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Panorama: Mary verzweifelt gesucht

In der Debatte um die Homo-Ehe in den USA gerät die lesbische Tochter des Vize-Präsidenten Cheney ins Kreuzfeuer. Sie ist abgetaucht

Wenn alles nach Plan läuft, wird sich Mary Cheney demnächst beim Milch kaufen im Supermarkt selber begegnen. „Hast du mich gesehen?“, wird auf der Milchpackung über ihrem Foto stehen, darunter eine Zusammenfassung der Fakten. „Wer? Mary Cheney, 34, bekennende homosexuelle Tochter von Vizepräsident Dick Cheney. Was? Schweigt, seit ihr Vater einen anit-schwulen Verfassungszusatz unterstützt, der sie und Millionen von Amerikanern zu Bürgern zweiter Klasse macht. Bisheriger Job: Professionelle Lesbe. Augenblicklicher Job: Leitet Vaters Anti-Homosexuellen-Wiederwahlkampagne für 100 000 Dollar im Jahr.“ Und das ist nur der Anfang. In den nächsten Tagen wollen die Schwulen-Aktivisten in den USA ganzseitige Anzeigen in den großen Tageszeitungen des Landes schalten, in denen sie die Tochter des Vizepräsidenten ins Visier nehmen.

Hinter der Kampagne stecken John Aravosis, ein politischer Berater in Washington, und Bürgerrechtsaktivist Robin Tyler aus Los Angeles. Um Geld für die Anzeigen zu sammeln, haben sie zudem die Internetseite www.DearMary.com gestaltet. Dort werden die Besucher aufgefordert, eine virtuelle Postkarte an die Tochter des Vize-Präsidenten zu schreiben und sie an ihre vermeintliche Pflicht zu erinnern. Die beiden haben mit solchen Kampagnen durchaus Erfahrung. So sorgten sie etwa dafür, dass die Talkmasterin Laura Schlesinger nach einer schwulen-feindlichen Bemerkung ihre Show verlor. Unter dem Eindruck der durch einen Erlass von San Franciscos Bürgermeister Gavin Newsom losgetretenen Welle von Schwulenehen hat die Debatte um das Thema in den vergangenen Tagen in den USA erheblich an Schärfe gewonnen. Während es den konservativen Gruppen auch am Freitag nicht gelungen war, das Standesamt in San Francisco per einstweiliger Verfügung zu stoppen und sich mittlerweile mehr als 3000 homosexuelle Paare haben trauen lassen, droht Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger mit einer Klage des Bundesstaates gegen die Verantwortlichen. In Washington wiederum drängen konservative Kreise Präsident George W. Bush, einen Verfassungszusatz voranzutreiben, der die Homo-Ehe ausdrücklich verbietet. Bush selbst hat das immer heißer werdende Wahlkampfthema bislang noch nicht richtig angefasst und nur verlauten lassen, er sei „sehr besorgt“. Sein möglicher Herausforderer John Kerry äußert sich derweil nur schwammig und versucht den Eindruck zu vermeiden, er gehörte zu jenen Liberalen, die in seinem Heimat-Bundesstaat Massachusetts die Homo-Ehe befürworten. Vize-Präsident Cheney, der sich noch in der Wahl 2000 als gemäßigter Konservativer in Schwulen-Fragen gegeben hatte, erklärte jetzt, er werde Bush in dieser Frage unterstützen. Unterdessen ist seine Tochter, die im vergangenen Wahlkampf noch Stimmen im Schwulen-Spektrum für ihren Vater sammelte, praktisch abgetaucht. Seit Monaten hat sich die ansonsten keineswegs öffentlichkeitsscheue Lesbe nicht mehr blicken lassen, Interviewanfragen lehnte sie ab. Damit wollen Aravosis und Tyler sie jetzt nicht mehr davonkommen lassen. „Wir hoffen, Mary zu überzeugen, das Richtige zu tun und ihren Vater öffentlich aufzufordern, sich gegen den Verfassungszusatz zu stellen“, sagen sie.

Laut „Los Angeles Times“ besuchen bis zu 25 000 Web-Surfer www.DearMary.com täglich, über 6000 Botschaften haben sie bereits an Mary Cheney hinterlassen. Oft sind es anrührende private Geschichten, mit denen sie die Vize-Präsidenten-Tochter zu überzeugen hoffen. So erzählt zum Beispiel Anna aus Miami Beach, Florida, wie sie vor zwei Jahren mit ihrer Lebengefährtin nach Berlin zog, um als offiziell anerkanntes Paar leben zu können. Nun denkt sie darüber nach, was passiert, wenn ihre Eltern einmal Hilfe brauchen und sie in die Staaten zurückkehren muss. „Eines Tages möchte ich nach Hause kommen mit meiner Frau“, schreibt Anna, „ich möchte Hand in Hand mit ihr meinen geliebten Strand entlanglaufen, dort, wo ich stets gehofft hatte, einmal zu heiraten. Mary, bitte deinen Vater, es sich noch einmal zu überlegen. Es ist dringend."

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