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Gesundheit: Wie gesundheitsschädlich ist Radon? Oder ist es vielleicht sogar segensreich?

Wissenschaftler sind sich in dieser Frage nicht ganz einig..

Wissenschaftler sind sich in dieser Frage nicht ganz einig...Rosemarie Stein

Radioaktive Strahlen treffen uns ständig. Nicht erst seit den Atombombenversuchen, seit Tschernobyl oder seit die friedliche Nutzung der Kernenergie begann. Die Mumien der Pharaonen sind seit Jahrtausenden radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Bis zu 5800 Becquerel pro Kubikmeter wurden jetzt zum Beispiel in der Pyramide des Sechemchet in Sakkara gemessen. Aber selbst bei Fremdenführern, die den ganzen Tag in Grabanlagen zubringen, wird die Dosis von 20 Millisievert nicht überschritten, die für beruflich strahlenexponiertes Personal jährlich zulässig ist. Trotzdem rieten die ägyptischen Strahlenschutzexperten vorsichtshalber dazu, die Grüfte besser zu belüften.

Die hiesigen Strahlenschützer empfehlen für Keller deutscher Wohnhäuser dasselbe - als einfachste Maßnahme, falls irgendwo der Richtwert von 250 Becquerel pro Quadratmeter nur mäßig überschritten wird. Hier wie dort geht es um Radon. Das ist ein Kurzwort, das eigentlich Radiumemanation bedeutet. Denn Radon ist ein Produkt des radioaktiven Zerfalls von Radium, das seinerseits beim Zerfall von Uran entsteht. Die strahlenden Substanzen kommen fast überall im Boden vor, besonders häufig in kristallinem Gestein. Sie steigen auf und sammeln sich im Haus wie unter einer Käseglocke.

Den Stand des Wissens über Radon und die unterschiedlichen Mutmaßungen über die Risiken niedriger Strahlendosen diskutierten in Berlin Strahlenschutz-Fachleute erst zwei Tage lang miteinander und dann mit Vertretern der Öffentlichkeit bei einem Journalisten-Seminar des in Neuherberg ansässigen staatlichen "GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit". Denn Radon ist in Verruf geraten, seit man die "Schneeberger Krankheit" kennt: Bergleute, die jahrelang in uranreichen Gruben arbeiteten, wie etwa bei der Wismut AG. in Sachsen und Thüringen, bekamen überdurchschnittlich häufig Lungenkrebs.

Ob daraus auf eine Gefährdung der Bevölkerung durch weit niedrigere Radon-Dosen zu schließen ist oder nicht, darüber streiten sich die Gelehrten noch immer, wie sich jetzt wieder zeigte. Manche halten selbst die geringste Radonstrahlung für riskant und wollen nicht einmal eine Schwellendosis anerkennen, bis zu der keine Gefahr angenommen wird. Andere sprechen von einem Pseudo-Problem und nennen den ganzen Wirbel um Radon außerhalb der Bergwerke völlig übertrieben.

Auf das Einatmen von Radon samt seinen kurzlebigen radioaktiven Zerfallsprodukten Polonium, Wismut und Blei geht beinahe die Hälfte der natürlichen Strahlenexposition in Deutschland zurück. Insgesamt sorgen die natürlichen Strahlenquellen mit 2,4 Millisievert für den größten Teil der mittleren effektiven Jahresdosis durch ionisierende Strahlung. Mit 1,5 Millisievert folgt die medizinisch angewendete Strahlung (wobei die Radiologen selbst die Hälfte aller Röntgenaufnahmen als überflüssig bezeichnen), danach mit 2,27 Millisievert die Belastung beruflich Exponierter. Und ganz unten rangiert mit 0,05 Millisievert die Strahlenbelastung durch die Kerntechnik, Reaktorunfälle inbegriffen.

