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Gesundheit: Wissen hat seinen Preis

Studiengebühren statt Vermögensteuer: An einer Kostenbeteiligung der Studenten führt kein Weg vorbei

„Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen“, sagt Gretchen zu Faust im „Religionsgespräch“. Dasselbe könnte man zu dem Vorschlag einiger sozialdemokratischer Ministerpräsidenten sagen, durch eine Vermögensteuer einen Teil der Bildungsausgaben zu bestreiten. Es klingt ja zunächst durchaus plausibel, dass man die mehr oder minder Reichen stärker zur Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben heranziehen sollte. Doch bei näherer Betrachtung stellen sich Zweifel ein.

Abgesehen davon, dass eine Vermögensteuer, die nur in einigen Ländern erhoben wird, zur Kapitalflucht in andere Länder führen dürfte: Wer garantiert eigentlich, dass die Einnahmen aus der neuen Steuer wirklich der Bildung und nur der Bildung zugute kommen? Müsste aus dem Ertrag nicht erst einmal der große bürokratische Aufwand finanziert werden, den die Wiedereinführung der (seit 1996 aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr erhobenen) Vermögensteuer erfordert? Und selbst wenn die neue Steuer der Bildung nützen sollte, würde das die zu erwartenden Nachteile für die Konjunktur aufwiegen?

Über eine angemessene Verteilung der Bildungskosten streitet die Sozialdemokratie, seit es sie gibt. Als sie in ihrer Frühzeit „unentgeltlichen Unterricht in allen Bildungsanstalten“ verlangte, meldete ein Mann, der in der Partei großes Ansehen genoss, energischen Widerspruch an. Er stieß sich an dem Wort „alle“ und verwies auf ein abschreckendes Beispiel: die USA. „Wenn in einigen Staaten der letzteren auch ,höhere’ Unterrichtsanstalten ,unentgeltlich’ sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten.“

Der Kritiker hieß Karl Marx. Das Dokument, mit dem er sich auseinander setze, stammte vom März 1875. Es war der Entwurf des Gothaer Programms der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, die sich seit 1891 Sozialdemokratische Partei Deutschlands nennt.

„Den höheren Klassen die Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten“: Das Verbot von Studiengebühren für das Erststudium, ein wesentlicher Bestandteil der Novelle zum Hochschulgesetz vom August 2002, wäre von Marx erst recht mit diesem Verdikt bedacht worden. Der Vater des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ hätte gewiss den Satz unterschrieben, dass es nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf, ob der Sohn oder die Tochter zum Studium zugelassen wird. Den Vorschlag, die Gesamtheit der Steuerzahler solle auch denen das Studium in Gänze bezahlen, die sehr wohl in der Lage wären, einen finanziellen Beitrag zu den Studienkosten zu leisten, hätte er im Sinne seiner „Kritik des Gothaer Programms“ als Klassenpolitik zugunsten der ohnehin Privilegierten bewertet.

Marx hat sich in vielem geirrt. Doch wo er recht hat, hat er recht. Akademiker verdienen im Lebensdurchschnitt sehr viel mehr als Nichtakademiker. Eine nichtakademische Berufsausbildung kostet Geld. Für Kurse zur Erlangung des Meistertitels muss man zwischen 5000 und 8000 Euro veranschlagen, wozu noch Prüfungsgebühren in Höhe von etwa 650 Euro kommen. Die Ausbildung zum Juristen, Arzt oder Gymnasiallehrer hingegen ist kostenlos. Warum? Sind Handwerksberufe und andere Berufe, die keinen Universitätsabschluss erfordern, gesellschaftlich weniger wichtig als akademische Berufe?

Der Einwand, die Gesellschaft brauche hochqualifizierte Akademiker und müsse deshalb auch für die Kosten ihrer Ausbildung aufkommen, überzeugt nicht. Denn die Gesellschaft braucht auch tüchtige Handwerkerinnen und Handwerker, und die müssen für den Abschluss ihrer Ausbildung viel Geld bezahlen.

