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Design eines männlichen Androiden.

© Oliver Burston/mauritius images

Neue Technologie "Supersense": Werden wir bald alle zu Cyborgs?

Eine US-Firma baut eine neue Generation von Handys, die im Mund getragen werden. Anrufer klingen damit, als seien sie im Gehirn.

Dass Menschen in den Straßen von Berlin mit sich selbst reden, ist nichts wirklich Ungewöhnliches. Neusten Forschungen zufolge fördert das sogar das seelische Gleichgewicht – zumindest wenn der Betreffende nicht gerade von fremden Stimmen in seinem Kopf durch die Stadt getrieben wird. Bald könnte aber auch das zur Normalität werden. Jedenfalls diese eine klar und deutlich vernehmbare Stimme im Kopf, die nach dem Willen der US- Firma „Sonitus“ direkt in denselben von einem Anrufer übertragen wird. Antworten werden wir dieser Stimme dann, fast ohne den Mund zu öffnen, denn auch das Mikrofon soll künftig ins Innere des Körpers wandern.

„Supersense“ nennt die US-Firma ihre neue Technologie. Dass der Begriff Superkräfte von Superhelden mitschwingen lässt, dürfte kein Zufall sein. Und Hollywood wird mit der Einführung von Supersense wichtige Szenen in Action-Streifen neu bebildern müssen. Jedenfalls wird das Zeitalter der mit Ohrstöpseln und Mini-Mikros am Revers verkabelten Bösewichte in die graue Vorzeit der Kommunikation katapultiert.

Künftig erhebt der Oberschurke seine Stimme direkt im Kopf seiner Schergen. Sigmund Freud hätte seine Freude an dieser Entwicklung, denn die neue Technologie verleiht dem Anrufenden fast schon die Befehlsgewalt des väterlichen „Über-Ich“ in der menschlichen Psyche, dessen Ruf das arme Subjekt bekanntlich fast schutzlos ausgesetzt ist.

Höchstleistung für das Hirn

Die Technologie wurde nach Darstellung der Firma von der US-Armee in der Praxis erfolgreich erprobt. Zur Installation der Gerätschaften bedarf es nicht mal eines Eingriffs in den Körper seines Trägers – allenfalls ein Zahnarztbesuch steht an. Denn zum Einsatz kommt schlicht ein wasserdichter „Lautsprecher“, der am Backenzahn fixiert wird. Und auch das (wasserdichte) Mikrofon trägt der Cyborg light künftig im Mund.

Die Pointe der Technik besteht darin, dass eben kein „Schall“ übertragen wird. Der Klang wird vielmehr in Wellen umgewandelt und über die Kiefer-Knochen direkt ins Ohr-Innere geleitet. Dort wird er „gehört“, aber eben so, als ob der Klang aus dem Kopf komme. Ein Vorteil dieser Im-Mund-Anrufe besteht darin, dass der Zuhörer außerdem seine Ohren spitzen kann, also weiterhin ganz analog hören kann, wer in der realen Welt die Stimme erhebt. Höchstleistung wird dagegen vom Gehirn gefordert, das diese Kakophonie sortieren muss.

Völlig neu ist die Übertragung von Stimmen oder Klang über menschliche Knochen nicht. Die Firma „Aftershokz“ zum Beispiel bietet bereits einen kabellosen Kopfhörer „Trekz Titanium“ zum Kauf an, der mit dieser „Knochen-Leitungs-Technologie“ arbeitet. Das Gerät sieht mit Bügel und zwei kleinen Lautsprechern aus wie ein Kopfhörer, wird aber nicht auf die Ohren gesetzt, sondern an den Kopf vor denselben. Beim Sport – zum Beispiel beim Radfahren – hat der Nutzer dadurch noch ein Ohr frei für das Geschehen auf der Straße oder an der Laufstrecke.

Auf dem Weg zu technischen Implantaten

Fast schon konventionell arbeitet das „Mikrophon“ des neuen Bio-Phones – nur dass wir es eben im Munde tragen müssen. Empfindsame Zeitgenossen werden sich fragen, ob es ähnlich zirpt wie ein Stück versehentlich abgebissener Alufolie. In überfüllten Bahnen oder Wartesälen von Ämtern wird die neue Technik aber eine Wohltat sein. Künftig reicht ein Raunen oder Flüstern ins Backen-Phone, weil das ja im Mundraum abgeschirmt vom Lärm der Außenwelt liegt. Stets guter Empfang: unter Wasser, im Hubschrauberrotor, unterm Fallschirm baumelnd. Das sind beispielhafte Anwendungen für das Produkt auf der Website des Herstellers, der damit keinen Zweifel an der Zielgruppe seiner Erfindung lässt: das Militär. Aber hat nicht auch vieles andere, fürs Martiale Erfundene den Markt für Konsumgüter erobert?

Hannes Sjöblad ist davon überzeugt. Der schwedische „Biohacker“, der den menschlichen Körper wie PCs verändern will, ist durchaus angetan von dem Produkt, dessen Technologie ihm aber nicht weit genug geht: „Das Device ist im Mund, das ist nicht sehr praktisch, besser wäre, es würde in einen Zahn integriert.“ Der Berater und Aktivist hat sich selbst einen Chip zwischen Daumen und Zeigefinger implantieren lassen. Damit öffnet er Türen, bezahlt an Snack-Automaten und einigen Läden in Stockholm.
An „Supersense“ lobt er vor allem, dass die Firma ihr Mund-Phone zur Marktreife getrieben hat. „Denn erst wenn viele ein Produkt nutzen, das auch einen praktischen Nutzen oder Vorteile bringt, ziehen alle nach“, so Sjöblad. Das im Mund getragene Telefon sei eine weitere Stufe auf dem Weg zu technischen Implantaten.

Wer das für Utopie hält, den verweist der digitale Vorreiter auf den Siegeszug von Tattoos. Im Gegensatz dazu lasse sich ein Chip fast schmerzlos unter die Haut implantieren, er sei klein wie ein Reiskorn und könne mit wenigen Handgriffen entfernt werden. Spätestens wenn die BVG und andere Verkehrsmittel Bio-Chips als Zahlungsmittel zulassen, werde sich die Technologie durchsetzen. Das Mund-Telefon ist ein Schritt auf diesem Weg.

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