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© EFE

Gletscherschmelze: Klimawandel beschert Surfern eiskalten Kick

Gerade erst trieb vor Australien ein inzwischen geschmolzener kilometergroßer, abgebrochener Eisberg. Doch der war schwer zu erreichen: Extremsportler ziehen aus dem Klimawandel ihren Vorteil – und surfen sogar auf Gletschereiswellen.

Juneau/Zermatt/Berlin - So geht die Menschheit also mit der Klimaerwärmung um: Die Mehrheit scheint den weltweiten Wetterwandel fatalistisch hinzunehmen, als ob die globale Erwärmung, die die Erde nach wissenschaftlicher Erkenntnis infolge der Industrialisierung in ihrer Existenz bedroht, unabwendbar sei. Und manche ziehen sogar ihren Vorteil aus Naturkatastrophen, Unwettern und Gletscherschmelze, die vielerorts schon Menschenleben kosten und Versicherungen teuer zu stehen kommen.

Europäische Windsurfer freuen sich dieser Tage über die die Schifffahrt bedrohenden, teils lauen Winterstürme und rasen selbst bei Schneetreiben und trotz Eisschollen am Ufer über die Wellen draußen auf der Nordsee. In Alpengletscherregionen ist es im Schnitt wärmer geworden – und Touristen machen schon Mountainbiketouren auf dem vermeintlich ewigen Eis in großer Höhe. Extrem-Wellenreiter haben in der Eiseskälte im Südosten Alaskas schon ihren Spaß an den Flutwellen, die entstehen, wenn Gletscher kalben und das herabfallende Eis riesige Wassermassen in Bewegung setzt.

Gerade erst trieb vor Australien ein inzwischen geschmolzener kilometergroßer, abgebrochener Eisberg, der war jedoch schlecht zu erreichen. Dort aber, wo die Gletscher an der Basis riesige Schmelzstücke verlieren, fasziniert das Naturphänomen Wellenreiter – sie suchten schon immer den besonderen Nervenkitzel. „Deswegen bin ich nach Alaska gekommen, das ist ein Rausch“, sagte Big-Wave- Surfer Keali’i Mamala aus Hawaii, nachdem er im dicken Trockenanzug auf seinem speziell designten Surfbrett die bis zu acht Meter hohe Mammutwelle vor der gigantischen Kulisse des weit über hundert Meter steil in die Höhe schießenden Child’s Glacier abgeritten war. „Aber, ganz ehrlich, meine Nackenhaare haben sich schon gesträubt.“ Sportpartner Garrett McNamara, der Mamala mit einem Jetski am Seil auf die Gletschereiswelle zog, drückte es so aus: „Die Naturgewalten sind so stark, als ob dir das Empire State Building auf den Kopf fällt. Das war wirklich das härteste Ding, was ich je gemacht habe.“ Die „Glacier-Surfing“-Szenerie aus dem Jahr 2007 schauen sich Wassersportler auf Internetplattformen wie Youtube immer wieder an.

Die Wellenreiter waren nach Aufnahmen für einen Imax-Naturfilm auf den Adrenalinkick aufmerksam geworden. Auf einer Homepage zu den „besten Gletschern am Straßenrand für Autofahrer“ wirbt ein großer Naturreiseveranstalter aus Alaska damit, dass der Child’s Glacier im Sommer sogar „alle 15 Minuten“ Eismassive verliert. Geduld braucht man trotzdem, eine innere Heizung und starke Nerven. Stundenlang und insgesamt über Wochen verharrten die Männer im Wasser, nahezu steifgefroren und unterkühlt, bloß um sich den lebensgefährlichen Kick zu geben. Es ist nicht abzuschätzen, wann genau der Gletscher kalbt, welche Masse wo herunterkommt, ob mitgespülte Steine und Eisbrocken einem das Brett unter den Füßen wegreißen, sagen Mamala und McNamara. „Es war, als explodierten Wasser und Eis völlig unberechenbar in der Luft.“ Der Jetskifahrer rettete dem Surfer nach Fehlversuchen oft das Leben. Auch Taucher gehörten zum Team.

Weil der menschliche Körper die Temperaturen in vormals unwirtlichen Regionen dieser Welt inzwischen einigermaßen verkraftet, hat sich auch in Island eine Surferszene etabliert. Wellenreiter Runar Ommarson nimmt „selbst Schmerzen wegen der Kälte in Kauf“, um von Eisschollen ins Wasser zu springen und den Gleitrausch zu erleben. „Aber die Kälte saugt dir die Energie aus dem Körper“, sagte er dem Surfmagazin „Tide“.

Ob Wellenreiter oder Windsurfer, Skifahrer oder Snowboarder – sie alle erleben den Klimawandel am eigenen Leib. Weil die Alpengletscher jährlich ein bis drei Meter in der Höhe schmelzen, noch dazu derzeit schwere Stürme den Wintersport erschweren, nehmen sie immer neue Risiken in Kauf. Sie wedeln trotz gefährlicher Seitenwinde am Berggrat, suchen abseits der Pisten letzte Tiefschneefelder. Weil in vielen Skigebieten selbst die hoch gelegenen Gletscher schon mit Kunstschnee beschneit werden, registrieren Mediziner schwere Skiverletzungen infolge des härteren Untergrunds. Neben dem Pitztal in Österreich hat auch die Skiregion Zermatt am Matterhorn den „Snowmaker“ eines israelischen Unternehmens in Betrieb. Er arbeitet im Unterschied zu Schneekanonen temperaturunabhängig und erzeugte Kunstschnee ursprünglich zur Kühlung von Diamantenbohrern in Afrika. Jetzt produziert er „Schnee“ zur Rettung des Wintersportgeschäfts. Denn lange, kalte, naturschneereiche Winter gibt es immer seltener.

Auch in den Bergen lässt die Klimaeerwärmung Urlauber, Einheimische und Touristiker kalt: Wintersportfirmen satteln still und leise auf Sommerartikel um. Auf den Alpengletschern müssen die Stützen der Schlepplifte immer wieder versetzt werden – denn das wegen der Erwärmung immer rascher wandernde Eis verschiebt die Träger.

Surfer Keali’i Mamala schwärmt vom Nervenkitzel im eisigen Alaska, der sei „all natural“. Ganz natürlich?

Annette Kögel

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