zum Hauptinhalt
Ein unermesslich großer Haufen an dreckigem, stinkigem Müll

© Reuters

Hochwasserkastrophe auf dem Balkan: Die wild gewordene Bosna

Die Fluten der Bosna haben das Leben in der Kleinstadt Maglaj in Bosnien-Herzegowina völlig verändert – und nun drohen auch noch Seuchen. Eine Reportage.

Es war ein normaler Regen. Nichts deutete darauf hin, dass er die Bosna zu einem bösen Fluss machen würde, der den Menschen gefährlich werden könnte. Der Regen dauerte nur einfach sehr lange. Es war so, als hätte der Winter, der diesmal in Bosnien-Herzegowina praktisch ausgeblieben war, nun doch als Frühlingsunwetter getarnt, das Land heimgesucht.

In Maglaj stieg die Bosna zunächst bis zu den Böschungen. Dann überschwemmte sie die Straße, die am Fluss entlangführt. In der Nacht zum 15. Mai erreichte sie dann die Arbeitersiedlung hinter der Straße, ein lang gezogenes Haus mit vielen Wohneinheiten, Balkonen und Rosengärten. Niemand hatte die acht Familien, die hier leben, gewarnt. Der Strom fiel aus. Es wurde dunkel. „Das war das Schlimmste“, erzählt Amela K. „Wir konnten nicht mehr sehen, wie weit der Fluss schon zu uns vorgedrungen war.“

In Maglaj, einer Stadt mit etwa 25 000 Einwohnern in Zentralbosnien, die unterhalb einer alten Festung liegt, starben durch das Hochwasser zwei Menschen. Der Fluss schwappte einfach über die Stadt und flutete Tonnen an Schlamm in die Wohnungen, er schwemmte schweres, dickes Treibholz an, das gegen die Zäune krachte und diese zerstörte. Nur die wunderschöne osmanische Moschee, die etwas höher gelegen auf der anderen Seite des Flusses liegt, konnte das Wasser nicht belangen.

Es riecht nach Fäulnis

Seit Tagen schaufeln Soldaten und freiwillige Helfer den Schlamm aus den Wohnungen. Nach dem kalten Regen ist es furchtbar schwül in Maglaj. Auf den Gesichtern derer, die hier Müll aufräumen und Wohnungen putzen, steht der Schweiß. Es riecht nach Fäulnis. Die Bosna hat sich zwar wieder beruhigt und zurückgezogen, doch nach dem Abrinnen des Wassers liegt nun der gesamte Hausrat, Decken, Kleidungsstücke, Möbel, ein unermesslich großer Haufen an dreckigem, stinkigem Müll, in der Stadt herum.

Aufräumarbeiten in Maglaj

© Reuters

Nerminka Vilaševic war in der Nacht, als die Bosna ihre Wohnung flutete, zu ihrer Tochter geflohen. Ihr Mann war alleine zurückgeblieben. Herr Vilaševic saß in dem kleinen Zimmer im Rollstuhl und starrte auf das Foto seiner Tochter, das dort an der Wand hängt. Er spürte von Minute zu Minute das Wasser um seine Beine steigen. Jede halbe Stunde kletterte es in dieser Nacht um 25 Zentimeter höher. Irgendwann würde es sogar das Bild seiner Tochter erreichen. Herr Vilaševic konnte nicht mehr aus dem Zimmer hinaus, den Rollstuhl nicht mehr bewegen. Als die Nachbarn flohen, erinnerten sie sich an den Mann in dem Rollstuhl, sie pressten die Tür auf und trugen ihn aus dem Haus. Da reichte das Wasser bereits bis zu seinem Nabel. Kurze Zeit später wäre es zu spät gewesen. „Ich habe all meine Sachen verloren“, sagt nun seine Frau Nerminka. Nur der Elektroherd steht noch in der Wohnung. Von diesem kann sie aber nicht wissen, ob er noch funktioniert. Denn es gibt noch immer keinen Strom in Maglaj.