Wenn Akademiker, wann auch immer, einen Beitrag zur Finanzierung ihres Studiums leisten müssten, würden sie immer noch im Durchschnitt sehr viel mehr verdienen als Nichtakademiker. Die progressiv gestaffelte Einkommensteuer ändert an diesem Sachverhalt nichts; sie ist keine Bildungssteuer, sondern ebenso bildungsneutral, wie es eine Vermögensteuer wäre. Der materielle Vorteil, den eine akademische Ausbildung abzuwerfen pflegt, soll auch gar nicht beseitigt werden. Er soll nur mit dem Gebot der Gerechtigkeit im allgemeinen und der Gerechtigkeit bei den Ausbildungskosten im besonderen verträglich gemacht werden.

So viele Studenten wie nie zuvor

Das Thema „Studiengebühren“ ist deswegen so dringlich, weil Deutschlands Universitäten ohne zusätzliche Finanzmittel vom Kollaps bedroht sind. „So viele Studenten wie nie zuvor“ – so oder so ähnlich lauteten Ende November 2002 Schlagzeilen deutscher Tageszeitungen. 1,945 Millionen Hochschüler ermittelte das Statistische Bundesamt zu Beginn des Wintersemesters 2002/03. Die Studienanfängerquote beläuft sich zur Zeit auf 37,5 Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung: eine Rekordzahl, schon ganz nahe an der vom Bundesbildungsministerium genannten Zielgröße von 40 Prozent.

So erfreulich die Fortschritte in Richtung Wissensgesellschaft sind, die Aufwendungen für die Hochschulen halten mit dem Anstieg der Zahl der Studierenden in keiner Weise Schritt. Den Universitäten wird zugemutet, mit einer schrumpfenden, bestenfalls gleichbleibenden Zahl von Lehrenden immer mehr Studierende zu betreuen: ein Ansinnen, das nur auf Kosten der Qualität der Ausbildung gehen kann, der Zielvorgabe „Wissensgesellschaft“ also strikt widerspricht. Angesichts leerer Kassen auf mehr Geld vom Staat zu hoffen, ist aberwitzig. An einer Kostenbeteiligung derer, die vom Studium profitieren, führt also kein Weg vorbei.

Wie könnte eine Kostenbeteiligung aussehen, die dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit entspricht? Es gibt mittlerweile viele Modelle, die sich an diesem Grundsatz ausrichten. Aber keines erscheint in sich so schlüssig wie jenes, das 1989 von einer Regierung der Labour Party in Australien eingeführt wurde.

Das „Higher Education Contribution Scheme“ (HECS) stellt es den Studierenden frei, ob sie zeitgleich mit dem Studium oder später eine Studiengebühr zahlen wollen (sie lag 1997 bei etwa 1500 Euro pro Jahr). Gleichzeitige Bezahlung bewirkt einen Nachlass von 25 Prozent. Die spätere Bezahlung beginnt in dem Augenblick, wo die Absolventen das durchschnittliche, steuerpflichtige Jahreseinkommen eines berufstätigen Australiers erreicht haben. Die Studiengebühren werden im zweiten Fall durch einen zinsfreien Kredit beglichen. Es wird ratenweise zurückbezahlt, wobei zum Darlehen ein Inflationsausgleich hinzukommt. Wird das Durchschnittseinkommen nicht erreicht, entfällt die Rückzahlungspflicht.

Mehr als ein Fünftel des Hochschulbudgets darf, über das HECS nicht aufgebracht werden. Dem Staat ist es also verwehrt, sich seiner Pflichten gegenüber den Hochschulen zu entledigen.

