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Panorama: Glück? Das will jeder haben. Deshalb fallen jährlich Tausende Menschen auf üble Machenschaften herein

Wir hatten gewonnen. Eine Millenniumsreise durch drei Zeitzonen - Paris, New York, Las Vegas - inklusive Flug mit der Concorde und einem einwöchigen Aufenthalt in Las Vegas.

Wir hatten gewonnen. Eine Millenniumsreise durch drei Zeitzonen - Paris, New York, Las Vegas - inklusive Flug mit der Concorde und einem einwöchigen Aufenthalt in Las Vegas. Für zwei Personen. Wert: 34 500 Mark. Barauszahlung möglich. Umgehend riefen wir die angegebene Hotline an. Warteschleife. Nach vielen Minuten meldete sich eine freundliche Dame. "Einen Augenblick Geduld bitte." Wieder Warteschleife. Dann endlich die Bestätigung, dass wir zu den Gewinnern der zehn Millenniumsreisen gehören.

Wir öffneten einen Sekt und entschieden uns für die Barauszahlung. Wieder riefen wir die Hotline an. Und wieder Warteschleife. Als wir unseren Wunsch schließlich äußern konnten, musste die freundliche Dame nachfragen. Das Ergebnis einer langen Beratung: Wir müssen erst an einer Veranstaltung von "German Airlines", von der die Reisen verlost worden seien, teilnehmen, uns einige Videos von anderen attraktiven Reisen ansehen, und dann würde ein Mitarbeiter der Firma unsere Personalien und die Bankverbindung aufnehmen. Außerdem würde sich ein Herr Hartmann mit uns telefonisch in Verbindung setzen, um alles weitere genau abzusprechen.

Von Herrn Hartmann haben wir bis heute nichts gehört. Dafür von der Deutschen Telekom. Denn die umfassende und freundliche Beratung bei der Hotline war teuer. 3,63 Mark pro Minute kostete ein Anruf. Davon kassierte der Betreiber 2,89 Mark, wie die Deutsche Telekom auf Anfrage mitteilte. Das Geld schien uns gut angelegt zu sein. 34 500 Mark lockten.

Gut angelegt war das Geld mit Sicherheit für den Betreiber der Hotline, die German Airlines, eine Briefkastenfirma in Osnabrück. Laut Aussage des Pressesprechers der Staatsanwaltschaft Oldenburg, die die Ermittlungen gegen German Airlines koordiniert, werden solche Unternehmen nur wegen der Einnahmen aus der 0190-Nummer gegründet. Schnell käme, so Staatsanwalt Krause, eine Summe von 30 000 bis 40 000 Mark zusammen, denn Gewinnbenachrichtigungen würden quer durch die Bundesrepublik an Tausende Menschen verschickt. Die meisten Empfänger würden die Briefe zwar sofort in den Mülleimer schmeißen, aber vor allem ältere Leute fielen auf diese "Oma-Bescheißer-Firmen" herein.

Davon ahnten wir allerdings nichts. Fröhlich machten wir uns auf den Weg, um unseren Gewinn in Empfang zu nehmen. Pünktlich erschien ein Bus, der die Gewinner der Silvesterreise einsammelte. Im Bus saßen schon etwa zwanzig meist ältere Personen. Als an der nächsten Station die letzten Teilnehmer eingestiegen waren, erklärte uns der Fahrer, er sei von German Airlines beauftragt, uns an einen auch ihm selbst noch unbekannten Ort zu bringen. Wohin die Reise gehe, erfahre er demnächst via Handy. Auf Nachfrage gab er bekannt, die grobe Richtung sei die polnische Grenze, die Fahrt werde etwa anderthalb Stunden dauern. Bei einem Zwischenstopp wurden acht weitere Passagiere aus einem anderen Bus aufgenommen. Sobald sich unser Bus wieder in Bewegung gesetzt hatte, wurde abkassiert: Jeder sollte 9,99 Mark als Unkostenpauschale entrichten. An Bord waren nun 34 "Gewinner". Irgendwas konnte nicht stimmen.

