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Panorama: Mit Essigwasser gegen den Erreger

In China wächst die Angst vor Sars – obwohl die Regierung behauptet, die Krankheit sei „unter Kontrolle“

Das Pekinger Militärkrankenhaus Nummer 301, ein weißgekacheltes Hochhaus im Westen der Hauptstadt, macht auf den ersten Blick einen friedlichen Eindruck. Patienten in gestreiften Pyjamas spazieren zwischen den Bäumen. Patienten warten Körper an Körper vor dem Eingang zur Ambulanz-Station. Von der mysteriösen Lungenkrankheit Sars haben die meisten nur gehört. Dabei könnten sie sich hier in dem Krankenhaus anstecken.

Mehrere Dutzend Ärzte und Schwestern des Militärkrankenhauses 301, eine der bestausgerüsteten Kliniken Chinas, sollen sich unbestätigten Berichten zufolge in den vergangenen Wochen bei der Arbeit angesteckt haben. Dabei soll es mehrere Todesfälle gegeben haben.

Bisher sind diese Berichte nur beunruhigende Gerüchte. „Ich habe gehört, dass sie die Sars-Fälle in ein Krankenhaus beim Sommerpalast bringen“, sagt die Blumenverkäuferin Ling, die in einem kleinen Geschäft auf dem Klinikgelände arbeitet. Eine Maske trägt sie nicht. „Ich habe keine Wahl. Ich muss ja hier arbeiten“, sagt sie. Seit Pekings Regierung zugegeben hat, dass mindestens 46 Menschen im Land an Sars gestorben sind, sind viele Chinesen beunruhigt. Offiziellen Angaben zufolge gab es in Peking bisher zwei Todesfälle. „Ich habe große Angst, dass ich eine Erkältung bekomme und ins Krankenhaus muss“, sagt die Studentin Liu. Wie viele Pekinger greift sie zu Hausmitteln. „Zur Desinfizierung koche ich Essig in der Wohnung“, berichtet Liu. Die Rechtsgehilfin Gao trinkt täglich zwei Packungen der chinesischen Medizin „Banlangen“, einem schwarzen Gebräu aus Heilkräutern. „Ich denke, dass ich damit einigermaßen sicher bin.“ Im November waren in der südchinesischen Stadt Guangzhou, einer Industriemetropole nahe bei Hongkong, die ersten Menschen an der atypischen Lungenentzündung gestorben. Über Wochen ließ die Regierung die Bevölkerung und das Ausland im Ungewissen.

Offiziell heißt es jetzt, die Ausbreitung des Erregers sei „unter Kontrolle“. Doch nur wenige glauben den Beschwichtigungen der Behörden. In der U-Bahn und in den Kaufhäusern tragen immer mehr Menschen Masken oder schützen sich mit einem Kleidungsstück vor dem Mund. Produktmanager Zhang, der zu einer Geschäftsreise nach Südchina muss, hat eine Spezialmaske von seiner Firma bekommen. „16 Lagen und mit Kohlefilter“, sagt er. Doch Zhang versucht die Reise abzusagen. „Die Masken sehen scheußlich aus.“ Auch unter den in Peking lebenden Ausländern wächst die Besorgnis. Die US-Botschaft kündigte an, den Großteil des Botschaftspersonals und deren Familien außer Landes zu fliegen. Firmen sagen Konferenzen ab und verzichten auf Geschäftsreisen nach China. In der Deutschen Schule in Peking, in der knapp 300 Jugendliche und Kinder unterrichtet werden, sieht man noch keinen Anlass für Panik. „Die Zahl der Fälle in Peking ist bisher sehr gering“, sagt Schulleiter Siegfried Meschede. Als Vorsichtsmaßnahmen würde man die Türklinken regelmäßig desinfizieren. Kinder mit Husten oder Anzeichen einer Erkältung schicke man nach Hause. Trotzdem seien einige Eltern „außerordentlich besorgt“, sagt Meschede. Etwa zehn Familien hätten sich entschlossen, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken.

Die meisten Pekinger warten ab, ob sich die mysteriöse Krankheit in den nächsten Tagen weiter ausbreitet. In den Apotheken sind Grippemittel wie Banlangen ausverkauft. Viele decken sich zur Sicherheit mit Mundmasken ein. „Ich werde sie erst anziehen, wenn es alle anderen auch tun“, sagt Student Zhang von der Peking-Universität. Besorgt sei er bisher nicht: „Wichtig ist nur, dass man keine Fremden küsst!“

Harald Maass[Peking]

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