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Prozessauftakt: Geistig Behinderten zu Tode gequält

Schläge, Demütigungen, Folter, Tod: Weil sie einen geistig Behinderten monatelang wie einen Sklaven gehalten und schließlich ermordet haben sollen, müssen sich zwei Eheleute dem Kasseler Landgericht verantworten.

Kassel - Beim Prozessauftakt hüllten sich der 42-Jährige und seine vier Jahre jüngere Frau aus dem hessischen Grebenstein in Schweigen. Nur eine 25-jährige Mitangeklagte wollte sich äußern: Die Frau, die das Verfahren mit einem Anruf bei der Polizei ins Rollen gebracht hatte, beteuerte ihre Unschuld und erhob schwere Vorwürfe gegen das Paar und ihren ebenfalls angeklagten Ex-Freund.

Zerbrechlich wirkt die 25-Jährige, immer wieder ringt sie um Fassung und fängt an zu weinen. "Es ist mir erst jetzt klar geworden, dass das kein dummes Geschwätz war, sondern dass sie wirklich jemanden umgebracht haben", sagt sie unter Tränen. Laut Anklage soll die junge Frau zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten beim Beseitigen der Leiche geholfen haben. "Ich war nicht mit dabei", beteuert sie jedoch. Ihr Freund habe ihr nur später alle Details erzählt. "Er hat gesagt: Da du jetzt weißt, wo er liegt, wirst du mit in den Knast gehen."

Sadistische Gewalttäter

Während ihre drei Mitangeklagten kaum eine Regung zeigen, zeichnet die 25-Jährige in schlichten Worten ein Bild der Eheleute als sadistische Gewalttäter. "Sie haben einfach jede Möglichkeit genutzt, um draufzuhauen", erzählt sie. Mehrfach habe sie miterlebt, wie sie den lernbehinderten Mann, den sie im Herbst 2002 in ihr Haus aufgenommen hatten, misshandelt und geschlagen hätten. "Mit Fäusten. Und einmal mit so einer Gartenkralle." Sie hätten ihm kaum etwas zu essen gegeben und ihn gezwungen, Alkohol zu trinken. "Eine Flasche Schnaps war das, da hatten sie auch Medikamente oder so reingemacht."

Gemeinschaftlichen Mord aus niederen Beweggründen und zur Verdeckung einer anderen Straftat legt die Staatsanwaltschaft den Eheleuten zur Last. Monatelang hätten sie den leichtgläubigen und einfach zu beeinflussenden 29-Jährigen "in einer sklavenähnlichen Stellung" gehalten, um seine Sozialhilfe kassieren zu können, sagt die Staatsanwältin. Doch im Juli 2003 hätten sie es mit der Angst bekommen, weil ein offizieller Betreuer für ihr Opfer bestellt werden sollte und die Misshandlungen damit aufzufliegen drohten.

Die Leiche wurde auf einem Parkplatz gefunden

Als der 29-Jährige nach neuerlichen Schlägen mit Fäusten und einem Hocker tagelang nicht mehr habe aufstehen können, sei das sein Todesurteil gewesen: Alle vier Angeklagten gemeinsam hätten den bewusstlosen Mann nach Thüringen gebracht, um ihn dort auszusetzen. Auf der Fahrt sei er gestorben. Zwei Wochen später wurde seine Leiche an einem Parkplatz gefunden. Identifiziert werden konnte sie aber erst rund zwei Jahre später, nachdem die 25-jährige Angeklagte sich an die Polizei gewandt hatte.

Sie habe sich aus Angst vor ihrem Lebensgefährten erst so spät gemeldet, erklärt die junge Frau und berichtet zur Bekräftigung von ihrem eigenen Martyrium: Fünf Jahre lang habe der heute 33-Jährige sie ständig verprügelt, beleidigt, bedroht und vergewaltigt - ganz gleich, ob er nüchtern oder betrunken gewesen sei. "Er war eigentlich immer aggressiv zu mir", sagt sie.

Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft

Weil Polizei und Staatsanwaltschaft diesen Vorwürfen bislang nicht nachgegangen sind, griff der Verteidiger der 25-Jährigen gleich zu Beginn der Verhandlung die Anklagevertreterin scharf an. Sie habe gegen das Legalitätsprinzip verstoßen und außerdem "unlautere Vernehmungsmethoden" angewandt: Seine Mandantin sei auch dann noch als Zeugin vernommen worden, als ihr früherer Freund sie bereits der Mittäterschaft bezichtigt hatte. Auf ihr Recht, als Beschuldigte die Aussage zu verweigern, hätten sie die Ermittler nicht hingewiesen.

Der Antrag des Verteidigers, die Staatsanwältin abzulösen, wurde vom leitenden Oberstaatsanwalt abgelehnt. Der Verteidiger kündigte daraufhin an, bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main gegen die Entscheidung zu protestieren. Der Prozess wird am 22. November fortgesetzt. (Von Joachim F. Tornau, ddp)

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