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Dänemark: Auf Schatzsuche

Die dänische Nordseeinsel Fanø birgt nicht nur viel Geschichte. Urlauber haben auch reichlich Platz.

Sturm ist sein Geschäft. Immer wenn ein Orkan über die dänische Nordseeküste tobt und meterhohe Wellen an den Strand peitscht, wenn die Nachbarn in dem kleinen Inseldörfchen Sønderho auf Fanø lieber die Fenster und Türen ihrer Häuser fest gegen die Sturmböen verriegeln, dann schnappt sich Jens Peter Jensen seinen Anorak, schlüpft in die Gummistiefel und stapft los. Jensen weiß genau, wo die Schätze zu finden sind, die das Meer an stürmischen Tagen ans Ufer spült. Sie schwimmen zwischen Algen und Tang oder versteckt in abgerissenen Knäueln aus Seegras. „Kein Urlauber würde sie dort finden“, sagt er, „man muss genau die Stellen kennen, wo sie angeschwemmt werden. Und man muss das richtige Auge haben, um sie zu entdecken.“

Jens Peter Jensen hat es. Seit mehr als zwanzig Jahren geht er regelmäßig auf die Suche nach dem „fossilen Gold“ der Nord- und Ostsee – dem Bernstein. Und stolz präsentiert er in seiner Werkstatt die manchmal faustgroßen Brocken, die er nach den Stürmen im vergangenen Frühjahr aus dem Wasser gezogen hat und die er jetzt, wenn die Sommerurlauber auf die kleine Nordseeinsel vor der jütländschen Küste kommen, zu schimmernden Schmuckstücken verarbeitet – zu Ringen, Ketten und Armbändern.

Fanø, 56 Quadratkilometer groß und mit rund 3200 Einwohnern, ist die nördlichste Insel der friesischen Inselkette, die von Holland bis nach Dänemark reicht. Wie ein Schutzschild gegen die Brandung des Meeres, so liegt sie vor der Einfahrt zur dänischen Hafenstadt Esbjerg. Noch führt keine Brücke über den Sund, der hier kaum breiter ist als zwei Kilometer. Wer nach Fanø übersetzen will, muss eine der kleinen Autofähren nehmen, die im Zehn-Minuten-Takt zwischen Esbjerg und Nordby pendeln, Fanøs Haupt- und Hafenort. Aber das kann lange Wartezeiten kosten. Denn an den Wochenenden der Ferienzeit drängen sich am Esbjerger Fähranleger Autos und Campingwagen – viele von ihnen aus Deutschland.

Jens Peter Jensen hat sich über die Beliebtheit seiner Heimatinsel so seine Gedanken gemacht. Vermutlich, so glaubt der Bernsteinschleifer, kommen die meisten deutschen Urlauber deswegen so gerne nach Fanø, weil die Nordseeinseln Sylt, Amrum oder Föhr in den Sommermonaten hoffnungslos überlaufen sind. Und weil die Deutschen mit ihren Autos auf Fanø gleich bis ans Wasser fahren können – direkt bis vor die weißen Gischtlinien, mit denen die Wellen an den kilometerlangen Strand rollen. Manchmal sehe der Uferstreifen aus wie ein riesiger Parkplatz, sagt Jensen. Und man weiß nicht so recht, ob er diesen Zustand akzeptiert oder eher missbilligt: „Gewiss, mit Umweltschutz hat das wenig zu tun. Aber mir ist das, ehrlich gesagt, lieber, als wenn die Autos in den Dünen oder im Dorf parken würden.“

Da mag der Bernsteinmann vielleicht recht haben. Denn Sønderho, ganz an der Südspitze der Insel gelegen, ist sicher eines der schönsten Dörfer der ganzen Nordseeküste. Die reinste Bilderbuch idylle: Kleine Giebelhäuser ducken sich unter tief ausladende Reetdächer, alle gepflegt und farbenfroh nach guter Dänenart, mit weißen Sprossenfenstern und kunstvoll geschnitzten Türen. Sie erzählen vom einstigen Reichtum der Insel: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts herrschten Fanøs Reeder und Segelschiff-Kapitäne über die größte Handelsflotte des dänischen Königreiches. Hunderte sogenannter Windjammer gehörten zu ihrer Armada, viele von ihnen so groß und stattlich, dass sie ihren dänischen Heimathafen auf der Insel nie anlaufen konnten, sondern wegen des Tiefgangs immer in Hamburg oder Kopenhagen vor Anker gehen mussten.

