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Bei vielen Fashion Shows sitzen mittlerweile Blogger in der ersten Reihe.

© dpa

Interview mit Mode-Professorin: "Heute kann sich jeder einen Raum schaffen, um Mode zu besprechen"

Antonella Giannone lehrt an der Kunsthochschule Weißensee über die Geschichte der Mode. Im Interview erklärt Sie, warum sich die Mode gerade stark wandelt - und inwieweit sie dem Internet hinterher schleicht.

Frau Giannone, die Bread and Butter öffnet im Sommer für jedermann. Verliert die Mode gerade ihre Exklusivität?

In der Geschichte der Mode hat es immer wieder Phasen gegeben, in denen die Mode ein Stück ihrer Exklusivität verloren und wieder gewonnen hat.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?

In den 80er Jahren hat sich die Mode sehr stark zur Prêt-à-porter Mode entwickelt. Kollektionen wurden nicht mehr nur für die Zuschauer von Fashion Shows entworfen, sondern für ein viel breiteres und heterogenes Publikum. Das kann man bei den Kollektionen von sämtlichen großen Designern wie Versace oder Armani sehen. Sie mussten nämlich auf das neue Selbstverständnis der modernen Frau reagieren. Eine Frau, deren Kleidung modisch, aber auch alltagstauglich sein soll.

Weil sie gearbeitet hat.

Genau. Die Idee des "Looks" wurde immer aktueller. Die Menschen konnten einen bestimmten Look bei der Arbeit haben, einen in ihrer Freizeit und sogar einen speziellen Look beim Sport. Je nachdem in welche Rolle sie gerade schlüpften  und ob sie dabei elegant oder lässig aussehen wollten.

Trotzdem nimmt die Öffnung der Modewelt eine andere Dimension an.

Das ist wahr. Durch die Neuen Medien hat sich vieles geändert. Heute kann sich dort jeder einen Raum schaffen, um Mode zu besprechen oder zu machen. Blogger sind ja nicht nur Kommentatoren. Sie zeigen eigene Outfits, Looks und manchmal auch eigene Kreationen. Von daher gibt es eine viel, viel größere Zahl von Menschen, die in der Modewelt mitmischen.

Verliert die Mode dadurch denn nicht einen Teil ihres Selbstverständnisses?

Die Mode hat sich immer wieder neu erfunden und ihr Selbstverständnis an die Gesellschaft angepasst. Sie ist einfach nicht statisch, sondern immer im Wandel und jetzt gerade befindet sie sich wieder in einer sehr spannenden Umbruchphase. Exklusivität bleibt jedoch einer von zwei wichtigen Attributen von Mode.

Und was ist das andere Attribut?

Prof. Antonella Giannone kommt aus Italien und lehrt seit dem letzten Sommer an der Kunsthochschule Weißensee.
Prof. Antonella Giannone kommt aus Italien und lehrt seit dem letzten Sommer an der Kunsthochschule Weißensee.

© promo

In nun klassisch gewordenen Modetheorien heißt es mehr oder weniger, dass in der Mode zwei entgegen gesetzte Kräfte aktiv sind: Auf der einen Seite steht die Distinktion, das Bestreben, anders zu sein -- und auf der anderen Seite der Wunsch nach Nachahmung. Das klingt zwar ambivalent, aber deswegen möchten Designer ihre Kreationen zum Teil exklusiv zeigen, aber auch verbreiten.

Indem sie Kollektionen für H & M entwerfen.

Ja, das ist eine Strategie, um Kleidungsstücke an eine neue Zielgruppe und damit an ein größeres Publikum zu verkaufen. Die Demokratisierung der Mode existiert zwar schon seit längerem, aber das Internet bietet in diese Richtung unendlich viele Möglichkeiten.

Über Blogger haben wir schon gesprochen. Woran denken Sie dabei noch?

Es kommen neue Orte wie etwa China dazu, die traditionelle Modezentren in der westlichen Welt herausfordern. Durch Livestreams können sich viel mehr Menschen über die kommenden Kollektionen informieren - und das Tempo hat sich wahnsinnig beschleunigt. Trends sind zur Augenblicksache geworden. Die jetzige Periodizität von Kollektionen und Fashion Weeks ist daher nur noch ein Ritual. Mit den realen Zeiten der Mode hat das nichts mehr zu tun.

Die Liberalisierung hat doch aber auch etwas Gutes.

Auf jeden Fall! Durch die Transparenz, die traditionelle und neue Medien schaffen, werden endlich viele Missstände diskutiert. Man denke allein an die Arbeitsbedingungen, die in vielen Ländern herrschen, wo die exklusive Mode billig produziert wird. Zu diesen Ländern gehört selbst Italien zum Teil dazu! Heute aber werden Designer und Modehäuser mit der Frage nach ihren Produktionsorten und Lieferketten konfrontiert.

Eine andere Geschichte ist das Thema Nachhaltigkeit…

Per Definition ist Mode überhaupt nicht nachhaltig, weil sie schnell wieder verschwindet, damit etwas Neues entstehen kann. Die Herausforderung für die Designer könnte heute gerade die sein, nachhaltig und modisch zu sein. Zum einen interessiert sich die Gesellschaft immer mehr dafür und zum anderen zeigen Kreative im Internet, wie Nachhaltigkeit in der Mode funktionieren kann. Mode braucht wahrscheinlich neue Definitionen! Generell passiert meiner Meinung nach aber noch zu wenig bei ethischen Fragen.

Die Mode schleicht der heutigen Zeit also hinterher?

Manchmal gibt die Mode einen Impuls, auf den die Gesellschaft reagiert und manchmal reagiert die Mode auf eine neue Entwicklung. Mein Eindruck ist, dass etablierte Designer und große Labels momentan Schwierigkeiten haben, mit den Trends, die im Internet entstehen, Schritt zu halten.

Im Gegensatz zu den Bloggern.

Sagen wir es so: In der geschwiegenen Sprache der Szene heißt es, dass diejenige, die in der ersten Reihe der Fashion Shows sitzen, die wichtigsten sind. Heute sitzen dort mehr Blogger als Fachjournalisten. Das sagt viel über den aktuellen Wandel aus.

Prof. Antonella Giannone kommt aus Italien und lehrt seit dem letzten Sommer an der Kunsthochschule Weißensee. Dort hält sie Vorlesungen über die Theorie und Geschichte der Mode.

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