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Panorama: Narziss und Schmollmund

Täglich ist es im Hintergrund einer Fernsehwerbung zu hören, dieses "Uuh Uuuh Uuuhuu": ein verzückter Lautgesang, dessen Refrain an den berühmten, unerreicht vogelfreien Chor des Rolling Stones-Songs "Sympathy for the Devil" erinnert. "Bohemian like you" heisst dieses Lied, das in aller Munde ist.

Täglich ist es im Hintergrund einer Fernsehwerbung zu hören, dieses "Uuh Uuuh Uuuhuu": ein verzückter Lautgesang, dessen Refrain an den berühmten, unerreicht vogelfreien Chor des Rolling Stones-Songs "Sympathy for the Devil" erinnert. "Bohemian like you" heisst dieses Lied, das in aller Munde ist. Die Band, die es geschrieben hat, nennt sich "The Dandy Warhols".

Nach dem Fernsehen zieht das Radio nach. Egal, welcher Sender gerade läuft, überall und ständig ertönt dieser Song.

Bei diesem Ohrwurm gibt es kein Entrinnen. Dabei hatte niemand mit dieser Band gerechnet. Es kannte sie auch niemand. Mit Ausnahme einiger Musikkritiker. Seit der Bandgründung 1994 warten die Musiker aus Portland auf einen Erfolg. Das Musikmagazin "Mojo" gab der Band vor einiger Zeit in tröstender Absicht den Beinamen "The Almost Hip". Vielleicht ist das der Grund, warum Courtney Taylor, der gutaussehende Sänger der Dandy Warhols, immer einen Schmollmund hat, wenn Kameras laufen.

Eigentlich ist der Song "Bohemian like you" eineinhalb Jahre alt. Das ist keine gute Vorraussetzung für einen Hit. Zu den wenigen, die den Song überhaut wahrnahmen, gehörte eine Werbeagentur. Erst jetzt, da die Mobilfunkfirma Vodafone den Song für einen Werbespot hat lizensieren lassen, haben die Dandy Warhols ihren Hit. Der Werbespot katapultierte den Song in die Charts. Er kam in die Top Five in England und fünf weiteren europäischen Ländern, darunter auch auf die Nummer 1 Position in Portugal, und das aktuelle Album "Thirteen Tales from Urban Bohemia" (2000) verkaufte sich im Zuge der erfolgreichen Single bis jetzt 1,5 Millionen Mal. Der "Musikexpress", nie sparsam im Umgang mit holprigen Superlativen, präsentierte die Dandy Warhols daraufhin gar als die "letzte coole Rockband für mindestens eine halbe Ewigkeit".

"Uuh Uuuh Uuuhuu"

Aber so edel, wie Vodafone mit dem Werbeclip die jugendliche Klientel zu stilisieren versucht, sind die vier Musiker nicht. Und originell erscheint in der heutigen Zeit das, was die Dandy Warhols tun, noch weniger. Wenn etwa Courtney Taylor Anekdoten aus dem Leben der Musiker erzählt, klingt das nicht nach einer Geschichte, die aufregend ist, sondern wie ausgedacht und abgesprochen. So erklärt der Sänger in jedem zweiten Interview, auch ohne danach gefragt zu werden, dass Drogen sein Steckenpferd sind; Potdealer kenne er in jeder größeren amerikanischen Stadt. Taylors Lieblingsdroge aber, so sagt er, sei Kokain. Drei Tage am Stück habe er high im Studio verbracht und Musik des Folkduos Simon and Garfunkel gehört, bevor er mit den Aufnahmen zu seinem zweiten Album "The Dandy Warhols come down" (1997) begann.

Einer der darauf enthaltenen Songs führte damals schon kurzzeitig zu öffentlicher Aufmerksamkeit: In "Not if you were the last Junkie on Earth" singt der Sänger davon, wie er seiner Freundin einstmals den Laufpass gab, weil sie heroinsüchtig war. Allerdings, so singt Taylor weiter, habe er das nicht getan, weil er ein Zeichen gegen Heroinabhängigkeit setzen wollte. Nein, die Droge sei schlichtweg "passé", also nicht mehr schick. Was heißen soll: da spricht ein ganz besonderer "Dandy", einer, der von einem eigentümlichen Schlag ist, aber in jeder Lebensfrage auf sein Modebewußtsein setzt.

Selbst wenn "Junkie", wie Taylor später sagte, tatsächlich als Anti-Drogensong gedacht war und nicht als Hymne auf den Heroin-Chic - es gibt noch andere Plattitüden, mit denen der Sänger in der Vergangenheit versucht hatte, seinen Schneid zu beweisen. Fans, die den Vorwurf äußern könnten, die Band würde durch den Vertrag mit Vodafone eine Art Ausverkauf betreiben, kam Taylor im englischen Radiosender BBC 1 mit einer zweifelhaften Begründung zuvor: er habe erst dann von dem Handel erfahren, als er den Song im Fernsehen sah. Der Band gehe es nur um das Musikmachen, das sei ihr einziges Interesse.

Gewitzter zumindest erscheint dann noch das Verhalten der Bandkeyboarderin und Bassistin Zia McCabe. Bis vor kurzem noch hatte sie es sich nämlich zur Angewohnheit gemacht, für den Zugabenteil ihrer Konzerte Oben-Ohne aufzutreten. Die Dandy Warhols strichen die Showeinlage erst dann aus dem Programm, als immer mehr Konzertfotografen von McCabe Wind bekommen hatten - was dazu führte, dass die Journalisten sich regelmässig gegen Ende der Auftritte mit ihren Kameras vor dem Bühnenplatz der Musikerin aufstellten und die anderen Bandmitglieder schlichtweg ignorierten.

Ein Vorleben hat sie also schon, die Band aus der Werbung, ein richtig turbulentes sogar. Was ihnen allerdings noch fehlt, ist ein größerer Erfolg in ihrem Heimatland USA. Dort tritt man den Dandy Warhols mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis gegenüber: Denn so konventionell-amerikanisch ihre aus Sleaze-Rock-Elementen und Psychedelia bestehende Musik auch ist, so narzisstisch, so very british geben sich die Bandmitglieder in ihrem Auftreten - und Rockmusik, deren Stilelement der Retro-Glamour ist, hat in den amerikanischen Charts derzeit keine Chance. England, so sagte Taylor vor einiger Zeit, übe dabei auf ihn einen großen Reiz auf ihn aus.

Vor kurzem habe sich sogar David Bowie, sein großes musikalisches Vorbild, einen Auftritt der Dandy Warhols angesehen. Taylor sagte, er habe Bowie beobachtet und dann sei ihm auf einmal klar geworden, was in dessen Kopf vorgegangen sein muß: dass der alternde Glamstar wohl erst in diesem Moment begriff, niemals eine so coole Begleitband gehabt zu haben wie sein junger Fan aus Portland.

Bei so wenig Bescheidenheit wird es noch eine Weile dauern, bis Courtney Taylor als Brite durchgeht.

Sassan Niasseri

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