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Gesundheit: Wild auf ein schönes Spiegelbild

Die kosmetische Chirurgie hat mehr psychologische Vorzüge, als viele Kritiker wahrhaben wollen

Von Rolf Degen

„Schönheit ist ein offener Empfehlungsbrief, der die Herzen im Voraus für uns gewinnt“, stellte der Philosoph Arthur Schopenhauer fest. Menschen, die diesen Bonus mit Hilfe eines Schönheitschirurgen erringen wollen, müssen jedoch in unserer Gesellschaft mit Ressentiments und Vorurteilen rechnen. Die kosmetische Chirurgie steht im Verdacht, ein Sammelbecken für neurotische und narzisstische Persönlichkeiten zu sein, die mit dem Skalpell vor tiefer liegenden Problemen flüchten.

Überraschenderweise wird keine dieser Unterstellungen durch Forschungsergebnisse unterstützt. Die Einstellung zu Schönheitsoperationen ist allerdings durch eigenartige Widersprüche gekennzeichnet. Zwar stieg die Zahl kosmetischer Operationen in den vergangenen fünf Jahren allein hier zu Lande um 30 Prozent und dürfte inzwischen knapp eine halbe Million jährlich betragen. Dennoch lassen die meisten Befragten bei repräsentativen Umfragen abschätzige Urteile über diese Eingriffe und ihre Konsumenten vom Stapel. In einer aktuellen amerikanischen Erhebung stimmten zwei Drittel der Beschreibung zu, wonach ein typischer Kandidat für Schönheitsoperationen „unglücklich, eitel oder materialistisch“ sei.

Die gleichen Frauenzeitschriften, deren Anzeigenteil vor Inseraten von Schönheitskliniken überquillt, schreiben häufig negativ über derartige Eingriffe: Sie entwürdigten den weiblichen Körper zu einem Objekt der männlichen Fantasie, nährten unrealistische Ideale und gäben einem krankhaften Jugendlichkeitswahn Auftrieb.

Als die Schönheitschirurgie in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ihres Siegeszug begann, teilten viele klinische Psychologen und Psychiater diese negative Sicht, rekapituliert David B. Sarwer, Professor an der Universität von Pennsylvania. Die Anwärter wurden von den Experten in offenen Interviews nach ihren Motiven befragt. Dabei dichteten die Kliniker den Kandidaten oft schwere neurotische, „narzisstische oder psychotische Störungen an.

Kein Hässlichkeitswahn

Erst als die Forscher begannen, das psychologische Profil der „Patienten“ mit objektiven Persönlichkeitsfragebögen zu sondieren, löste sich dieses Zerrbild auf. Die Testergebisse lieferten keine Hinweise, dass der Wunsch nach einer Schönheitsoperation im Normalfall irgendwelchen unverarbeiteten Komplexen entspringt. „Uns bleibt nur der Schluss, dass die Mehrheit aller Patienten der kosmetischen Chirurgie keine psychischen Deformationen aufweist“, folgert Sarwer. Die Persönlichkeit von Menschen, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, lässt sich offenbar überhaupt nicht an einem psychologischen Raster festmachen. Vielleicht, so Sarwer, handelt es sich auch einfach nur um psychisch unauffällige „Tatmenschen“, die so stark motiviert sind, ihre äußere Erscheinung zu verbessern, dass sie dafür ein nicht beträchtliches Operationsrisiko eingehen.

Auch die „Dysmorphophobie“, der Wahn, hässlich zu sein, ist selten das entscheidende Motiv, sich operativ verschönern zu lassen. Die Opfer dieser Störung werden von eingebildeten oder künstlich aufgebauschten Entstellungen gequält. Angeblich leiden zwei Prozent aller Amerikaner (das wären immerhin rund fünf Millionen Menschen) an einer mäßigen oder schweren Ausprägung dieser Störung, als deren berühmtester Vertreter der Popstar Michael Jackson gilt. Sein „Nasenfetischismus“ hat den Verdacht bestärkt, dass der Hässlichkeitswahn viele Menschen in die Hände des Chirurgen treibt.

Der Psychiater Thomas Schläpfer, Professor an der Universität Bern sowie an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, hält diese Zahlen für übertrieben. Er wendet sich gegen eine „Ausfransung“ des Begriffs und beharrt auf der klassischen Definition, wonach die Dysmorphophobie ausschließlich für eine schwere, aber eher seltene psychische Erkrankung steht. Dem Leiter der Abteilung für Plastische Chirurgie am Münchener Krankenhaus Bogenhausen, Wolfgang Mühlbauer, sind in seiner 30-jährigen Tätigkeit gerade einmal 150 Menschen begegnet, die an Dysmorphophobie leiden, das ist gerade einmal etwa ein Prozent seiner Patienten.

Schöne verdienen mehr

Wenn das Klischee stimmt und die kosmetische Chirurgie lediglich an Symptomen „herumpfuscht“, kann sie unmöglich die vermutlich unrealistischen Erwartungen erfüllen. Tatsache ist jedoch, so Sarwer, dass die meisten Patienten sich sehr zufrieden äußern.

Wirklich überraschend an diesem günstigen Ergebnis ist jedoch, dass die Befriedigung außergewöhnlich lange anhält. In einer Untersuchung betrug der Anteil der Zufriedenen nach sechs Monaten stolze 70 Prozent. Vier Jahre nach dem Eingriff war die Quote sogar noch weiter angestiegen, auf 85 Prozent. Die vorliegenden Studien deuten einheitlich darauf hin, dass sich Menschen nach schönheitschirurgischen Eingriffen langfristig besser fühlen, wie die beiden Psychologen Shane Frederick und George Loewenstein von der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh hervorheben.

Damit unterscheidet sich die Zufriedenheit nach einer kosmetischen Operation deutlich von vielen anderen Freuden des Lebens, deren Effekt durch einen eigenartigen Mechanismus rasch „aufgefressen“ wird. Unsere Anpassungsfähigkeit ebnet mit verblüffend hoher Geschwindigkeit den belohnenden Effekt der Glücksfälle aber auch die quälende Wirkung von Schicksalsschlägen ein. In einer Studie beispielsweise hatte sich die Lebenszufriedenheit von Lottogewinnern und Querschnittsgelähmten sechs Monate nach dem Ereignis angeglichen.

Irgend etwas an einer erfolgreichen Schönheitsoperation macht offenbar ungewöhnlich lange froh. Vielleicht liegt es daran, dass gut aussehende Menschen in vielen Lebensbereichen Vorteile genießen. In manchen Berufen bekommen attraktive Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen um fünf bis neun Prozent höhere Gehälter. Das könnte auch eine Erklärung sein, warum sich das Ressentiment gegen solche Eingriffe hält, gab kürzlich das US-Magazin „New Republic“ zu bedenken: „Wenn andere Menschen plötzlich besser aussehen – und auch noch mehr verdienen –, dann steht man selbst mit einem Male weniger gut aussehend da und hat zudem noch schlechtere Verdienstchancen.“

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