Das ursprüngliche HECS sah eine einheitliche Studiengebühr für alle Fächer vor, und das war auch gut so. Die später eingeführte Differenzierung nach Fächern bewirkte einen Run auf die „billigen“ Geistes- und Sozialwissenschaften – ein Effekt, den weder die Gesellschaft noch die Universitäten wollen können. Natürlich müsste das australische Modell, bevor man es vermutlich in abgewandelter Form, in Deutschland einführt, gegen Missbrauch gesichert werden. Ein Missbrauch wäre es, wenn ein Land die neue Finanzierungsquelle zur Absenkung eigener Aufwendungen für die Hochschulen benutzt. Eine Selbstverpflichtung von Landesregierung und Landesparlament, dies nicht zu tun, müsste mit jeder Art von Kostenbeteiligung der Absolventen, also auch einer nach dem Vorbild Australiens, verbunden sein. Zu einer Kostenbeteiligung könnte gesetzlich nur verpflichtet werden, wer jetzt oder künftig studiert. Wer früher studiert hat und jetzt die materiellen Früchte seines Studiums in Gestalt eines überdurchschnittlichen Einkommens genießt, kann zur nachträglichen Zahlung von Gebühren nicht gezwungen werden. Ganz wird sich diese Gerechtigkeitslücke nicht schließen lassen, teilweise aber durchaus.

Stellen wir uns vor: Viele angesehene Persönlichkeiten, an ihrer Spitze der Bundespräsident, rufen die „älteren Semester“ auf, solidarisch auch ihr Scherflein zur Behebung der Finanznot der deutschen Hochschulen beizutragen. Ungehört würde ein solcher Appell an zivilgesellschaftliches Engagement wohl nicht verhallen. Ein Nationaler Bildungsfonds könnte die einfließenden Beträge verwalten und entsprechend einem nachprüfbaren „Ranking“ auf Hochschulen und Fachbereiche verteilen. Auf diese Weise würde auch noch der Leistungswettbewerb zwischen den Universitäten und den Fächern kräftig gefördert.

Die Bildungspolitiker mauern

Eine überwiegend nachträgliche Kostenbeteiligung nach dem australischen Modell führt nicht dazu, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien vom Studium ausgeschlossen werden. Sie mindert die Ungerechtigkeit, die in der jetzigen Art der Hochschulfinanzierung liegt: der Finanzierung ausschließlich durch die Steuerzahler.

Die Verteidiger des Status quo, die unter sozialdemokratischen Bildungspolitikern besonders zahlreich vertreten sind, verdrängen die privilegierenden und diskriminierenden Wirkungen des derzeitigen Systems aus ihrem Bewusstsein: Begünstigt werden die jetzigen und späteren Bezieher höherer Einkommen; benachteiligt werden alle, die nicht in den Genuss einer akademischen Ausbildung gekommen sind oder kommen werden. Wer den gegenwärtigen Zustand mit dem Streben nach Gerechtigkeit zu rechtfertigen versucht, liefert ein Beispiel von falschem Bewusstsein. Auch dazu lässt sich bei Marx einiges nachlesen.

Wenn man sich bei den Generalisten der Sozialdemokratie umhört, stößt man kaum noch auf Einwände gegen eine Absolventenabgabe. „Gemauert“ wird nach wie vor von der Mehrheit der Bildungspolitiker. Aber die Bildungspolitik ist zu wichtig, als dass sie allein den Bildungspolitikern überlassen werden dürfte.

Viele von ihnen glauben oder wollen uns glauben machen, die Studierenden von heute repräsentierten ein gesellschaftliches „Unten“. In Wirklichkeit sind die Studierenden mehrheitlich die Besserverdienenden von morgen, also ein Teil des künftigen „Oben“. Eine Absolventenabgabe und freiwillige Einzahlungen in einen Nationalen Bildungsfonds würden ein Stück Umverteilung von oben nach unten bedeuten. Sie würden überdies zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen führen. Sie würden die Zivilgesellschaft und die Kultur des Wettbewerbs stärken.

Das apodiktische Nein zu jedweder Art von Studiengebühren ist ein klassischer Fall von Diskursverweigerung. Der gesellschaftliche Diskurs, der seit langem überfällig ist, geht aber über die Bildungspolitik weit hinaus. Er handelt von der Frage, was Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts bedeutet.

Die Antworten von gestern versperren dem Bewusstsein den Weg in die Zukunft. Die Blockade des Bewusstseins führt zu einer blockierten Gesellschaft. „Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein", heißt es bei Marx. Manchmal ist es auch umgekehrt.

Der Autor ist Professor für Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität.

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