Nach drei Stunden erreichten wir Meiersdorf, kurz vor der polnischen Grenze und der Ostsee. Kein Bahnhof, ein Taxi, ein Gasthof. Im Sommer mag Meiersdorf ganz idyllisch sein, im Winter ist der Ort trostlos. Das Lokal "Zum Ochsen" passt zu Meiersdorf. Wir wurden in einen halbdunklen Saal geführt. Zwei Tischreihen mit Stühlen, ein kleiner Tisch an einem Ende, zwei Standlautsprecher und ein weiterer, sehr langer Tisch, der abgedeckt war. Eine Schiebetür führte in einen gemütlicheren Raum. An den Tischen im Saal nahmen wir Platz. Unser Tischnachbar kontrollierte, ob wenigstens die Heizung angeschaltet war. Auf der Toilette schimpfte eine Frau vor sich hin. "Was für ein Loch, was für eine Schweinerei." Das Essen entsprach dem Ambiente. Das in der Gewinneinladung angekündigte "Gala-Dinner" entpuppte sich als Riesenbratwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln. Alternativ gab es für 5,50 Mark Aufschlag Königsberger Klopse. Die Getränke mussten wir selbst zahlen.

Ein Mann namens Nada

Nach dem Essen erschien der Hauptakteur. Er stellte sich als Spanier vor, 32 Jahre, glücklich verheiratet mit einem Kind. Seit zehn Jahren, erzählte Nada, sei er schon im Geschäft. Deshalb wisse er genau, was er seinen "Gästen" erlaube: Bei seinen Veranstaltungen würden die Teilnehmer nicht eingeschlossen, sondern könnten jederzeit gehen. Auch schlafen dürften sie, aber bitte nicht schnarchen. Allerdings könne er es nicht leiden, wenn seine "Gäste" ihm mit "ja, ja" antworteten; das bedeute nämlich in Hamburg "Leck mich am Arsch". Ebenfalls nicht leiden könne er solche Menschen, die seine Arbeit nicht zu würdigen wüssten, dann aber bei der Verteilung der Geschenke sich als erste die Taschen füllen ließen. "Meine Eltern", sagte der Spanier, "haben mir beigebracht: Nada, kriegst Du Gäste, erwarte, dass Deine Gäste sich auch benehmen wie Gäste. Bist Du der Gastgeber, sei ein korrekter Gastgeber. Deshalb will ich alles Mögliche tun, um mich als guter Gastgeber zu präsentieren. Aber ich erwarte auch, dass sich meine Gäste benehmen wie Gäste."

Mit uns war Nada anfangs überhaupt nicht zufrieden. Die Stimmung war ihm zu schlecht, wie auf dem "Hamburger Zentralfriedhof". Dabei würde er am Ende der Veranstaltung unsere Gewinnbenachrichtigungen einsammeln und an German Airlines weiterleiten. Dort würden dann die Gewinner ausgelost. Ansonsten könne er uns nur an das gute alte Sprichwort erinnern: "Abwarten und Tee trinken".

Wir sollten also abwarten, was Nada uns zu bieten habe, und das sei ausgerechnet heute etwas Besonderes, weil heute sein letzter Tag in diesem Lokal sein. Im nächsten Jahr würde er mit seinen Gästen Werksbesichtigungen inklusive Einkauf machen. Die an diesem Programm beteiligten Firmen, die auch zu den Sponsoren der Reise gehörten, würde er uns nun vorstellen. Dazu gehöre unter anderem die Firma WMF. Die Produkte hätten zwar ihren Preis, aber "Qualität kostet Geld". Wer nicht investiere, könne nicht gewinnen. Eine andere Firma sei Nivella, Solingen, von der er uns ein Profimesserset mitgebracht hat. Das sei etwas ganz Besonderes, die Messer seien schärfer als er selbst. Nada selbst war begeistert, als er uns "das große Fleischmesser, das Schinkenmesser, das Brotmesser, das kleine Kochmesser, das Schälmesser, das Universalmesser" vorführte. Das Zertifikat von Nivella bekäme selbstverständlich jeder Käufer.

Ein Ehepaar griff zu

Das nächste Produkt - ein Kollier der Firma Ebel, allerdings ohne echte Steine - führte Nada an einer üppigen Blondine vor. Dann kam der Höhepunkt, und Nada zog extra sein Jackett dafür aus: ein Luxus-Besteck, 72 Teile, Feingoldauflage von 180 Gramm plus Salatbesteck. Unverbindliche Preisempfehlung: 3978 Mark. Ebenfalls von "unserer Firma" Ebel, deren Produkte "in ganz besonderen Juweliergeschäften zu finden sind". Nur vier Personen von 34 dürften dieses Besteck erwerben, denn ihm stünden nur vier Urkunden des Hauses Ebel zur Verfügung. Wer zuerst käme, mahle zuerst. Dieses Luxusbesteck sei auch nicht für jeden, sondern nur "für besondere Leute". Und weil heute sein letzter Tag sei, würde er sein ganzes Angebot in Originalverpackung mitgeben, ohne einen Pfennig Geld zu sehen. Erst nach der Überprüfung zu Hause erfolge die Bezahlung von Bank zu Bank.