Die Erfindung der Dampfschiffe nahm Fanøs Seefahrern den Wind aus den Segeln. Geblieben vom Glanz vergangener Zeiten sind nur die prächtigen Kapitänshäuser, die schmucken Galionsfiguren in den Gärten, die unzähligen Schiffsmodelle in der Seefahrerkirche von Sønderho und die Grabsteine auf dem kleinen Inselfriedhof, auf denen Inschriften und Bildreliefs aus jener Zeit berichten, als der Walfang und der Handel mit Tran noch ein gefährliches Abenteuer war, gewinnbringend aber für alle, die es lebend überstanden – wie für den „gottesfürchtigen Kommandeur Laust Mikkelsen“, der, wie die Inschrift auf dem Grabstein erzählt, so wohlhabend nach Fanø zurückkehrte, dass er es sich leisten konnte, nacheinander sechs Frauen zu ehelichen, mit denen er einundzwanzig Kinder zeugte.

Für seine deutschen Feriengäste spielt Jens Peter Jensen auch gern einmal den Inselführer – natürlich nur, wenn die Wetterlage keine neue „Anlandung“ von Bernstein erwarten lässt. Sønderho und Nordby seien vom Ortsbild bis heute reine Seefahrerdörfer geblieben, sagt er, obwohl von der einstigen Seefahrertradition nicht mehr viel zu spüren sei. Denn die meisten Fanniker, wie sich die Insulaner selber nennen, arbeiten inzwischen auf dem Festland – auf den Esbjerger Schiffswerften oder im Hafenamt, als Beamte und Bankangestellte, als Handwerker und Kaufleute. Jeden Tag nehmen sie die Fährfahrt zum Festland in Kauf - im Winter ebenso wie zur sommerlichen Hauptferienzeit. Und das sei gut so, meint Jensen. Denn glücklicherweise habe es der Tourismus bislang nicht vermocht, das Leben auf der Insel groß zu verändern – trotz der vielen Besucher, die Fanø in jedem Sommer zu verkraften hat. Noch gibt es keine riesigen Hotels, noch immer haben Baulöwen und Grundstücksspekulanten auf der Insel nicht Fuß fassen können. Wer zum Sommerurlaub auf die Nordseeinsel reist, wird sich ein Ferienhaus mieten. Die gibt es zahlreich wie Sand am Meer, die meisten von ihnen liegen versteckt zwischen Heideflächen und Kiefernwäldern, zwischen Dünen und Watt.

„Jedes Ferienhaus ist hier wie eine Insel auf der Insel“, sagt auch Fanøs Bürgermeister Erik Nørreby. „Zwischen Nordby und Sønderho liegen sechzehn Kilometer unberührte Natur – Platz genug für alle. Diese unermessliche Weite zwischen dem breiten Strand im Westen und dem Watt im Osten, dazu das klare Licht und die gute Nordseeluft – das sind die Gründe, warum viele Urlauber seit vielen Jahren immer wiederkommen.“

Ob das noch lange so bleibt? Immer zahlreicher werden die Stimmen, die eine Brücke zum Festland befürworten – vor allem unter den jungen Leuten der Insel. „Besonders im Winter ist es hier schon verdammt einsam und langweilig“, sagt der junge Mann, der am Anleger von Nordby den Fährverkehr Richtung Esbjerg regelt. Wie zum Greifen nahe liegt die Stadt auf der anderen Seite des Wassers. Wäre es denn schwierig, eine Brücke zu bauen? Der junge Mann zuckt die Schultern: „Nein, sicher nicht. Aber auf Rømø, unserer Nachbarinsel, haben sie vor Jahren einen Damm zum Festland gebaut. Seitdem ist es dort mit der Ruhe vorbei – nur noch Rummel und Remmidemmi. Das wollen wir auch nicht.“

Martin Dziersk

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