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Panorama: Jetzt geht die Party wieder los

Das schöne Leben kehrt zurück, Geiz ist nicht mehr geil. Elendsreden um Kinderkriegen, Prekariat und Hartz IV – alles von gestern

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, lachte schon Oscar Wilde seiner viktorianischen Gegenwart ins Gesicht. Wer in den letzten Jahren Wohlleben, Lust, Materialismus und Müßiggang, kurz: das Glück im Diesseits, verteidigte, hatte es schwer. Allerorten boomte in Zeitschriften und Büchern der Neopuritanismus; Kulturkritiker, unter ihnen der Berliner Soziologe Paul Nolte, schwärmten von „neuer Bescheidenheit“, „Maßhalten“, dem „Wert der Tradition“, „bürgerlichen Tugenden“ und nicht zuletzt der „Rückkehr der Religion“ mit ihren Disziplinierungstechniken, Denkverboten und Sündenkatalogen. Nahezu alle Debatten waren gekennzeichnet von Hartz IV, Prekariat, wirtschaftlichem Niedergang, staatlichem Bankrott und allgemeiner Depression, vor allem in Berlin. Kinderkriegen wurde befohlen wie auch weibliche Aufopferung. Geiz wurde lauthals herausgeschrien. Das Lustprinzip schien am Ende, die Spaßgesellschaft vorbei, Luxus und Wohlleben geächtet.

So scheint es noch immer zu sein, aber nur auf den ersten Blick. Es hat sich etwas verändert. Die Börsen boomen, in den Kaufhäusern drängen sich die Menschen, die Leute genießen wieder Partys, trinken Cocktails, und wem das zu teuer ist, der macht in Mitte und Prenzlauer Berg die Straße zur Partyzone einer Boheme, die sich nicht die Laune verderben lässt. Während andere noch Elendstheorien über Gesellschaft und Politik verbreiten, haben sich viele Menschen gerade in Berlin lustvoll eingerichtet in einem Patchwork aus Hartz IV, kleinen Deals im Internet, irgendwelchen zweckfreien Kulturprojekten und ein bisschen solider Schwarzarbeit. Luxus hat nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun, aber sehr wohl etwas mit der Lebenseinstellung. Wowereit lässt sich nicht durch ein armes Urteil in Karlsruhe die Laune verderben, und das Berliner Partyvolk auch nicht. Mehr und mehr melden sich nun auch intellektuelle Stimmen gegen den Bekehrungseifer der Werteprediger von gestern zu Wort. Es sind Stimmen, die die Errungenschaften der Moderne und das Recht auf Glück verteidigen. „In den Thesen von Religion, Tugend und Moral sehe ich einen Missbrauch der Moral und des Religiösen“, sagt der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze im Gespräch, „Religion wird da als Mittel zum Zweck propagiert, wie ein Nahrungsergänzungsmittel, wie ein Wellnessangebot.“ Schulze, berühmt durch sein Werk „Die Erlebnisgesellschaft“, wehrt sich jetzt in seinem neuen Buch „Die Sünde. Das schöne Leben und seine Feinde“ gegen „konservative Kulturkritiker“, die vor Jahren noch die neoliberale Deregulierung propagierten und dann „den Wertekanon des christlichen Abendlands“ wiederentdeckten. „Die Kritik an der ,hedonistischen Konsumgesellschaft‘ ist ein Nachhall der donnernden Bußpredigten des Mittelalters.“ Demgegenüber verteidigt Schulze die modernen hedonistischen „Genussmenschen“, die voller Lust das „Steigerungsspiel“ der Moderne annehmen und spielen.

Ähnlich wie Schulze argumentiert auch Heike-Melba Fendel, Trendforscherin aus Köln. „Genuss ist wichtig, denn er ist rebellisch“, sagt sie, „denn Hedonismus und Laisser-faire-Prinzip sind ja genau das, was unsere Leistungsgesellschaft nicht mehr duldet. Alles Zweckfreie ist geächtet.“ In aktuellen Kinofilmen wie Sofia Coppolas Luxusorgie „Marie Antoinette“ und der Fashionkomödie „Der Teufel trägt Prada“ sieht sie einen „ästhetischen Aufstand gegen das Effizienzdenken, der nicht moralisch begründet ist, sondern materialistisch. Denn unter lauter Moralisten wird Materialismus subversiv.“

Der Moralismus der letzten Monate und Jahre ist für Fendel ein Mittelklassephänomen. Die Unfähigkeit zum Genuss entstehe aus der Angst vor dem Absturz. Unsere Zeit, so Fendel, verlange einen Lebensentwurf, „der das Glück zur Gänze zulässt: als Wert ohne Gegenleistung, nicht als Belohnung“. Einen anderen Akzent setzen die Berliner Autoren Holm Friebe und Sascha Lobo: In ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit“ riefen sie kürzlich die neue Klasse einer „digitalen Boheme“ ins Leben. Ihr Loblied auf die Verbindung von Arbeit und Lustprinzip zielte ins Herz aller bürgerlichen Mittelstandsträume von Sicherheit und Anstand in der Angestelltenexistenz. Der „unflexible Mensch“ des bürgerlichen Mittelstands, schrieben die Autoren, reproduziere unreflektiert Strukturen der festangestellten Arbeitswelt und blende systematisch Alternativen aus, die auch seine Arbeit angenehmer und freier machen könnten.

Noch eine andere Note bekommt die Debatte bei Norbert Bolz. Es gebe nur eine einzige Weltreligion, den Konsum, argumentiert der Berliner Philosoph in seinem in Buchform erschienenen „Konsumistischen Manifest“. Der Konsumismus sei „das Immunsystem der Weltgesellschaft gegen den Virus der fanatischen Religionen“ und Werbung eine „permanente Gegenpredigt zur Kulturkritik“.

In dem Film „Marie Antoinette“ spielt Kirsten Dunst ein Mädchen, das seinen Spaß haben will. Es ist ein Zeichen der Zeit. Die Party geht wieder los.

Gerhard Schulze: „Die Sünde. Das schöne Leben und seine Feinde“; München, 21,50 Euro.

Holm Friebe, Sascha Lobo: „Wir nennen es Arbeit“; München, 17,95 Euro.

Rüdiger Suchsland

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