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Panorama: Packeis rettet Robben

In Kanada stecken hunderte Jäger fest – und tausende Tiere bleiben am Leben

Not macht erfinderisch. Als es den im Packeis gefangenen Robbenjägern vor der kanadischen Küste gar zu langweilig wurde, formten sie um zwei Wasserflaschen herum mit Eis einen Football und vertrieben sich die Zeit mit ein wenig Sport. „Dann haben sie einen großen Schneemann gebaut, zogen ihm eine Öljacke an und ließen ihn auf einer Eisscholle davontreiben“, berichtete Margaret Burden der kanadischen Zeitung „Globe and Mail“ in Toronto. Ihre vier Söhne und drei Enkel gehörten zu jenen rund 500 Fischern, die seit fast 14 Tagen im Packeis vor Neufundland feststecken.

Mehr als 100 Schiffe waren von einem starken Nordoststurm überrascht worden. Der trieb das Eis in den St.-Lorenz-Strom hinein und verdichtete es so stark, dass es für die Fischer kein Vor und kein Zurück mehr gab. Stellenweise war das Eis mehr als einen Meter dick und stellte selbst für die Eisbrecher der kanadischen Küstenwache ein unüberwindbares Hindernis dar. Weil einigen Crews die Vorräte ausgingen und der Treibstoff knapp wurde, mussten Hubschrauber der Küstenwache Nachschub bringen. Die Eismassen beschädigten wenigstens zwei Schiffe zudem so stark, dass sie zu sinken drohen, acht weitere sind stark reparaturbedürftig. Seit Mittwoch hat sich die Lage entschärft, der Wind weht nun aus Südwest und treibt das Eis auf das offene Meer hinaus. „Mutter Natur hat begonnen, mit uns ein wenig zu kooperieren“, sagte der Sprecher der Küstenwache in St. John’s auf Neufundland, Brian Penney. Das Eisfeld habe begonnen, sich zu bewegen und bereits mehrere Schiffe freigegeben. Die vier von der kanadischen Küstenwache eingesetzten Eisbrecher arbeiteten rund um die Uhr. Das ungewöhnliche Wetter, nach Angaben von Einheimischen das eisigste seit 20 Jahren in der Region, dürfte mehreren tausend Robben das Leben gerettet haben. Die Fischer waren zur dritten und letzten Phase der umstrittenen Jagd auf Robbenbabys aufgebrochen, als das Eis sie überraschte. Die kanadische Regierung hatte in diesem Jahr 270 000 Tiere zur Jagd freigegeben, 55 000 weniger als 2006.

Die Jagd ist seit Jahrzehnten Ziel von Protesten. Sie werfen den Jägern unter anderem vor, sie zögen den Tieren die Felle bei lebendigem Leib ab. Auf den öffentlichen Druck hin stoppten die USA 1972 die Einfuhr von kanadischen Robbenprodukten, die Europäische Union verbot die Verwendung der weißen Fälle von erst zwei Wochen alten Babyrobben 1983. Die Fischer jagen nun Robben, die zwischen 15 Tage und drei Monate alt sind. Die Felle verkaufen sie vorwiegend nach Russland und nach China.

Das ungewöhnlich kalte Wetter hat den Jägern allerdings einen schweren Schlag versetzt, von dem sich einige möglicherweise nicht mehr erholen. Die Preise für Robbenfelle waren in diesem Jahr bereits von 110 Dollar auf 55 Dollar gefallen. Zudem dürften die ohnehin schon hohen Versicherungsraten für die Schiffe – 20 000 Dollar pro Jahr sind üblich – noch weiter in die Höhe schnellen. „Ich weiß nicht, ob das schlechte Wetter die Robbenjagd eliminieren wird“, sagte Andy Anstey aus Twillingate der kanadischen Zeitung „Toronto Star“, „wahrscheinlich nicht sofort. Aber es wird sie auf jeden Fall bremsen.“

Die Jagdsaison hatte schon vor vier Wochen mit Schwierigkeiten begonnen. Weil das Eis zu diesem Zeitpunkt so dünn war, fanden die Jäger gar nicht so viele Robben, wie sie hätten töten dürfen. Die Robbenbabys werden auf Eisschollen geboren, weil sie zunächst noch nicht schwimmen können. Zu Beginn der Jagd war das Eis wegen des warmen Wetters so dünn, dass tausende Robbenbabys kurz nach ihrer Geburt eingebrochen und ertrunken sind. Andere Tiere wichen weiter nach Norden aus, um ihren Nachwuchs auf einer sichereren Eisdecke zur Welt zu bringen.

Das dürfte in Zukunft eher die Regel sein, weil der Klimawandel die Eisdecke der Arktis seit Jahren dezimiert. Das Packeis kommt immer später und schmilzt auch früher. Das verändert den Lebensraum der Robben ebenso wie den der Eisbären, die sich von Robben ernähren. Die Jäger müssen sich womöglich schon allein aus diesem Grund langfristig nach einer anderen Einkommensquelle umsehen. In diesem Jahr hatten sie aber doppelt Pech. Erst blieben die Robben wegen der dünnen Eisdecke aus, dann brachte der Nordostwind viel mehr Eis, als sie sich je hätten träumen lassen.

Wenigstens Margaret Burden konnte der Situation aber auch etwas Gutes abgewinnen. Als ihre Jungs Anfang der Woche endlich wieder nach Hause kamen, lobte sie sie für die Pfunde, die sie verloren hatten, weil sie ihre Nahrung rationieren mussten. Sie empfing sie mit den Worten: „Das steht Euch prima!“

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