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Gebührender Abstand erwünscht. 35 Schiffe fahren im Südhalbkugel-Sommer regelmäßig in die Antarktis. Foto: dpa

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Antarktis: Station mit Frack

Die Expedition zum sechsten Kontinent dauert lange – und kann beschwerlich werden. Am Ende aber warten Pinguine.

Marilyn Monroe hätte das verstanden: Steine bedeuten für Pinguine Reichtum. Für die Kiesel legen sie weite Wege zurück, streiten sich mit den Nestnachbarn und werden mitunter auch zu Dieben. Wer viele Steine hat, ist attraktiv als Partner und hat ein trockenes Nest. Wer die munteren Frackträger beim Steinesammeln beobachten möchte, muss allerdings weit reisen: Von Mitteleuropa aus sind es zehntausende Kilometer bis in die Antarktis – den kältesten, windigsten und am wenigsten erschlossenen Kontinent der Erde, dessen Fläche zu fast 98 Prozent von Eis bedeckt ist. Im Gegensatz zur Arktis hat die Antarktis aber festen Boden zu bieten – und Steinchen.

Wie gut, dass es an der Rezeption der „Fram“ eine ganze Schublade voll mit kleinen gelbe Pillen gegen Seekrankheit gibt. Aber selbst mit Medikamenten ausgestattete Passagiere essen lieber wenig: Der Speisesaal ist zu den Mahlzeiten nur halb besetzt, wenn sich draußen bei Windstärke neun bis elf die Wellen türmen. Knapp drei Tage dauert die schaukelnde Fahrt, dann werden die Gewässer wieder ruhiger und das erste Eis kommt in Sicht.

Majestätisch liegen Tafeleisberge im dunkelblauen Wasser. Andere schwimmende Eismassen haben bizarre Formen: Torbögen, Herzen, Schlösser, Geweihe. Sie alle glitzern in verschiedenen Blau- und Grüntönen, wenn die Sonne scheint. Und je näher man den antarktischen Inseln kommt, desto öfter sieht man auf den Eisbergen kleine schwarze Punkte: Pinguine. Und jeden Tag steht die Frage neu im Raum: Wie sind die da bloß hinaufgekommen? Es bleibt ein Rätsel. Gelassen sitzen sie auf ihren Eisthronen und blicken zu den vorbeifahrenden Schiffen hinüber. Hinauf oder hinunter springt keiner – solange jemand zusieht.

Pinguine sind die Hauptattraktion in der Antarktis. Und wer sich noch in der Drake-Passage gefragt hat, warum er sich eine solch beschwerliche Reise eigentlich antut, dem fällt es spätestens in der ersten Pinguinkolonie wieder ein. Die Nistplätze der Vögel stinken zwar meilenweit gegen den Wind, und die schwarz-weißen Tiere sind auch selten so hübsch sauber wie im Zoo, sondern oft die reinsten Dreckspatzen – aber dafür sind sie reizend zu ihren Partnern, eifrig bei ihren Arbeiten an den Steinnestern, possierlich in den Bewegungen und elegant als Schwimmer.

Foto: dpa
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Die erste Chance, auf einen Pinguin zu treffen, besteht auf den Süd-Shetlandinseln. Sie wurden 1819 von dem britischen Kaufmann William Smith entdeckt und wegen der ähnlichen Breitenlage auf der anderen Erdhalbkugel nach den Shetlandinseln benannt. Half Moon Island ist für viele Schiffe der erste Halt im Eis. Auf der kleinen, halbmondförmigen Insel lebt eine große Kolonie von Zügelpinguinen, und schon von Weitem sind im Schnee die „Pinguinautobahnen“ zu sehen, die Trampelpfade der Tiere von ihren Nestern zum Meer und zurück.

Mit Zodiacs werden die Passagiere an Land gebracht. Einen grauen Kiesstrand haben sie dann unter den Füßen, an dem ein altes Fischerboot vor sich hinrottet. Und dann steht man vor ihnen. Und lernt: Pinguine sind nicht ängstlich. Unbeirrt watscheln sie ihrer Wege und brüten auf ihren Nestern – egal wie nahe ihnen die Menschen kommen. Jeder Besucher hat zwar während der Anfahrt an Bord gelernt, dass er einen Abstand von fünf Metern zu den Tieren halten soll. Aber viele vergessen vor Entzücken – „Hier sind zwei Küken im Nest!“ – die Regeln und robben sich mit der Kamera immer näher heran. Das finden die Crewmitglieder der „Fram“, die sich über die Insel verteilen, nicht witzig. Per Funkgerät informieren sie sich über die Übereifrigen und kommandieren sie wieder auf den rechten Weg.

Viele Schiffe, die Expeditionsreisen in die Antarktis anbieten, haben Wissenschaftler als Lektoren an Bord und halten sich an die Regeln der IAATO, des Verbandes der Antarktisreisen-Veranstalter. Er hat Verhaltensrichtlinien zum Schutz des Lebensraumes von Walen, Robben, Pinguinen, Seevögeln und anderen Tieren aufgestellt. Danach darf eine Bucht immer nur vier Stunden lang besucht werden. Niemals dürfen mehr als 100 Menschen auf einmal an Land, das Rauchen und Essen ist dabei nicht erlaubt. Und selbstverständlich darf nichts zurückgelassen werden. Im ewigen Eis verrottet alles nur sehr langsam – Moose und Flechten brauchen Jahrzehnte, um sich von groben Fußtritten zu erholen.

