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Panorama: Mit dem Bulldozer

Marvin Heemeyer aus Granby in Colorado hatte Angst um seine Werkstatt. Da zerstörte der Mechaniker sein Dorf

Von Jakob Schlandt

Granby ist ein kleiner, friedlicher Skiort, der auf knapp 2500 Metern Höhe in den Rocky Mountains, Colorado, liegt. Die idyllische Kleinstadt mit gut 2000 Einwohnern, die mit „klarer, frischer Bergluft“ und „unvergesslichen Urlaubserlebnissen“ für sich wirbt, wurde am Freitagnachmittag (Ortszeit) zum Schauplatz eines bizarren Rachefeldzugs, der einen beträchtlichen Teil von Granby zerstörte und offenbar mit dem Selbstmord des Amokläufers endete, sonst aber keine Opfer forderte. Aus Verärgerung über einen verlorenen Rechtsstreit mit der Gemeindeverwaltung hatte der 52-jähriger Werkstattbesitzer Marvin Heemeyer einen Bulldozer in monatelanger Arbeit zu einem panzerähnlichen Gefährt umgebaut, mit dem er gezielt die Gebäude oder Arbeitsstätten der Gemeinderatsmitglieder in Schutt und Asche legte. Rod Moore, Besitzer einer Autowerkstatt, schilderte dem Fernsehsender CBS, wie der Bulldozer wenige Meter an seinem Laden vorbeifuhr: „Das Ding sah aus wie ein futuristischer Panzer.“ Als die Polizei die Zeitlupen-Amokfahrt zu stoppen versuchte, eröffnete der Täter, der als unauffällig galt, das Feuer auf die Cops. Die Polizei bestätigte auf Anfrage, dass zurückgeschossen wurde – über 200 Schüsse feuerten die Polizisten auf den Bulldozer.

Die Stahlplatten, die um das Führerhäuschen geschweißt worden waren, erwiesen sich jedoch als kugelsicher. Rod Moore sagt: „Ein Polizeibeamter hockte auf der Raupe und gab Schüsse auf das Dach ab. Dann warf er etwas in den Auspuff, was wie eine Sprengladung aussah. Doch der Mann schoss einfach weiter, und auch der Bulldozer fuhr noch.“

Erst nach 90 Minuten kam die Amokfahrt zu einem Ende, als der Kühlergrill der Planierraupe durch herabstürzende Trümmerteile eines Gebäudes so schwer beschädigt wurde, dass eine Weiterfahrt nicht mehr möglich war. Kurz darauf waren keine Lebenszeichen aus dem Inneren der Kabine mehr zu hören. Offenbar aus Angst vor selbstzündenden Sprengfallen drang die Polizei jedoch nicht in den Bulldozer ein. Erst am frühen Samstagmorgen sagte eine Sprecherin der lokalen Polizei dem Tagesspiegel: „Kurz nach zwei Uhr wurde der Täter tot in seinem Fahrzeug aufgefunden. Wir vermuten, dass er sich selbst erschossen hat. Das ist allerdings bisher nicht mehr als eine Vermutung, wir müssen die Ergebnisse der Obduktion abwarten.“

Die Sprecherin bestätigte, was Augenzeugenberichte und Fotos schon vermuten ließen: „Der Schaden geht in die Millionen.“ Laut dem amerikanischen Nachrichtensender CNN hatte der Amokläufer am Ende seiner Wahnsinnsfahrt eine Zementfabrik, das Gemeindehaus, eine Bank, eine Bücherei und das Redaktionsgebäude des Lokalblatts zerstört oder zumindest sehr schwer beschädigt.

Trotz der vielen abgefeurten Schüsse wurden jedoch wundersamerweise weder Polizisten noch Zivilisten verletzt. Die Behörden hatten schon kurz nach Beginn der Amokfahrt die Ortschaft größtenteils abgesperrt und die meisten Einwohner evakuiert.

Was Marvin Heemeyer genau dazu brachte, durchzudrehen, ist nach wie vor unklar. Die Lokalzeitung „Rocky Mountain News“ berichtet in ihrer Samstagsausgabe, dass sowohl Bekannte als auch Verwaltungsmitarbeiter bestätigt hätten, dass der 52-Jährige einen vier Jahre langen und erfolglosen Kleinkrieg gegen die lokale Baubehörde geführt hatte. Die „Granby Zoning Commission“ hatte seinem Nachbarn Cody Docheff die Genehmigung erteilt, auf seinem Grundstück eine Zementfabrik zu errichten. Heemeyer habe gegen die Entscheidung, die er für die drohende Pleite seiner KFZ-Werkstatt verantwortlich machte, mehrfach geklagt, sei aber immer wieder gescheitert.

Der Schock in Granby sitzt tief. Barbara Blohm, 65, die das nahe gelegene „Best Vu“- Motel betreibt, ist entsetzt. „Niemand hätte je geglaubt, dass so etwas in unserer Gemeinde passieren kann“, sagt sie. „Granby ist ein ganz normales Bergstädtchen. Wir haben zwar viele Touristen hier, denn der Ort ist von Naturschutzgebieten und Skiresorts umgeben. Aber sonst ist es hier eigentlich sehr friedlich.“

Der Amokläufer muss, da ist sich Barbara Blohm sicher, ein Einzelgänger gewesen sein. „Wir sind eine kleine Gemeinde, hier kennt normalerweise jeder jeden. Aber weder einer meiner Bekannten, noch die Freunde meiner Tochter haben den Täter schon einmal kennen gelernt.“

Die „Rocky Mountain News“ will aber in Erfahrung gebracht haben, dass Heemeyer seine Tat angekündigt habe. Die Zeitung berichtet, dass eine Geschäftsfrau gehört haben will, dass Heemeyer schon im Januar drohte: „Ich werde ihre Geschäfte platt machen. Die Geschäfte von all jenen, die mir das angetan haben.“

Bei der Amokfahrt wurden neben der Zementfabrik, über die sich der Täter geärgert hatte, zahlreiche Gebäude beschädigt oder zerstört: das Gemeindehaus, eine Bücherei, eine Zeitungsredaktion sowie eine Bank.

Ein Wunder angesichts des Ausmaßes der Verwüstung und der vielen Schüsse, die abgefeuert wurden: Abgesehen von dem Täter, der sich offenbar umbrachte, gab es keine Verletzten. Die Polizei hatte das Dorf rechtzeitig evakuieren lassen. jas

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