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Jessica-Prozess: Mutter will sich zu Schuld bekennen

Es muss ein unvorstellbares Martyrium gewesen sein: In ein dunkles Zimmer gesperrt verhungerte und verdurstete die siebenjährige Jessica qualvoll. Heute begann in Hamburg der Prozess gegen die Eltern.

Hamburg (24.08.2005, 16:46 Uhr) - Sie wirkt nicht wie die gefühlskalte Frau, die ihre Tochter in ein dunkles Zimmer einsperrte und qualvoll verhungern ließ. Als die Mutter von Jessica den Gerichtssaal betritt, weint sie. Die hellgraue Kapuze ihrer Sportjacke, die sie sich über den Kopf gezogen hat, kann das Gesicht nicht ganz verdecken. Stumm und zitternd sitzt die 36-Jährige an ihrem Platz, wischt sich Tränen ab und zieht die Kapuze vom Kopf. Sie starrt auf ihre Hände, als Staatsanwalt Bernd Mauruschat vor dem Hamburger Landgericht die Mordanklage gegen eine Mutter und einen Vater verliest, die ihre siebenjährige Tochter «durch böswillige Verletzung ihrer Fürsorgepflicht» umgebracht haben sollen.

«Meine Mandantin wird sich zu ihrer Schuld bekennen», sagt der Verteidiger der Mutter, Manfred Getzmann - zu der Verantwortung dafür, dass ihre kleine Tochter unbemerkt von den Nachbarn in einer Hochhaussiedlung in Hamburg-Jenfeld ein kaum vorstellbares Martyrium erleiden musste. Dass sie so wenig zu essen und zu trinken bekam, dass die Siebenjährige bei ihrem Tod am 1. März auf 9,6 Kilogramm, abgemagert war - zweijährige Kinder wiegen normalerweise schon mehr.

Jessicas Vater, dessen weißes Sweat-Shirt die ungesunde Blässe des Gesichtes noch unterstreicht, will nichts zu den Vorwürfen sagen. Also auch nicht dazu, dass er laut Anklage an einem Lichtschalter in Greifhöhe für seine Tochter einen Draht angebracht hat, «in Erwartung, dass Jessica ihn berühre und an einem Stromschlag sterbe». Er habe eine «äußerst passive Grundhaltung», zitiert Anwältin Johanna Dreger-Jensen aus einem psychiatrischen Gutachten über den Angeklagten. Eine Aussage vor Gericht sei unzumutbar für ihn. «Er schafft es einfach nicht.»

«Das kann ich mir nicht anhören, die haben mit meinem Sohn gespielt», ruft da ein aufgebrachter Mann im nicht ganz gefüllten Zuhörerraum und springt auf. «Sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen, sonst lasse ich Sie einlochen», herrscht Richter Gerhard Schaberg den Störer an.

«Dieses Verfahren steht unter einem enormen Druck», fährt der Vorsitzende der Großen Strafkammer 22 fort. Natürlich müsse die Presse über den Fall Jessica berichten. Doch es sei ungewöhnlich, wenn unmittelbar vor Beginn des Verfahrens Tatortfotos, Einzelheiten aus den Ermittlungsakten oder Interviews mit Zeugen veröffentlicht würden - eine Belastung für das Gericht, das klären muss, warum eine mehrfache Mutter und ihr Partner die gemeinsame Tochter laut Anklage «grausam ermordet» haben. «Nicht in der Presse, sondern hier im Gerichtssaal wird entschieden, wer für den Tod von Jessica verantwortlich ist», stellt Schaberg klar.

Den beiden Angeklagten droht eine lebenslange Haftstrafe. «Es soll ein gerechtes Urteil geben», sagt Verteidiger Manfred Getzmann. «Ein Stich in das Herz dieser Stadt», sei das tragische Schicksal Jessicas. Ein Stich auch für die städtischen Behörden, über deren Mitverantwortung der Bürgerschaftsausschuss «Vernachlässigte Kinder» diskutiert. Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, meint Getzmann. Aus dem Urteil für Jessicas Eltern müsse aber etwas gelernt werden «für die Kinder, die nicht auf der Sonnenseite stehen», betont der Anwalt. «Das ist ein Anliegen der Verteidigung und auch ein Anliegen meiner Mandantin.» (Von Kai Portmann, dpa)

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