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Gesundheit: „Wir konnten den Wohnort einkreisen“

Fallanalytiker entwerfen ein Porträt des Täters und erleichtern so die Suche – Interview mit Harald Dern, einem deutschen „Profiler“

Seit den siebziger Jahren setzt die amerikanische Polizei „Profiler“ ein. Sie helfen, Morde aufzuklären, analysieren die Tat und entwickeln einen Merkmalskatalog des Täters für die Fahndung. Seit vier Jahren gibt es „Profiler“ auch in Deutschland, bei uns Fallanalytiker genannt. Harald Dern gehört zu den Männern der ersten Stunde im Bundeskriminalamt Wiesbaden.

Was macht ein Fallanalytiker?

Die operative Fallanalyse wird vor allem bei Tötungsdelikten eingesetzt. Sie beruht auf der Idee: Wer tötet, hinterlässt Spuren, die auf ihn als Täter hinweisen. Diese Spuren analysieren wir und rekonstruieren den chronologischen Ablauf der Tat, wie wir ihn für wahrscheinlich halten. Der Tathergang lässt Rückschlüsse auf die Motive des Täters zu. Wir versuchen also, das Verhalten zu klassifizieren. Zum Beispiel in einen Sexualmord, ein persönlich motiviertes Verbrechen oder einen Raubmord. Dann erstellen wir ein Täterprofil. Aber auch dieses ist, wie jeder andere Teil unserer Arbeit, eine gut geprüfte Hypothese, solange die Tat nicht aufgeklärt ist. Im Täterprofil umreißen wir unsere Vermutungen über physische Eigenschaften des Täters wie Alter und Geschlecht, aber auch über Ausbildung, Verhaltensstil, Vorstrafen und Lebenssituation.

Was machen Sie mit den Informationen?

Sie gehen an die Polizeidienststelle, die uns um Unterstützung gebeten hat, und sie sollen dort helfen zu entscheiden, in welche Richtung man vorrangig ermittelt.

Können Sie das konkretisieren?

Die Frage ist zum Beispiel: Soll man nach einem Täter suchen oder nach mehreren? Ist das Opfer am Fundort getötet oder nach der Tat dorthin gebracht worden? Die Antwort auf diese Frage ist bei der Suche nach Zeugen wichtig. Wohnt der Täter in der näheren Umgebung des Fundortes oder nicht?

Warum braucht man Spezialisten, um solche Fragen zu beantworten. Ist das nicht die normale Aufgabe einer Mordkommission?

Es kann im einzelnen Fall sehr schwierig sein, die wahrscheinlichste Art und Weise zu rekonstruieren, wie ein erster Kontakt zwischen Täter und Opfer zustande gekommen ist, wie die Überwältigungsphase abgelaufen ist, wie die Tötung und die Flucht. Die Fallanalyse ermöglicht es, die Fakten ganzheitlich zu betrachten und zu bewerten. Fallanalytiker sind nicht in Ermittlungen eingebunden, sie können sie aber ergänzen.

Sie sprechen immer von mehreren Fallanalytikern.

Wir sind überzeugt: Eine solch komplexe Aufgabe kann nur ein Team bewältigen. Wir sitzen dann drei bis fünf Tage von morgens bis abends zusammen.

Sie sind im März 1998 gebeten worden, den Mord an der elfjährigen Christina Nytsch aus Niedersachsen aufklären zu helfen.

Ein wichtiges Ergebnis unserer Fallanalyse war, dass der Mörder im Umkreis von zehn bis 15 Kilometern vom Tatort wohnt. Zunächst war man von einem überregionalen Täter ausgegangen. Wir hatten den Verdacht, der Täter ist bei der Tat unter Stress geraten, vielleicht gestört worden. Denn er hatte die Tatwaffe, ein Messer, in der Nähe des Tatorts offenbar rasch entsorgt. Er wollte nach Hause flüchten, so unsere Hypothese, wo er sich sicher fühlte. Auf dem Weg dorthin hat er sich noch Christinas Rucksack entledigt. Diese postulierte Abfolge der Handlungen ermöglichte, den mutmaßlichen Wohnort des Mörders einzukreisen und dann auch die Speicheltests durchzuführen. Dazu muss ja die Zahl der Personen begrenzt sein. Speichelprobe 3889 führte dann zu dem Familienvater Ronny Rieken. Es stellte sich heraus, daß er zwei Jahre zuvor schon ein 13-jähriges Mädchen getötet hatte.

Ist Ihre Arbeit auch präventiv?

Auf jeden Fall. Wir versuchen auch einzuschätzen, wie gefährlich ein Täter ist. Bei dem Mord an einem zwölfjährigen Mädchen in Heidelberg stellte sich die Frage, ob die Tat mit dem versuchten Mord an einer Neunjährigen zusammenhing, für den es allerdings einen anderen Verdächtigen gab. Das Ergebnis: Es handelte sich um denselben Täter. Mit unseren Hypothesen über Wohnort, frühere Auffälligkeiten und Vorstrafen konnten die Ermittlungen auf die richtige Person fokussiert werden. Der Mann hatte außerdem eine 27-jährige Frau getötet, und er hätte vermutlich weiter gemordet.

Das Gespräch führte Nicola Siegmund-Schulze.

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