Die Stärke der Radonstrahlung hängt von der geologischen Beschaffenheit einer Region ab, schwankt in Deutschland also erheblich. Angemar Siehl, Geologe an der Universität Bonn, nannte die Radon-Karte Deutschlands einen "irrlichternden Flickenteppich". Erhöhte Werte misst man in Gebirgsgegenden wie der Oberpfalz, dem Bayerischen Wald, dem Erzgebirge und dem Schwarzwald. Die "kritischen Flächen" in Deutschland sind durch neue, genauere Messungen etwas kleiner geworden, sagte Hans E. Landfermann vom Bundesumweltministerium. Eine Radon-Datenbank ist im Werden. In fast hunderttausend Häusern hat man die Radonkonzentration schon gemessen. Einige besonders belastete wurden höchst aufwendig saniert, das heißt, ventiliert und radonsicher isoliert und abgedichtet, berichtete der Homburger Biophysiker Gert Keller.

"Und wenn das Haus dann saniert ist, sitzen die Bewohner womöglich drinnen vorm Fernseher und rauchen", spottete Heinz-Jörg Haury vom GSF-Forschungszentrum. Dass 80 Prozent der Lungenkrebssterbefälle aufs Konto Rauchen gehen, ist unbestritten. Radon könnte sieben Prozent verursachen, meinte H.-Erich Wichmann vom GSF-Institut für Epidemiologie. Andere Wissenschaftler bezweifeln ein so hohes Risiko. Die noch unveröffentlichte Schneeberg-Studie ergab für Frauen in radonbelasteten Wohnungen eine signifikant erhöhte Lungenkrebsgefahr erst von 1500 Becquerel pro Quadratmeter an. Aber Jürgen Conrady, der zu diesem Resultat kam, urteilte: "Alle Studien haben solche Schwächen, dass man noch keine Schlüsse auf den Grad der Gefährlichkeit niedrig dosierten Radons ziehen kann."

Und was ist mit der Radonkur für Rheumatiker? Eine Badekur bringe den Patienten keine höhere Strahlenbelastung als ein Millisievert, was der Durchschnitts-Strahlenexposition eines Jahres zu Hause entspreche, sagte Landfermann. Stärker ist die Belastung bei der Inhalationstherapie, zum Beispiel in den Gasteiner Stollen. Aber Befürworter der Radonkur wie Werner Schüttmann (Berlin) argumentierten, selbst wenn das Lungenkrebsrisiko für die - in der Regel älteren - Patienten erhöht sein sollte, würden sie die Krankheit wegen der langen Latenzzeit gar nicht mehr erleben.

Selbst das geringste Risiko akzeptieren die Strahlenschützer aber nicht, solange der Nutzen der Radontherapie nicht nachgewiesen ist. Darum bemüht man sich seit Jahren, vor allem in Russland. Dort werden Krankheiten des rheumatischen Formenkreises wie etwa der Bechterew auch außerhalb der etwa 30 Radon-Kurorte behandelt, und zwar mit genau dosierbaren Radonzubereitungen. Eine dosisabhängige Wirksamkeit habe man nachweisen können, und es gebe sogar einige Doppelblindstudien, berichtete der frühere Direktor des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, Karl Aurand.

Er selbst war an einer Doppelblindstudie beteiligt: Im alten sächsischen Radon-Bad Schlema, das nach der Zerstörung durch die Wismut AG wiederbelebt wurde, untersuchte man die schmerzlindernde Wirkung von Radon-Wannenbädern beim Schulter-Arm-Syndrom. Die Hälfte der Probanden erhielt radonlose Warmwasserbäder, die andere Hälfte Radonbäder. Während der Kur zeigte sich zwar kein Unterschied; hinterher aber nahmen die Beschwerden in der Radon-Gruppe signifikant ab, in der Plazebo-Gruppe aber wieder zu. Diese Ergebnisse müssen nun durch weitere, methodisch einwandfreie Studien bestätigt oder widerlegt werden.

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