Zwischen den Häusern lagern zerfetzte Sofas, Treibholz und zerstörte Möbel. „Die Gefahr ist, dass Seuchen ausbrechen können“, sagt Merzida D., die als Freiwillige mit der bosnischen Armee beim Aufräumen hilft und ihren Mundschutz zurechtzupft. Weiß gekleidete Leute gehen durch die Stadt, die wie Astronauten aussehen. Sie tragen Schutzanzüge und desinfizieren mit Spritzgeräten die Häuser.

Eigentlich eine hübsche, verschlafene Stadt

Maglaj ist eigentlich eine hübsche, verschlafene Stadt. Normalerweise sitzen hier Polizisten vor dem zentralen Kaffeehaus, von dem aus sie die Stadt beobachten können. Sie sehen dann etwa, wie die Jugendlichen hinauf zur Burg gehen und wie der Fußball über die Burghofmauer gekickt wird. Sie können das glänzende Dach der Moschee sehen und das klare Grün des Waldes und das klare Blau des Himmels. Doch jetzt ist nicht normalerweise. Nichts ist mehr klar. Die Stadt ist mit einer fahlen Lehmschicht bedeckt. Staub steht in der Luft. Es ist so, als hätte die wild gewordene Bosna einen giftigen Schleier über Maglaj gelegt.

2000 bosnische Soldaten sind im ganzen Land zum Aufräumen im Einsatz, in Maglaj sind es gerade mal 15. Es fehlt hier an vielem, etwa an einem Platz, an den man den Müll bringen kann, und an Autos und Lastwagen, die diesen wegbringen. Denn praktisch alle Fahrzeuge wurden durch die Fluten ruiniert. Es fehlt auch an einer Möglichkeit, die verendeten Tiere – Kühe, Katzen, Hühner – zu verbrennen. Das wäre aber wichtig, um einer Epidemie vorzubeugen, sagen die Armee-Helfer.

So sah es am 16. Mai in Maglaj aus

© AFP

Die Frauen in der Arbeitersiedlung sind zornig, weil sie nicht informiert wurden, dass die Bosna überhaupt über die Ufer treten kann. Sie fühlen sich von ihrem Staat verlassen. „Drei Tage lang hatten wir hier gar nichts zu essen“, erzählt Namika Hadžišehic. „Die Gemeinde macht nichts, sie weiß nicht einmal, wo die Leute sind, die Hilfe brauchen“, meint die 57-Jährige, die versucht möglichst viel Normalität zu erzeugen, indem sie etwa die Haare wieder schön machen will und deshalb einen Lockenwickler über der Stirn trägt.

Sie stapft durch die zerstörten Räume des Hauses. Immerhin hat sie wieder ihre Zimmerpflanze aufgestellt. Doch Frau Hadžišehic kann nicht einmal im Traum daran denken, bald wieder in ihre Wohnung einzuziehen: Böden, Türstöcke, Wände, alles ist kaputt. Auch die roten Rosen im Vorgarten sind mit dem Schlamm der Bosna überzogen. Gekocht werden kann ohne Strom nicht. „Also essen wir Konserven. In der Früh Thunfisch, zu Mittag Sardinen und am Abend Hühnerpastete. Das ist jetzt unser Leben“, sagt Hadžišehic.

Die Geschichte der Hochwasser in Bosnien-Herzegowina ist eine Geschichte darüber, wie die Bosnier in der Not zusammenhalten, wie Bürger sich organisieren, während die Behörden zum Teil versagen. Es ist die Geschichte von Solidarität und Hilfsbereitschaft, die lange in den Erinnerungen der Menschen bleiben wird. Wenn es gut läuft, könnte sie den absurden Polit-Hickhack zwischen serbischen, bosnischen und kroatischen Politikern beenden. Doch noch ist nicht ausgemacht, ob sich die Politik wirklich in diesem Sinne verändert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false