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Der schwarze Schwan. Er wurde von dem New Yorker Risikoforscher Nassim Taleb zum Sinnbild seltener Ereignisse erklärt.

© ddp

Glücksspiel: Das Leben ist Lotto

Alles kann passieren - morgen oder in einer Million Jahren. Die belanglose Welt des Glückspiels hält für gesellschaftliche Zukunftsprognosen eine Erkenntnis bereit.

Von Andreas Oswald

Das Lottospiel hält seit diesem Wochenende eine Lehre bereit, die weit über das kleine Universum der Zocker hinausgeht. Es geht um die Macht des Zufalls und die Wahrscheinlichkeit seltener Ereignisse. In der für die Geschicke der Menschheit gänzlich unwichtigen Welt des Lottos wurde stellvertretend mit Zahlen vorgeführt, was Zufall und Wahrscheinlichkeit bedeuten können. In der israelischen Lotterie wurden die gleichen sechs Zahlen gezogen wie schon einmal im Vormonat. Hätte vorher jemand vorhergesagt, dass so etwas demnächst passieren könnte, man hätte ihn entweder für einen Spinner gehalten oder ihm entgegengehalten, dass so etwas sehr unwahrscheinlich sei und allenfalls einmal innerhalb mehrerer Millionen Jahre vorkäme.

Zufall bei seltenen Ereignissen heißt, sie können in zwei Millionen Jahren passieren – oder morgen. Das landläufige Empfinden sagt dagegen, wenn sich etwas der Wahrscheinlichkeit nach einmal in zwei Millionen Jahren ereignen kann, dann geschieht es eben erst in zwei Millionen Jahren. Es ist eine fatale Verzerrung, der das menschliche Denken unterliegt. Ginge es nur um Lotto, wäre es nicht weiter schlimm. Aber genau diese Verzerrung kommt auch zum Tragen, wenn es bei Atomkraftwerken um die Verlängerung der Laufzeiten und um die Senkung der Sicherheitsstandards geht. Ein Gau bei einem Atomkraftwerk droht laut Wahrscheinlichkeitsberechnung innerhalb einer Million Jahre. Das sagt die bundeseigene deutsche Gesellschaft für Anlage- und Reaktorsicherheit (GRS). Falsch zu verstehende Beruhigungsargumente gab es auch vor der Finanzkrise, als US-Regierung und Banken, allen voran der damalige Chef der US-Notenbank Alan Greenspan, sagten, es sei unwahrscheinlich, dass der US-Häusermarkt zusammenbrechen werde. Wissenschaftler, die eindringlich vor den Finanzkonstruktionen der Investmentbanken in Bezug auf den Häusermarkt warnten, wurden ignoriert. Die Parlamentsbehörde, die für die Beobachtung von Risiken in den Finanzmärkten zuständig war, wurde sogar aufgelöst, weil sie Banken und Politik zu unbequem wurde.

Seltene Ereignisse lassen sich nicht durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen vorhersagen, schon gar nicht in ihrem Ausmaß. Diese Erkenntnis ist ein großes Verdienst des in New York lebenden Mathematikers und Risikoforschers Nassim Taleb. Sein Buch „Der Schwarze Schwan“ sagte eineinhalb Jahre vorher die Finanzkrise voraus. Aber nicht aufgrund von Wahrscheinlichkeitsrechnung sondern aufgrund seiner Kritik an Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Wirtschaftsprognosen von Banken und Regierungen. Schwarze Schwäne stehen dabei bildhaft für seltene extreme Ereignisse, die man sich vorher nicht vorstellen konnte oder wollte. In Europa konnte man sich nie vorstellen, dass es schwarze Schwäne geben könnte. Bis in Australien welche gefunden wurden. Daher kommt das Bild. Seltene extreme Ereignisse können nicht vorhergesagt und deshalb letztlich nicht verhindert werden, sagt Taleb. Niemand weiß, wie der nächste Schwarze Schwan aussehen wird. Die Warner wird man auch in Zukunft ignorieren. Das menschliche Denken, die Wahrnehmung und die selektive Aufmerksamkeit werden auch in Zukunft ein verzerrtes Bild von der Realität und der Zukunft liefern.

Was aber ist die Schlussfolgerung? „Robustheit“, sagt Taleb, der in diesen Tagen einen Ergänzungsband veröffentlicht hat. Was fragil ist, sollte früh zerbrechen können, solange es noch klein ist. Damit es nicht das Ganze in den Abgrund reißt. Banken zum Beispiel. Was Robustheit außerdem gefährde, seien staatliche und private Schulden. Bei hohen Schulden könne sich ein Fehler oder ein Unglück schnell zu einer Katastrophe auswachsen, einer Insolvenz oder einer Hyperinflation. Ein Plus auf dem Konto, „Geld unter der Matratze“, schaffe einen Sicherheitspuffer für den Extremfall.

Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen wegen Empfehlungen von Banken einen Teil ihrer Alterssicherung verloren haben und Pensionsfonds wegen falscher Prognosestrategien in Schieflage geraten sind, empfiehlt Taleb für die Vermögensanlage eine Hedging-Strategie, eine Art Versicherung, bei der der größte Teil des Vermögens sicher angelegt wird und allenfalls ein kleiner in riskante Anlageklassen fließt. Ironischerweise gelten Hedgingstrategien landläufig als riskant, weil Hedgefonds in letzter Zeit schlecht abgeschnitten haben und Spekulanten und Trader einen schlechten Ruf haben. Taleb bleibt bei seinen Anlagestrategien unpräzise. Tatsächlich aber können mechanische Handelssysteme mit strikten Verlustbegrenzungen einen Schutz vor katastrophischen Verlusten bieten. Der normale Anleger, wenn er gerade Aktien gekauft hat oder aus der Zeit des vorvorletzten Crashs noch ein paar übrig hat, könnte eine Stopp-Loss-Order aufgeben. Eine Order, die das Papier verkauft, wenn der Kurs unter eine bestimmte Schwelle sinkt. Beispielsweise 20 Prozent unter das letzte Bewegungshoch. Und diese Order immer wieder entsprechend nach oben anpassen, wenn der Kurs weiter steigt. Am Ende wird er irgendwann ausgestoppt, wenn der lange Aufwärtstrend zu Ende ist. Dann hat er ein gutes Stück davon mitgenommen, den Gewinn gesichert und einen katastrophalen Verlust beim nächsten Crash verhindert.

Niemand kann Zukunft vorhersagen. Aber es könnte nützlich sein, sich auf einiges gefasst zu machen. Wenn auch nicht unbedingt auf einen Lottogewinn.

Nassim Nicholas Taleb, Der Schwarze Schwan, Hanser, 24,90 €. Ergänzungsband „Der Schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise“, 14,90 €

Richard L. Weissman, Mechanische Tradingsysteme, Finanzbuchverlag, 39,90 €

Van K. Tharp, Clever traden mit System 2.0, Finanzbuch Verlag, München 2008, 475 Seiten, 44,90 €

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