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Panorama: Multiple Sklerose: Retter oder Scharlatan

Als er noch die große Hoffnung war, reichten die Lobpreisungen nicht aus, um Niels Franke zu beschreiben. Seinen Anhängern war der Münchener Mediziner Vorbild und Verheißung.

Als er noch die große Hoffnung war, reichten die Lobpreisungen nicht aus, um Niels Franke zu beschreiben. Seinen Anhängern war der Münchener Mediziner Vorbild und Verheißung. Die Zeitungen schrieben, der Mann sei ein "Arzt der Courage" und ein "Glücksfall für Hunderttausende Frauen und Männer." Niels Franke selbst schrieb zu dieser Zeit ein Buch. Auf dessen Deckel ließ er in großen Lettern die Worte "Hoffnung für Millionen" drucken, denn nichts Geringeres hatte der Arzt Anfang der 90er Jahre zu berichten als "eine medizinische Sensation" - er habe eine Methode gefunden, die Krankheit Multiple Sklerose (MS) zu heilen.

Illegaler Arzneimittelhandel

Daran glaubt der 52-Jährige noch heute. Er hat noch nicht richtig begriffen, was ihm jetzt widerfährt. "Ich kapiere es nicht", sagt er. Was Niels Franke nicht kapiert, ist ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Darmstadt. Der Medizin-Professor steht im Verdacht, von seiner Münchener Praxis aus mit illegalen Arzneimitteln gehandelt und dazu mit zwei Komplizen eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Deswegen durchsuchte die Staatsanwaltschaft Ende Juli die Praxis des Arztes, eine Apotheke sowie Büros und Wohnungen der drei Beschuldigten und beschlagnahmte die Patientenkartei.

Nach einem Bericht des "Spiegel" soll Niels Franke das in Deutschland nicht als Arznei zugelassene Mittel "Deoxyspergualin" (DSG) in großem Maße aus Japan importiert, dann mit Kochsalz- und Magnesium-Lösungen gestreckt und schließlich zu Wucher-Preisen an seine Patienten verkauft haben. Die Einfuhr nicht zugelassener Medikamente ist nach dem Arzneimittelgesetz verboten. Der Arzt bestätigt zwar, die umstrittene Substanz an Patienten gegeben zu haben, will aber mit dem Import und Vertrieb der Arznei nichts zu tun gehabt haben. "Da stecke ich nicht drin", sagt Franke, der den Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, nur mehr mit einem Schnauben kommentiert. Ausgerechnet er, will dieses Schnauben sagen. Niels Franke ist selbst an Multipler Sklerose erkrankt. "Zynisch und grotesk" seien die Vorwürfe, sagt der Arzt. Er wisse immer noch nicht, was ihm die Staatsanwaltschaft wirklich vorwerfen wolle.

Aber eines will Franke genau wissen: Der Anästhesist sieht sich als Opfer einer gezielten Attacke des japanischen Pharma-Konzerns "Nippon Kayaku", der das Mittel DSG herstellt: "Diese Firma will meine Methode tot sehen." Diese Methode hatte Franke erstmals 1989 im Selbstversuch angewandt. Damals verabreichte er sich in zwei Intervallen das Mittel DSG, das in Japan unter dem Namen "Spanidin" dazu verwandt wird, nach Nierentransplantationen zu verhindern, dass das fremde Organ abgestoßen wird. Der Arzt hoffte, damit die Autoimmunkrankheit MS zu bekämpfen, bei der die körpereigene Abwehr Nerven in Gehirn und Rückenmark angreift und Entzündungen auslöst. Während sich Franke nach der Behandlung besser fühlte und in seinem Buch "Hoffung für Millionen" als geheilt beschrieb, sehen Kritiker in seiner Methode medizinischen Humbug. Die "Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft" hält die Versprechungen Frankes für unseriös.

In der Tat fehlt bis heute nicht nur eine wissenschaftliche Bestätigung der Wirksamkeit von DSG: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte warnt zudem vor Folgewirkungen des Stoffes, das möglicherweise Krebs erregen oder das Knochenmark schädigen könne. Der japanische Hersteller befürchtet, dass ein Strecken seiner Arznei lebensbedrohende Risiken für Patienten bedeuten könne.

Inzwischen hat die Regierung von Oberbayern der Apotheke im Münchener Vorort Grafing, die das importierte DSG gestreckt haben soll, verboten, den Stoff zu verarbeiten. Der Verlust seiner bisherigen Quelle für DSG trifft Niels Franke nicht. Es gebe weitaus mehr Apotheken, die DSG importieren und auch vertreiben würden, sagt er, mehr wolle er dazu jetzt nicht sagen. Überhaupt versteht Franke den Aufruhr zu diesem Zeitpunkt nicht. Er vermutet dahinter böse Absicht.

Opfer des japanischen Herstellers?

Diese Vermutung bringt er gerne zu seiner Verteidigung vor, binnen drei Minuten weiß er sie zu erläutern. "In den letzten drei Jahren habe ich vielleicht 50 Patienten mit DSG behandelt", sagt er, "mit einer sehr geringen Dosis." Den großen Teil der von ihm behandelten Patienten, die der "Spiegel" mit "über 1000" beziffert, habe er bereits Anfang der 90er Jahre behandelt. Doch die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft hätten nun genau zu der Zeit begonnen, als er seinen Plan für eine großangelegte Studie verwirklichen wollte, die die Wirksamkeit von DSG gegen Multiple Sklerose endgültig beweisen sollte. Deswegen ist sich Niels Franke sicher: Er ist Opfer eines Angriffs der japanischen Herstellerfirma von DSG, die eine Verwendung ihres Mittels gegen MS verhindern will: "Die stecken dahinter."

Die Hoffnung, meint Niels Franke, die habe er aber trotzdem nicht fahren lassen. Das Erste sei nun, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu überstehen, sagt er. "Und das Zweite ist, dass man in aller Ruhe weitermacht. Bis es zur Zulassung von DSG kommt."

Roland Schulz

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