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Panorama: Jetzt geht’s rund mit Karpatenhund

Die hoch gehandelte Band will sich von Tokio Hotel abheben – das ist nicht so einfach

Claire Oelkers würde es wohl bestreiten, aber die Musik ihrer Band Karpatenhund erinnert in ihrer Wir-gegen-die-anderen- Haltung an die Teenies von Tokio Hotel, die mit dramatischen Hymnen erfolgreich sind: „Sie haben nie an uns geglaubt und ganz fest darauf vertraut, dass wir irgendwann einbrechen, keiner bringt uns auseinander“, singt Oelkers in „Gegen den Rest“ zu anschwellenden Gitarrenklängen. Wir, das sind die Jungen. Sie: die Autoritäten. Doch während Tokio Hotel mit dem Gefühl der Verführung und dem Ausdruck ewiger Jugend arbeiten und damit schon Fans im Kindesalter an sich binden, wollen sich Karpatenhund an – etwas – ältere Hörer richten, ohne mit ihren Texten um Zielgruppen zu buhlen.

Die Bandmitglieder sind Mitte 20 und Berufsmusiker. Das Problem: Karpatenhund wirkten schon vor Veröffentlichung ihres Debütalbums „Karpatenhund # 3“ wie ein Kunstprodukt, weil ihre Plattenfirma lauter für sie trommelte als die Band selbst: Bis zum Ende des Jahres, so tönte die EMI, soll Karpatenhund die erfolgreichste deutsche Newcomerband sein. Dasselbe Ziel, Megastars zu produzieren, hatte sich einst auch das „Bravo“-Magazin gesetzt – und machte Tokio Hotel zu Marionetten einer Titelbildkampagne. Karpatenhund versuchen eine Gegenwehr: Weil sie ahnen, dass ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt wird, sollen Kritiker gleich mit dem ersten Video widerlegt werden. Im Clip zur Single „Gegen den Rest“ inszenieren sie den Kampf der Künstler gegen die Imagepläne der Plattenfirma. Es zeigt, wie die fünf Musiker beim Videodreh extravagante Outfits anprobieren müssen. Mal tritt Oelkers als Prinzessin mit um die Schulter drapierter Schlange auf. Dann als Cowgirl auf einer Rodeomaschine. Die 21-Jährige protestiert. Am Ende klauen die Musiker den Produzenten die Videoaufnahmen und lassen sie verschwinden, indem sich die Bassistin auf die Filmkassette setzt. Mit dem „Gegen den Rest“-Clip mag die Band Souveränität demonstrieren wollen, aber er banalisiert ihre Protesthaltung. Es wirkt seltsam, wenn Erwachsene rebellieren, sich dabei aber wie Kinder aufführen.

Mit ihrer Mischung aus inszenierter Trotzhaltung und Nostalgie wollen Karpatenhund ihre Kritiker entwaffnen – und sind dennoch erstaunlich erfolgreich. Auch wenn „Gegen den Rest“ kurz nach Veröffentlichung gleich wieder aus den Charts rutschte, war das Stück doch Titelsong der populären TV-Serie „Türkisch für Anfänger“, im Videoportal Youtube außerdem einer der meist gesehenen Clips. Es ist jedoch nicht nur der Vergleich mit Tokio Hotel, den Karpatenhund aushalten müssen. Jede neue Rockgruppe, in der eine Frau singt, wird Juli und Silbermond gegenüber gestellt. Beide Bands sind zwar immens umsatzträchtig, es fällt aber schwer, sie ernst zu nehmen. Sie paaren unverbindliche, klischeehafte Befindlichkeitstexte à la „Ich liebe dieses Leben“ mit schlicht arrangiertem Haudrauf-Rock. Deshalb bemühen sich Fanpage-Betreiber um Klarstellung: Karpatenhunds Vorbilder seien in Musikerkreisen respektierte, ältere Indie-Bands wie die Lassie Singers. Von der Welle aktueller deutscher Popbands, steht dort, würden sich Karpatenhund zum Beispiel durch ihr Songwriting abheben. Karpatenhund gelingt die musikalische Abgrenzung nicht immer. Gitarrist und Bandchef Björn Sonnenberg, der in der Branche schon seit Jahren als Talent gehandelt wird, komponierte für das Debütalbum zwar verzerrte, aber dennoch melodiöse Stücke; die flüsternde und jauchzende Stimme Oelkers passt gut dazu. Aber in Songs wie „Zusammen verschwinden“ kommt genau jene Beliebigkeit zum Ausdruck, die Karpatenhund abzulehnen meinen: „Diese Schuhe stehen dir gut, und ich mag deine Augen. Es kostete viel Mut, das kannst du gerne glauben“ – von ihren Vorbildern Lassie Singers sind sie mit solchen Reimen meilenweit entfernt. Aber umso dichter dran an Tokio Hotel.

Auftritt am Sonntag bei den DeutschRussischen Festtagen, Trabrennbahn Karlshorst, Treskowallee 129, 18 Uhr 30.

Sassan Niasseri

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