Danach ging es zu wie auf dem Hamburger Fischmarkt: Nada bot nicht nur seine Waren feil, sondern legte noch etwas zu. Zwei Ebel-Werkskarten und ein so genannter Roller 2000 waren mit im Angebot. Geschätzter Warenwert 6000 Mark. Aber er sage nicht sechs-, nicht fünf-, ja nicht einmal vier- oder 3999. "Nicht mal 3000" solle es kosten. Stattdessen packte er als Dankeschön noch eine Porzellantischlampe von Möbel Unger im Wert von 600 Mark oben drauf. Und war beleidigt, weil seine Gäste nicht begeistert reagierten. Erst als er uns zu einem Applaus genötigt hatte, machte er weiter. Er wolle keine 2.5, keine 2.4, keine 2.3, keine 2.2, keine 2.1, keine 2000 und keine 1999, sondern fügte als weiteres Dankeschön ein komplettes Gar- und Kochset der Firma WMF für 1200 Mark hinzu. Mit dem folgenden Applaus war er einigermaßen zufrieden. Und zu guter Letzt bot Nada seinen "Joker" auf - das Besteck von Ebel sollte es in zweifacher Ausführung geben. Daraufhin griff ein älteres Ehepaar zu; ein einzelner Mann konnte in der darauf folgenden Pause ebenfalls nicht widerstehen.

Wir gingen nach der Pause. Eine Visitenkarte wollte Nada uns nicht geben. Aus Meiersdorf wegzukommen, erwies sich als schwierig. Das einzige Taxi war über Stunden ausgebucht, Fahrer aus anderen Ortschaften weigerten sich, die weite Anfahrt in Kauf zu nehmen. Schließlich fand sich ein Taxi, das uns zum nächsten Bahnhof fuhr. Eine Frau aus Hannover schloss sich uns an; sie wollte in Vertretung für ihre kranke Mutter die 34 500 Mark in Empfang nehmen.

Die anderen "Gäste" harrten weitere zwei Stunden mit Nada aus. Von Frau B. erfuhren wir später, dass Nada noch einige der angeblichen Ebel-Kolliers unter das Volk brachte. Zum Schluss wurden die Gewinnbenachrichtigungen für die Millenniumsreise eingesammelt und Reisen an die Costa Brava verlost - von einer Firma, die sich noch in Gründung befand. Um halb zehn Uhr abends wurden die Teilnehmer wieder in Berlin abgeliefert. Frau B. hat bis heute nichts von German Airlines gehört; bei der Berliner Polizei wollte sie Anzeige erstatten. Die Anzeige wurde jedoch nicht angenommen, weil kein materieller Schaden entstanden sei. Dafür hat die Firma Ebel Uhren GmbH bei der Staatsanwaltschaft Hannover die so genannte Ebel Connection wegen betrügerischer Machenschaften angezeigt, denn mit der Firma Ebel haben die von Nada - und anderen - verkauften Produkte nichts zu tun.

Der Wahnsinn hat offenbar Methode: Am Wochenende wurde bekannt, dass die Polizei in einem Sammelverfahren auch gegen das Reiseunternehmen "TSI Tourist Service International GmbH" mit Sitz im bayerischen Piding wegen des Verdachts der Veruntreuung von Kundengeldern ermittelt. Das Unternehmen habe laufend Gewinnspiele veranstaltet, bei denen Reisegutscheine und komplette Reisen in Aussicht gestellt wurden. Nach Angaben der Polizei konnten einige Gewinner aber lediglich unter Reisen auswählen, deren Wert über dem des gewonnenen Gutscheins lag. Außerdem hätten "Gewinner" für eine Begleitperson den vollen und vermutlich überhöhten Preis bezahlen müssen. Inzwischen habe die Firma ihren Geschäftsbetrieb eingestellt.

Wir hingegen haben bereits die nächste Gewinnbenachrichtigung erhalten. Diesmal gratulierte uns Jackpot-Reisen, Essen, zu 1800 Mark, die wir uns bei einem Tagesausflug nach Polen abholen können.

Felix Gray

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