herauszufinden, wie stark der genetische Einfluss auf die Lebensdauer ist. Hier wurde eine moderate Häufung von Langlebigkeit in bestimmten Familien nachgewiesen – ein mögliches Indiz für Vererbung. Unklar war aber, ob die Mitglieder einer Familie so alt werden, weil sie die gleichen Gene haben oder weil sie in einer ähnlichen Umwelt leben. Daher arbeiten Alternsforscher heute lieber mit Zwillingsstudien, eineiigen und zweieiigen. Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, während zweieiige nur so nah verwandt sind, wie es Geschwister sind.

Wären vor allem die Gene für die Langlebigkeit von Menschen die Ursache, wie das etwa bei der Körpergröße der Fall ist, ließen sich neuere Studien über Zwillinge nicht erklären. Deren Ergebnisse veröffentlichte ein Team um Kaare Christensen und den Rostocker MPI-Direktor James Vaupel im Magazin „Human Genetics (Band 119, Seite 312). Die Forschungen ergaben beispielsweise, dass selbst eineiige Zwillinge zu unterschiedlichen Zeitpunkten starben, im Durchschnitt sogar mehr als zehn Jahre nacheinander.

Die Wissenschaftler haben die Daten aller Zwillinge aus Dänemark, Finnland und Schweden untersucht, die zwischen 1870 und 1910 geboren wurden und damit zum Zeitpunkt der Studie, also 2004/2005, fast alle schon gestorben waren. Dabei konzentrierten sie sich auf Zwillinge des gleichen Geschlechts, um dem Problem aus dem Weg zu gehen, dass Frauen in der Regel länger leben als Männer. 11 230 weibliche und 9272 männliche Zwillingspaare blieben so übrig, identische und nicht identische, die miteinander verglichen werden konnten. „Wir haben es geschafft, den genetischen Faktor herauszu- kristallisieren“, sagt Christensen.

Warum ein Mensch ein bestimmtes Alter erreiche, erklärten statistisch gesehen zu je einem Viertel genetische Faktoren und solche, die früh im Leben zu finden sind. Früh bedeutet für Alternsforscher im Alter vor 50. „Das können Impfungen und Kindersterblichkeit sein, aber auch die Art der Erziehung oder welchen Beruf man ergreift“, erklärt Gampe. Die komplette andere Hälfte, und das erstaunte die Forscher, gehe auf Dinge zurück, die auch später im Leben noch veränderbar seien, wie etwa Ernährung oder Umwelteinflüsse. Am meisten überrascht habe, dass sich der genetische Einfluss hauptsächlich im sehr hohen Alter auswirke, sagt Christensen. „Der genetische Einfluss vor dem 60. Lebensjahr ist dagegen minimal.“ Auch Krankheiten, von denen angenommen wird, dass sie oft vererbt werden, waren genau das nicht. „Viele Krebsarten haben beispielsweise keine familiäre Komponente“, sagt Christensen.

Ist es theoretisch also möglich, unendlich zu leben? Das sagt zumindest der US- Forscher Michael Rose, der bekannt wurde mit seinen Experimenten an Fruchtfliegen. Der Evolutionsbiologe erzeugte Fruchtfliegen, deren Lebenszeit doppelt so lange war wie üblich. Laut Rose ist es biologisch möglich, den Alterungsprozess immer weiter hinauszu- schieben. Es gebe kein Gen, in dem der Tod eines Lebewesens programmiert ist. Der Übergang zur Spätphase des Lebens lasse sich zumindest im Labor vollständig manipulieren. Warum also nicht auch beim Menschen?

So weit würde die Alternsforscherin Jutta Gampe nicht gehen. Auch wenn in Tierversuchen Anzeichen gefunden wurden, dass sich die Geschwindigkeit des Alterns durch genetische Interventionen verlangsamen lasse: „Solche Ergebnisse haben sich beim Menschen noch nie reproduzieren lassen.“ Aber auch sie sagt, es gebe derzeit keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Grenzen des Alterns schon bald erreicht seien. „Auch ohne Methusalem-Gen sehen wir immer mehr Menschen, die ein sehr hohes Alter in guter Gesundheit erreichen.“ Es muss ja nicht gleich ein biblisches Alter sein.

Juliane Schäuble

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