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Berlusconis Italien. Immer mehr Minderjährige arbeiten als Prostituierte.

© IMAGO

Italien: Schülerinnen prostituierten sich, weil sie das "cool" finden

Der Fall zweier Schülerinnen aus gutem Hause, die nachmittags als Prostituierte arbeiteten, schockiert Italien. Sie machten es nicht aus Not, sondern weil sie es "cool" fanden. Was der Fall über die Leitkultur in Silvio Berlusconis Italien aussagt.

Sie sind 14 und 15 Jahre alt. Sie stammen aus gutem Hause. Sie prostituieren sich in ihrer Freizeit. Zwei Freier empfangen sie pro Nachmittag, zwischen 100 und 200 Euro verdienen sie am Tag. Die Hälfte behält der Vermittler, der die beiden Mädchen im Internet kontaktiert hatte und der jetzt unter Anklage steht.

Italien ist schockiert. Die Mädchen haben sich nicht aus Not prostituiert, oder weil sie gezwungen wurden, sondern, weil sie es offenbar „cool“ fanden. Die Ältere war von sich aus auf die Idee gekommen und hatte die Jüngere in ihr Vorhaben eingespannt.

Was hat die Schülerinnen dazu gebracht? Sehnsucht nach Glamour?

Was hat diese Mädchen dazu gebracht, fragt sich ein besorgtes Land.

„Geld und Glamour“ habe er ihnen versprochen, berichten die Mädchen, deren Namen von der Justiz nicht herausgegeben werden. „Wir wollten Geld, um uns so viele Markenklamotten kaufen zu können, wie wir wollen“, sagt die Jüngere. „Manchmal gab es statt Geld auch Kokain“, erzählt die Ältere. In ihren sexy Outfits habe sie sich begehrt gefühlt und das sei „ein gutes Gefühl“ gewesen.

Es werden immer mehr Fälle bekannt, in denen sich Schülerinnen prostituieren

Der Skandal weitet sich von Tag zu Tag aus. Bankmanager, Politiker und Priester sollen die Dienstleistungen der beiden Mädchen in Anspruch genommen haben, die Polizei habe entsprechende Telefonnummern und SMS in den Smartphones der Schülerinnen gefunden. In einer Talkshow meldet sich die Tante eines der Mädchen zu Wort: „Meine Nichte ist ein Opfer. Sie ist in eine Spirale aus Sex, Geld und Drogen geraten und braucht Hilfe.“ Ein Psychologe interpretiert das Verhalten der Mädchen als extreme Form des Werbens um Anerkennung als Frau. Das Publikum buht. Es möchte die Mädchen als Ausnahmen, als pathologische Einzelfälle kategorisiert wissen.

Aber die Fälle werden immer mehr. Die Ermittlungen mit dem Codenamen „Ninfa“ weiten sich von Rom nach Mailand und Florenz aus. Zwölf Verdächtige wurden inzwischen festgenommen und verhört. Immer mehr Minderjährige, die sich prostituieren, werden bekannt.

Das Machtspiel reizte sie - die Männer lagen ihnen zu Füßen

Die 14- und 15-jährigen Schülerinnen hatten nach eigenen Aussagen keine moralischen Bedenken, empfanden die erotischen Begegnungen anfangs als Abenteuer und interessantes Machtspiel. Die Männer zwischen 30 und 40 Jahren hätten ihnen „zu Füßen gelegen“.

Die Suche nach Erklärungen für das Verhalten der Teenager berührt psychologische, aber auch gesellschaftliche Aspekte. Die Frau als Geliebte, Ehefrau und Mutter – das sind die Rollenangebote an heranwachsende Italienerinnen und alle haben eine sexuelle Konnotation. Auch ist die Macht, Sex zu gewähren, in der italienischen Gesellschaft oft die einzige Macht, die Frauen zugestanden wird. Weder in der Wirtschaft noch in der Politik haben sie es leicht, in Führungspositionen zu kommen. In Italien arbeitet nur knapp die Hälfte aller Frauen und ein großer Teil von ihnen verdient weniger als 10 000 Euro im Jahr. Frauen sind nach wie vor unterbesetzt in Führungspositionen – trotz Quotenregelungen für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen. Dafür tummeln sich in den Shows der privaten Fernsehkanäle reihenweise Frauen. Vorzugsweise blutjunge und leicht bekleidete.

Mütter schleppen ihre Töchter zu Castings

Manche Teenager verwechseln das mit Glanz und Glamour. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Castings völlig überlaufen sind? Mütter schleppen Töchter höchst persönlich von einem Casting zum nächsten in der Hoffnung auf den großen Durchbruch. Auch der Bunga- Bunga-Skandal um Silvio Berlusconi hatte peinliche Details über junge Frauen und ihre geldgierigen Eltern ans Licht gebracht.

So waren einige der Teilnehmerinnen an den erotischen Festen in der Villa des damaligen Ministerpräsidenten von Mama und Papa ermuntert worden, diese „einmalige Chance“ wahrzunehmen. Italien fragt sich jetzt, welche Werte das Land in den vergangenen Jahren zur Leitkultur erhoben hat.

Kirstin Hausen

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