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Dillinger

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Kriminalgeschichte: Staatsfeind Nr. 1

John Dillinger war der erste Mann, der den Titel "Staatsfeind Nr. 1" trug. Seine Banküberfälle in der Depressionszeit machten ihn zum Helden.

Von Andreas Oswald

Mit Titeln ist das so eine Sache. Manche kann man kaufen, das ist dann illegal, manche kann man sich redlich durch Fleiß erwerben. Die Geschichte von John Dillinger liegt so dazwischen. Den Titel „Staatsfeind Nr. 1“ hatte er sich wahrlich hart erarbeitet. Vor allem: John Dillinger war nicht irgendein Staatsfeind Nr. 1, er war der allererste Staatsfeind Nr. 1, der vom FBI so bezeichnet wurde. Wer die Website des FBI heute anschaut, stellt fest, dass die oberste Kriminalbehörde der Vereinigten Staaten durchaus eine gewisse Bewunderung für den Mann aufbringt. Dass sie ihn für so bedeutend hält, hat auch damit zu tun, dass die Jagd nach John Dillinger mit zum Gründungsmythos der Behörde gehört. Dillinger machte das FBI berühmt und das FBI Dillinger.

Vielleicht aber waren es die Umstände seiner Zeit, die John Herbert Dillinger zum Helden machten. Es war die Zeit der großen Depression in den 30er Jahren, als die Menschen, gebrochen durch die bis dahin größte Finanz- und Wirtschaftskrise, voller Ohnmacht und voller Hass auf die Banken waren. Dillinger raubte mit seiner Bande eine Bank nach der anderen aus. Jeder Bauer, jeder kleine Hausbesitzer, dem eine Zwangsversteigerung drohte, jeder, der seinen Job verloren hatte, empfand damals Schadenfreude.

Ist es ein Zufall, dass der neue Film von Michael Mann mit Johnny Depp in der Hauptrolle jetzt in die Kinos kommt, da die Welt durch eine Finanzkrise schlittert, in der die Banken nach dem ersten Schock wieder zocken, was das Geld hergibt? Die Schadenfreude des Zuschauers dürfte dem Protagonisten sicher sein.

John Herbert Dillinger, geboren am 22. Juli 1903 in einem Mittelklasseviertel von Indianapolis, machte von klein auf Ärger. Dass das FBI in seinen Schilderungen die strenge Erziehung durch den Vater als Ursache nennt, macht diesen Zusammenhang irgendwie glaubwürdig. Was andere Quellen über Dillinger schreiben, ist dagegen oftmals nicht zu überprüfen. Viel wurde ihm angedichtet. So habe er bereits früh als kleines Kind angefangen, den Mädchen Süßigkeiten zu schenken. Amtlich belegt ist dagegen das lange Strafregister. Es reicht von Diebstahl – Höhepunkt: 40 Hühner – bis zu Überfällen. Als er dem Rat seines Vaters folgte, nach einem Überfall vor Gericht ein volles Geständnis ablegte und achteinhalb Jahre ins Gefängnis musste, während sein leugnender Komplize nur zwei Jahre bekam, wurde Dillinger zu einem sehr bitteren Menschen. Als er im Mai 1933 entlassen wurde, überfiel er mit seiner Bande eine Bank nach der anderen und erschoss jeden, der sich in den Weg stellte. Meist schaffte er es durch eine List, indem er sich als Experte für Alarmanlagen ausgab, um anschließend die Schwachstellen einer Bank auszunutzen. Ein anderes Mal gab er sich als Hollywood-Scout aus, der Banken suchte, die sich für Dreharbeiten für einen Banküberfall eigneten. Zur Legende wurde er auch, weil ihm mehrmals in seinem Leben die Flucht aus Gefängnissen gelang, einmal mit einer Holzpistole, die er mit Schuhcreme schwarz eingefärbt hatte.

Sein letztes Stündlein schlug mit einer Prostituierten aus Rumänien, die ihn verriet. Sie wollte als Gegenleistung die Einbürgerung, die ihr als Hure verweigert worden war, sowie die Belohnung von 25 000 Dollar. Als Erkennungsmerkmal trug sie beim Besuch eines Kinos mit Dillinger ein rotes Kleid – und ging als „Lady in Red“ in die Geschichte ein. Dillinger wurde von drei FBI-Agenten erschossen.

Einbürgerung und Belohnung wurden der roten Lady verwehrt. Das hat man davon, wenn man einen Helden verrät.

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