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Gesundheit: Wenn die Therapie nach hinten losgeht

Bei jugendlichen Gewalttätern kann sie mehr schaden als nützen

Kann man jugendliche Gewalttäter fernab der Heimat durch Gruppentherapie eines Besseren belehren? Der schwere Zwischenfall in Griechenland hat diese Form der „Erlebnispädagogik“ in Misskredit gebracht. Auf der griechischen Halbinsel Peloponnes war in der letzten Woche ein 63-jähriger deutscher Sozialpädagoge von einem 14-Jährigen aus München, der in Griechenland resozialisiert werden sollte, den bisherigen Erkenntnissen zufolge hinterrücks mit einem Bolzenschussgerät umgebracht worden.

Doch ist die Gruppentherapie für jugendliche Straftäter schon längere Zeit umstritten. Das belegt eine umfassende Analyse, die in der Fachzeitschrift „American Psychologist“ vorgelegt wurde. Danach können bestimmte Formen der Therapie sogar systematisch schädliche Effekte erzielen. Gruppentherapie bei gefährdeten und antisozial handelnden Jugendlichen, so das Fazit, geht eindeutig „nach hinten“ los und verschlimmert unerwünschte Verhaltensweisen.

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich mehrere hundert Interventionsstudien, die mit dem Ziel unternommen wurden, gefährdete Jugendliche auf den Pfad der Tugend zurückzubringen. Bei etwa einem Drittel dieser Anstrengungen waren negative Wirkungen zu verzeichnen; die Maßnahmen erzielten das Gegenteil des Gewünschten. Dieser Anteil ist vermutlich noch zu niedrig, denn die Fachzeitschriften „unterschlagen“ gerne Studien mit Null- oder Negativbefund, geben Forscher um Thomas Dishion vom Oregon Social Learning Center im „American Psychologist“ zu bedenken.

Zu Straftaten ermutigt

Es gab schon länger Anzeichen, dass besonders Gruppeninterventionen, bei denen gefährdete Jugendliche gemeinsam therapiert werden, ihr Ziel verfehlen. Zudem machen die vorliegenden Langzeitstudien über die Entwicklung antisozialer Verhaltensweisen klar, dass Jugendliche „krumme Touren“ sehr häufig durch Vorbilder und Anregungen in der Freundesgruppe erlernen. In einer eigenen Studie analysierten Dishion und sein Team Videobänder, auf denen sich über 200 gefährdete Jungen mit ihren Gefährten unterhielten. Dabei beobachteten die Auswerter, dass die Freunde mit Lachen oder sonstigen Ermutigungen reagierten, wenn die Jungen von verbotenem Tun berichteten. Diese Verstärkung blieb nicht folgenlos: Die so Angestachelten hatten einige Jahre später mehr Beziehungsprobleme, waren gewalttätiger und wurden öfter verhaftet. Das galt auch, wenn andere Risikofaktoren wie eine brutale Erziehung berücksichtigt wurden.

Der Zusammenhang zwischen den Videomitschnitten und den späteren Regelverstößen erlaubte keinen Rückschluss auf die Ursache-Wirkungs-Beziehung. Zwei sorgfältig kontrollierte Interventionsstudien lassen jedoch keinen Zweifel mehr daran, dass die gemeinsame Therapie mit „ihresgleichen“ Halbstarke ins Abseits drängt.

Bei einer Studie organisierten amerikanische Forscher Teenagergruppen für gefährdete Jungen und Mädchen, in denen sie soziales Verhalten und Selbstkontrolle lernen sollten. Doch die zwölfwöchigen Bemühungen im Rahmen des „Adolescent Transitions Program“ schlugen fehl. Ein Jahr später erwiesen sich die Jugendlichen als aggressiver und leisteten sich mehr Regelverstöße als Vergleichsgruppen ohne die vermeintliche Hilfe. Drei Jahre später war die folgenschwere Wirkung immer noch nachweisbar.

Enttäuschende Prophylaxe

Bei einer weiteren Studie wurden jeweils 250 gefährdete Jungen im Alter von zehn Jahren nach Zufall in die Behandlungs- oder die unbehandelte Kontrollgruppe eingeteilt. Um die Behandlungsgruppe von der schiefen Bahn abzubringen, wurde sie fünf Jahre lang mit einem ganzen Potpourri von prophylaktischen Maßnahmen therapiert. Die erste Auswertung direkt nach Ende des Programms, brachte keine Unterschiede ans Tageslicht.

Die schlimmste Entdeckung machten die Forscher jedoch, als sie ihre beiden Gruppen 40 Jahre später, in den mittleren Lebensjahren, nachuntersuchten. „Ausgerechnet die Jugendlichen, die die längste und intensivste Zuwendung erhalten hatten, waren am ehesten vor dem 35. Lebensjahr gestorben, hatten die schwersten Verbrechen begangen und wurden am häufigsten von Alkoholsucht und psychiatrischen Krankheiten heimgesucht.“

Der Autor der Nachuntersuchung machte sich Gedanken, wie dieser Bumerang-Effekt zustande kam. Vielleicht züchtete die Therapie bei den Jugendlichen eine seelische Abhängigkeit und Opferhaltung, die es ihnen schwerer machten, die Widernisse des Lebens zu bestehen. Doch das Dishion-Team fand etwas anderes: Just die Mitglieder der Therapiegruppe, die zu mehrwöchigen Sommercamps entsandt worden waren, hatten am schlimmsten über die Stränge geschlagen. Eine zusätzliche Entdeckung stellt das Können der Therapeuten in ein seltsames Licht: In den Fällen, in denen die Jugendlichen am massivsten abglitten, wurde das Verhalten der Therapeuten von Außenstehenden als besonders „kompetent“ erlebt.

Offenbar hat es auf schwierige Jugendliche nicht unbedingt einen guten Einfluss, wenn man sie mit ihresgleichen zusammenbringt. Die Autoren glauben, dass solche Maßnahmen „unter bestimmten Umständen unbeabsichtigt problematisches Verhalten verstärken“.

Noch ist nicht geklärt, wann es wirklich schadet, Jugendliche gruppenweise auf einen besseren Weg bringen zu wollen. Kleinere Kinder sind vermutlich weniger gefährdet. Jugendliche hängen dagegen stark von Gleichaltrigen ab. Einer Studie zufolge heimsen sie von ihnen neunmal so viel Anerkennung ein wie von Erwachsenen. „Gut gemeinte Hilfsmaßnahmen können ungewollt Schaden anrichten“, ziehen die Wissenschaftler Bilanz.

Die Studie im Internet:

www.apa.org/journals/amp/amp549755.html

Rolf Degen

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