Dennoch steht man zunächst an Land und überlegt, ob die Antarktistour wirklich so eine gute Idee war. Hat der Pinguin nicht doch gerade ängstlich den Pfad gewechselt? Wie viele Schiffe und damit wie viele Leute waren heute wohl schon in der Bucht? Und wie viel Ruß stößt eigentlich der Dieselmotor des Schiffes aus? Zurück an Bord werden diese Fragen beim Abendessen diskutiert. Das Ergebnis: Natürlich muss man nicht unbedingt ins „ewige Eis“. Aber es ist sehr beeindruckend. Und wer einmal dort war, dem wird die Notwendigkeit von Naturschutz oft erst richtig bewusst. Viele Antarktisfahrer widmen sich nach einer solchen Reise aktiv dem Umweltschutz.

Spätestens in Port Lockroy verfliegt die Sorge, ob sich die Pinguine gestört fühlen könnten. Sie nisten – freiwillig – bis kurz vor den Stufen der alten britischen Marinestation. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Engländer den Unterschlupf zusätzlich zu einem zweiten auf Deception Island errichtet, um von dort die Schiffsbewegungen des Feindes zu beobachten. 1996 renovierte der britische Antarctic Heritage Trust Port Lockroy. Seither gibt es dort ein Museum, eine Poststelle und einen Souvenirladen. Diese Mischung macht den Hafen zu einem der beliebtesten Stopps in der Antarktis. Für die Gäste gibt es einen Pinguin-Stempel in den Pass – und zurück zum Schiff geht es beladen mit Pinguin-T-Shirts für die gesamte Verwandtschaft.

Ein weiterer Höhepunkt ist eine Fahrt durch den Lemairekanal. Die bis zu 1,6 Kilometer schmale Durchfahrt wurde 1873 entdeckt und erst 25 Jahre später das erste Mal durchfahren. Bei Sonnenschein spiegeln sich die Hänge der antarktischen Halbinsel und Booth Island in Wasser der elf Kilometer langen Passage, in der zahllose Eisberge treiben. Das ist natürlich ein beliebtes Fotomotiv – und daher hat der Lemairekanal bei den Expeditionsteams den Spitznamen „Kodakkanal“.

Mitunter ist auch ein Stopp bei Antarktisforschern angesagt, etwa bei der vor mehr als 50 Jahren errichteten, einst britischen und heute ukrainischen Forschungsstation Vernadsky auf der Insel Galindez. In einem dunklen Holzbau wohnen 13 Personen für jeweils zwölf Monate im Eis – neben Wissenschaftlern auch Techniker, ein Koch und ein Arzt. Sie zeigen gerne ihre Räume und verkaufen selbst gebrannten Wodka – einen Dollar pro Glas. Serviert wird an einer urigen Theke, an der aufgereihte Büstenhalter hängen. Jede Besucherin ist aufgefordert, die Anzahl dieser Trophäen zu vergrößern. Berühmt wurde Vernadsky, weil die Forscher hier – zusammen mit ihren Kollegen der Halley Station im Wedellmeer – das riesige Ozonloch über der Antarktis entdeckten. Auch diese Station ist von Pinguinen umgeben, aber auf den Eisschollen ganz in der Nähe liegen auch Dutzende ihrer Erzfeinde: Seeleoparden.

Am Ende einer solchen Reise ist der Tourist ein kleiner Pinguin-Experte. Er weiß, dass Zügelpinguine einen schwarzen Strich rund um den Schnabel haben und Kaiserpinguine eher tief im Süden zu finden sind. Adeliepinguine wirken dunkel und kugelig und ziehen meistens zwei Junge groß, Eselspinguine müssen länger als andere brüten. Er hat gelernt, dass Pinguine keine Landraubtiere fürchten müssen, wohl aber Seeleoparden, Zahnwale, Raubmöwen, Seidenschnäbel und Sturmvögel. Dass sie schwimmen wie Delfine, mit gelegentlichen Hopsern aus dem Wasser. Und dass die meisten eine Leidenschaft für Steine haben. Da trifft es sich doch gut, dass Besucher nichts mitnehmen dürfen aus der Antarktis. Nicht einmal Kiesel – und nicht einmal dann, wenn man Marilyn Monroe hieße.

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ANREISE

Mit dem Flugzeug über Frankfurt am Main nach Buenos Aires (14 Stunden). Dann per Inlandsflug nach Ushuaia an der Südspitze Südamerikas (vier Stunden). Dort geht es an Bord eines Schiffs.

REISEZEIT
Die Antarktis wird von November bis Februar bereist. Die Temperaturen betragen dann zwischen minus 10 und plus 5 Grad.

VERANSTALTER
In der Saison fahren etwa 35 Schiffe. Dazu gehören der Eisbrecher „Kapitan Khlebnikov“ des US-Veranstalters Quark Expeditions, das Ex-Forschungsschiff „Plancius“ der niederländischen Reederei Oceanwide, die „Fram“ des norwegischen Seereisenveranstalters Hurtigruten sowie die „Hanseatic“ und die „Bremen“ von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten aus Hamburg.

Eine Nacht auf einem solchen Schiff kostet ab etwa 400 Euro pro Person in der Doppelkabine. Die Reisen dauern meist 13 bis 22 Tage.

Etwas günstiger: Auf der „Clipper Adventure“ (drei Sterne, 122 Passagiere) kostet das 15-tägige Komplettpaket mit Flug ab Deutschland ab 5150 Euro (gefunden bei www.ehoi.de, Telefon: 08 00 / 809 05 00; Veranstalter: Ikarus Tours).

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