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Panorama: Ohne irgendeine Quelle

WASHINGTON .Vor kurzem lautete die Schlagzeile: "Frau gebiert acht Kilo schweres Auge.

WASHINGTON .Vor kurzem lautete die Schlagzeile: "Frau gebiert acht Kilo schweres Auge." Dann wurde der Termin für den Weltuntergang präzisiert, hernach ein 67 Kilo schwerer Zweijähriger gefunden und schließlich Elvis am Viktoria-See aufgespürt.Und nun also das erste Paar der letzten verbliebenen Weltmacht."Hillary schlägt Bill zusammen", lautete die Schlagzeile über den präsidentiellen Nahkampf.Der "National Enquirer" ("Nationaler Untersucher"), "News of the World" und wie sie alle heißen - dies sind Zeitschriften, die man in Amerika im Supermarkt beim Gemüse-Wiegen einsteckt, wenn die Schlange an der Kasse zu lang ist.Ernst nimmt niemand, was im "Enquirer" steht.

Bislang.Nun haben die Groschenhefte herausgefunden, daß Hillary ihrem Bill einen Bluterguß in Augennähe verpaßt hat, daß sie seitdem humpelt, daß die kampferprobten Personenschützer des Secret Service sich rettend zwischen das Präsidentenpaar werfen mußten.

Kein einziger amerikanischer Fernsehsender und keine einzige seriöse Zeitung hat dies aufgegriffen.Nur Matt Drudge, der gern quellenlose Internet-Enthüller, der ausgerechnet vom Schreibtisch in Kalifornien aus besonders gut zu wissen glaubt, was sich in Washington hinter verschlossenen Türen abspielt, Drudge also, der nebenbei auch publizistischer Stiefvater der Lewinsky-Affäre war, griff zu."Mein Mann, dieser Idiot, hat alles zunichte gemacht", soll Hillary sich beschwert haben."Zwischen ihm und mir ist es aus", soll die First Lady einer Freundin anvertraut haben.

Die ehemals ehrwürdige "Times"

Und dann passierte etwas mit Neuigkeitswert.Die seriöse britische Presse nahm den Faden auf und wusch die Meldung rein.Um aus der vermuteten Schlägerei zwischen den beiden Hälften des Präsidentenpaares eine Meldung auf der Seite Eins der zumindest ehemals altehrwürdigen "Times" zimmern zu können, gruben die Briten aus, daß sich die Groschenhefte und Bill Clinton von derselben Anwaltskanzlei in Washington vertreten lassen.

Dies galt als ausreichender Seriösitätsnachweis.Am Sonntag beteiligten sich mehrere Springer-Zeitungen am Recycling der Geschichte."Nach amerikanischen und britischen Medienberichten" habe Clinton seine Bodyguards angefleht: "Haltet mir dieses Biest vom Leib!", vermeldete beispielsweise "Bild am Sonntag".So durfte schließlich auch die US-Presse einsteigen.Man berichtete über ein europäisches Medienphantom, nicht über kolportierte Handgreiflichkeiten der Präsidentengattin.

Was Hillary angeht, gilt eines als verbürgt.Sie hat sich zwischen den Wirbeln einen Nerv eingeklemmt.Deshalb humpelt sie ein wenig.Ob Bill Clinton tatsächlich unter viel Makeup einen blauen Fleck zu verbergen trachtet, wird heute und morgen die Creme de la Creme Amerikas besichtigen können.Alle drei Clintons nämlich, Tochter Hillary eingeschlossen, sind auf dem Weg nach South Carolina.Dort treffen sich einmal im Jahr die Spitzen der Gesellschaft zu einem "Renaissance"-Treffen.Das ist, wenn bedeutende Leute recht allgemein über den Stand der Dinge an sich reden.

Die Begeisterung der Medien über die zweifelhafte Schlägerei mag daher rühren, daß es wohl zweifelsfrei eine satte demoskopische Mehrheit dafür gäbe, die leidige Lewinsky- und Meineid-Affäre genau so zu beenden: mit einem realen statt verfassungsrechtlichen blauen Auge.Und dies ist keineswegs neu.

Woher kommen die Kratzer?

Als Clinton im August seinem Volk gestand, daß er es monatelang in die Irre geführt hatte, fragten die Reporter im Weißen Haus am Tage darauf des Präsidenten Pressesprecher: "Warum hat Clinton rote Streifen im Gesicht? Hat er sich gekratzt? War es seine Katze? Oder gar Hillary?" Damals gab es als offizielle Antwort die Feststellung, Clinton leide an einem Hautausschlag.Diesmal beschied die Pressesprecherin des Präsidenten: "Auf Klatsch und Unterstellungen reagiere ich grundsätzlich nicht!"

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