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Panorama: Julias Schicksal hängt an Diplomaten

19 Tage ist es her, dass Julia Bohl (22) ihre Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau bei Daimler-Chrysler in Singapur mit guten Noten abgeschlossen hat. Die junge Frau mit dem Piercing an der Unterlippe wäre von dem Unternehmen in eine feste Arbeitsstelle übernommen worden, hätte sich auf eine sichere Zukunft freuen können.

19 Tage ist es her, dass Julia Bohl (22) ihre Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau bei Daimler-Chrysler in Singapur mit guten Noten abgeschlossen hat. Die junge Frau mit dem Piercing an der Unterlippe wäre von dem Unternehmen in eine feste Arbeitsstelle übernommen worden, hätte sich auf eine sichere Zukunft freuen können.

Wäre, hätte, können ... Stattdessen sitzt die junge Deutsche seit vergangenem Mittwoch in Singapur im Gefängnis. Ihr droht die Todesstrafe durch Erhängen. Die 22-Jährige soll zu einem Drogenschmugglerring gehören. Ihr wird vorgeworfen, zusammen mit einem 21-jährigen, arbeitslosen Singapurer, vermutlich ihrem Freund, Bars und Nachtclubs mit verschiedenen Drogen beliefert zu haben. 687 Gramm Cannabis, 60 Ecstasy-Tabletten, 30 Gramm eines Anästhetikums und 34 Gramm Amphetamine hatte die Anti-Drogen-Polizei des asiatischen Stadtstaates nach fünfstündiger Verfolgung am vergangenem Mittwoch sichergestellt. Nach Angaben der Polizei betrieben Julia Bohl und der 21-Jährige mit dem Namen Ben den Drogenhandel in einer kleinen Mietwohnung im Zentrum Singapurs. Während der Razzia sind in dieser Wohnung weitere sechs Frauen und drei Männer aus Singapur verhaftet worden, die dort Drogen konsumiert haben sollen.

Kurzsichtige CDU- und FDP-Ratschläge

Am Freitag muss sich Julia Bohl ein zweites Mal vor Gericht verantworten. Beim ersten Gerichtstermin zwei Tage nach ihrer Verhaftung war sie in Tränen ausgebrochen. Die 22-Jährige ist in Singapur aufgewachsen und dürfte bestens vertraut sein mit der rigorosen Drogenpolitik des Stadtstaates, die auf drakonische Strafen setzt: Auf Handel mit Betäubungsmitteln steht die Todesstrafe. Tod durch Erhängen lautet das Urteil, wenn es das Gericht als erwiesen ansieht, dass jemand mehr als 500 Gramm Cannabis, 156 Gramm Heroin und 30 Gramm Morphium oder Kokain in seinem Besitz hatte. Julia Bohl wird wissen, dass die Gesetze im strengen Singapur auch für Ausländer gelten und sie so gut wie keine Chance auf eine milde Auslegung dieser Regeln hat.

Schien die Beweislast gegen die junge Frau am Tag der Verhaftung erdrückend zu sein, zeichnet sich jetzt ein winziger Hoffnungsschimmer ab: Zurzeit wird das sichergestellte Rauschgift auf seine Reinheit untersucht. Ergibt die Analyse einen Anteil von weniger als 500 Gramm an reinem Cannabis, hat Julia eine Chance, dem Galgen zu entgehen. Eine Sprecherin der Zentralen Rauschgiftbehörde in Singapur betonte, ab einer Menge von 500 Gramm Marihuana sei die Todesstrafe zwingend vorgeschrieben. Die in Singapur lebenden Deutschen sehen nun wieder ein Fünkchen Hoffnung. Julias Freunde haben erschüttert auf die Nachricht von der Verhaftung reagiert. Wer sie persönlich kennt, kann es nicht fassen, dass "so ein nettes, bescheidenes Mädchen" mit Drogen gehandelt haben soll. "Nie im Traum hätte ich an so etwas gedacht", sagt eine Bekannte Julias, die noch Ende Februar mit ihr die bestandene Abschlussprüfung gefeiert hatte. Auf dieser Abschlussfeier war sie mit dem nun ebenfalls inhaftierten 21-jährigen Singapurer aufgetaucht. "Wir glaubten alle, es sei ihr Freund. Ehrlich gesagt, wir haben uns schon ein bisschen über ihn gewundert", sagt die Bekannte. "Blondierte Haare, cooles Ziegenbärtchen, Seidenhemd, mit Diamanten bespickt - was für ein Typ, habe ich bei mir gedacht."

Julias Kollegen von Daimler Chrysler sind ebenso überrascht und geschockt wie der Leiter der deutschen Schule in Singapur, Günter Boos. Jeder rätselt, was die freundliche, allseits beliebte Schülerin mit guten Noten dazu bewogen haben könnte, sich auf das gefährliche Spiel einzulassen. "Dass sie mit Drogen zu tun haben soll, kann ich mir kaum vorstellen", sagte Günter Boos.

Julia Bohl ist ein Kind von "Expats", die Tochter deutscher Eltern, die die meiste Zeit im Ausland gearbeitet haben. Sie wurde nicht in Deutschland geboren, ihr Familie zog von London nach Singapur, wo Julia aufwuchs. 1998 machte sie ihr Abitur an der Deutschen Schule in Singapur. An dieser Schule hatte sich ihre Mutter, eine Lehrerin, sehr engagiert. Der Vater ist Ingenieur bei Lufthansa. Die Eltern sollen mittlerweile getrennt wieder in Deutschland leben.

Die Botschaft in Singapur hat dafür gesorgt, dass ein Anwalt die 22-Jährige betreut. Wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes (AA) mitteilt, geht es ihr den Umständen entsprechend gut. Julia klage nicht über die Haftbedingungen. Das AA steht mit den Behörden in Singapur in ständigem Kontakt, macht aber ansonsten keine weiteren Angaben: "Es gibt ja noch nicht einmal eine Anklage", so der Sprecher. In der Bundespressekonferenz gestern wurde betont, dass reißerische Berichterstattung in den Medien es der besonnenen Diplomatie schwer mache. Mehrere deutsche Politiker haben sich geäußert. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer verlangte in der "Bild"-Zeitung: "Die Regierung muss sicherstellen, dass auch in diesem Fall ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist." Es darf kaum damit gerechnet werden, dass sich die Regierung in Singapur von diesen Worten beeinflussen lässt. Im Gegenteil. Forderungen unter anderem von FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, die Bundesregierung müsse jetzt mit allen diplomatischen Mitteln tätig werden, wurden in Berliner Regierungskreisen als kurzsichtig zurückgewiesen. Wie in anderen schwierigen Konsularfällen verfolge die Regierung auch diesen mit der notwendigen Diskretion.

Katja Wallrafen

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