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Panorama: Neue Ölteppiche schwimmen Richtung Portugal

Nach dem Untergang der „Prestige“ wird die spanische Regierung hart kritisiert. Nun tritt auch Treibstoff aus dem Inneren des Wracks

Die täglich schlimmere Ölkatastrophe wird zunehmend zum politischen Skandal: Zehn Tage nach Beginn der Ölpest vor der galicischen Küste sieht sich Spaniens Regierung dem Vorwurf ausgesetzt, das wahre Ausmaß der Ölkatastrophe zu vernebeln und der Bekämpfung nicht gewachsen zu sein. Experten schätzen die Menge des aus dem auseinander gebrochenen Supertankers „Prestige“ ausgelaufenen Öls inzwischen mit wenigstens 20 000 Tonnen auf doppelt so hoch als bisher offiziell zugegeben. Damit hätte der Untergang der veralterten „Prestige“ bereits die Dimension des schweren Ölunfalls vor drei Jahren erreicht, als das Tankschiff „Erika“ vor der französischen Bretagne unterging.

Auch das Nachbarland Portugal meldete Zweifel an der spanischen Informationspolitik an, die mit der Schwere der Katastrophe immer zurückhaltender wurde. Spaniens Regierung versichert gebetsmühlenartig, dass aus dem Wrack der mehr als 200 Kilometer vor der Küste untergegangenen „Prestige“ kein Öl austritt. Portugal, das fürchtet, von der „schwarzen Flut“ ebenfalls getroffen zu werden, widerspricht vehement dieser Version: „Zwei neue Ölteppiche“ seien an der Unfallstelle aufgetaucht, bestätigte am Freitag die portugiesische Marinesprecherin Maria Martins, Schweröl, das wohl aus dem Bauch der in 3500 Meter Tiefe ruhenden „Prestige“ stammte. In den beschädigten Tanks des 26 Jahre alten und 240 Meter lange Giganten befanden sich beim Untergang vermutlich noch 50 000 bis 60 000 Tonnen Öl. Die beiden neuen Ölflecken „von großer Dichte“ und jener rund 150 Quadratkilometer messende Ölsee, den die „Prestige“ am Dienstag, dem Tag ihres endgültigen Untergangs hinterließ, trieben langsam aber stetig auf die spanische Küste zu. Die portugiesische Marine warf über den kontaminierten Meeresflächen satellitengesteuerte Bojen ab, um den Weg der öligen Gefahr genauer verfolgen zu können. Offenbar trauen die Nachbarn nicht mehr Spaniens Behörden, die in den letzten Tagen über genaue Positionen und Größe der im Atlantik herumtreibenden Ölverschmutzungen kaum noch informiert hatten.

Diese scheinbare Gleichgültigkeit der konservativen spanischen Führung gegenüber dieser Öko-Katastrophe geht sogar der eher regierungsfreundlichen Tageszeitung „El Mundo“ gegen den Strich: „Der Ölunfall zieht erneut die Fähigkeit unseres Zivilschutzes und des Militärs in Zweifel, koordiniert und wirksam zu arbeiten.“ Auch habe Spanien aus den vergangenen fünf großen Ölunfällen vor seinen Küsten in den letzten 30 Jahren nichts gelernt: Die Bekämpfung der „schwarzen Flut“ sei früher wie jetzt nach dem „Prestige"-Unglück sehr langsam in Gang gekommen, unorganisiert und mit ungenügenden Mitteln erfolgt.

„Wir sind an einen Punkt angekommen, wo man nicht weiß, ob das, was man uns sagt, auch stimmt", faßt der Bürgermeister eines von der Ölpest betroffenen Fischerortes an der galicischen „Todesküste“ die Stimmung zusammen. Fischer, Zivilschutzhelfer und Soldaten beklagen sich über fehlende Ausrüstung, mangelnde Koordination und Informationslücken und viel zu wenig Ölbarrieren. Mehr als 300 Kilometer Küste sind bereits verseucht - Tendenz weiter steigend: Am Freitag setzte sich die Ölverseuchung auch nördlich der Regionalhauptstadt La Coruña und in den muschel- und fischreichen Fjorden südlich des berühmten Felsriffs Kap Finisterre fort. Immer mehr ölverschmierte Seevögel werden geborgen, auch tauchten die ersten verendeten Delfine auf.

Unter chaotischen Umständen verlaufen auch die Reinigungsarbeiten an der Strand- und Felsküste. Das angeschwemmte Schweröl ist sehr schwefelhaltig und höchst toxisch. Die Helfer sollten Atemmasken tragen, warnen Wissenschaftler - aber von diesen Schutzmaßnahmen keine Spur. In internationalen Umweltprotokollen festgelegte Standards über die Reinigung verseuchten Lands werden meist ignoriert: Manche Strände werden mit schwerem Räumgerät buchstäblich umgepflügt, statt vorsichtig die giftige Ölschicht mit Schaufeln abzutragen.

Ralph Schulze[La Coruña]

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