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Panorama: Kettenmail für Teuro-Boykott

Von Kurt Sagatz Kettenbriefe überschwemmen in Wellen das Internet. Von Freund zu Freund, von Kollege zu Kollege und von Verteiler zu Verteiler.

Von Kurt Sagatz

Kettenbriefe überschwemmen in Wellen das Internet. Von Freund zu Freund, von Kollege zu Kollege und von Verteiler zu Verteiler. Die jüngste Kettenbrief-Welle hat gerade Berlin erreicht. Aufgerufen wird diesmal zum bundesweiten „Teuro-Boykott am 1. Juli“. Aus Frust über die allenthalben spürbar gewordenen offenen und verdeckten Preiserhöhungen im Zuge der Euro-Umstellung soll nun der Einzelhandel zur Räson gebracht werden. Konsumentenstreik ist das Zauberwort. Der Verbraucher soll sich dem Preisgebaren von Herstellern und Händlern verweigern. Schließlich bestimmen in der Marktwirtschaft Angebot und Nachfrage den Preis, hier soll die gesammelte Verbrauchermacht ansetzen, suggeriert der im freundlich-persönlichen Ton gehaltene Kettenbrief.

Seitdem das Internet in immer mehr privaten Haushalten Einzug gehalten hat, und inzwischen an der Mehrzahl der Büroarbeitsplätze ohnehin ein Computer mit Anschluss an das weltweite Netz steht, hat die Zahl dieser Kettenmails gigantische Ausmaße angenommen. In der bekanntesten Form wird vor den immer wieder neue entstehenden Computer-Viren und -Würmern gewarnt, meist aus dem ernsthaften Anliegen, dem Adressaten vor Schlimmeren zu schützen. Oftmals jedoch auch aus reinem Jux, hier wird in der Internet-Gemeinde dann von einem Hoax gesprochen, dessen einziger Zweck es ist, sich schneeballartig auszubreiten.

Selbst vor ernsthaften Themen wie Hilfen bei lebensbedrohenden Krankheiten wird bei diesen vermeintlichen Scherzen nicht Halt gemacht. In einem Fall eines todkranken Babys ns Rachel wurde dazu aufgefordert, massenhaft Mails an AOL zu senden, weil der Internet-Provider angeblich für jeden elektronischen Brief 32 US-Cent für die Behandlung des an Gehirn-Krebs erkrankten Kindes zahlen würde. Ein böser Scherz, denn weder existierte der 29-jährige Vater noch wusste AOL von dem Vorhaben. Ein anderes Mal zwei Jahre früher hieß das Kind Jessica, war zehn Jahre alt und litt angeblich an Leukämie.

Der Unterschied zwischen ernsthaftem Anliegen und den Just-for-Fun-Mails ist nicht immer leicht zu erkennen. Dies gilt auch für den nun ausgerufenen Teuro-Boykott. Die Argumente für den Konsumentenstreik jedenfalls wurden bereits tausendfach niedergeschrieben, angefangen von der Kugel Eis, die früher eine Mark und nun einen Euro kostet bis hin zu der Erfahrung, dass Kneipenabende nun noch mehr ins Geld gehen. Es sei Zeit, dagegen ein Zeichen zu setzen, meint der ungenannte Initiator der E-Mail-Aktion: Einen Tag kein Geld ausgeben, keine Lebensmittel einkaufen, nicht Tanken und keine Kneipen- und Café-Besuche, fordert die elektronische Wurfsendung.

Allzu tiefe Spuren in den Archiven des Netzes hat die Aktion freilich noch nicht hinterlassen. Die großen Suchmaschinen können mit dem Begriff „Teuro-Boykott“ nicht allzu viel anfangen. Selbst einen entsprechenden Link zur „Bild“-Zeitung mit ihrem „Teuro- Sheriff“ sucht man vergebens. Überdies fehlt eine richtige Internet-Adresse als begleitendes Informationsangebot. Denn häufig geht so etwas Hand in Hand: Per Kettenmail wird für die notwendige Aufmerksamkeit gesorgt, auf der dahinter geschalteten Website werden ausführlich Argumente und Hintergrundinformationen gesammelt. Das Bundeswirtschaftsministerium glaubt jedenfalls nicht an eine groß angelegt Aktion der Verbraucher. Von einem Boykott-Aufruf sei nichts bekannt, auch von dem besagten Kettenbrief hört man im Ministerium zum ersten Mal.

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