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Schmökern im Gewölbe – die einzigartige Buchhandlung Slexyz Dominicanen. Foto: laif

© Hillen/Hollandse Hoogte/laif

Reise: Die Messe ist gelesen

Maastricht hat zu viele Kirchen. Einige dienen nun weltlichen Zwecken, etwa einem Buchladen

Diese Werbung lügt nicht: „Boeken in een hemelse ambience“ (Bücher in himmlischer Umgebung) steht am Gotteshaus. Drinnen hat Ton Harmes seine Regale mit Lesestoff bestückt. Der Buchhändler wollte etwas Besonderes: Nach jahrelangem Suchen hatte der Niederländer 1000 Quadratmeter bezahlbare Verkaufsfläche gefunden, eine Seltenheit in der gut erhaltenen, mittelalterlichen Festungsstadt Maastricht. Die einzig preiswerte Möglichkeit war, in leerstehende Kirchen zu ziehen und diese umzubauen. In einem der ältesten Gotteshäuser der Niederlande führt er seit vier Jahren das Selexyz Dominicanen – der Laden einer Buchhandelskette, der laut Umfrage der englischen Zeitung „The Guardian“ zu den schönsten der Welt gehört.

Der gebürtige Maastrichter bedauert, dass seine Heimatstadt touristisch gesehen ein Schattendasein hinter anderen niederländischen Städten führt. Zu Unrecht findet er, denn es ist nicht nur dieses entspannte, beinahe südländische Lebensgefühl, das er so mag, sondern es ist auch der Mut der Stadtväter, Ungewöhnliches auszuprobieren. Welcher Ort traut sich schon, dutzende Kirchen, Kathedralen und Basiliken, die ungenutzt vor sich hindämmern, konsequent einer neuen Bestimmung zuzuführen? Maastricht besitzt mit 53 Kirchen einfach viel zu viele Gotteshäuser, schließlich hat die Stadt „nur“ 120 000 Einwohner.

Das Selexyz Dominicanen gehört zu den spektakulären Vorreitern der neuen Kirchennutzer. Aber auch die Universität Maastricht samt Bibliothek, Auditorien und Verwaltungsgebäuden, das Naturhistorische Museum oder das prunkvolle Theatercafé La Bonbonnière, sie alle zogen in ehemalige Gotteshäuser.

Die Maastrichter sind froh über den Erhalt der Dominikanerkirche. Nicht nur, weil das Selexyz Dominicanen der Stadt eine zusätzliche Touristenattraktion beschert hat, sondern auch, weil sie das Haus lieben. Fast jeder Einwohner verbindet mit der alten Kirche persönliche Erinnerungen, hatte sie doch einiges zu bieten – war mal Pferdestall und Boxring, Fahrradgarage und Ausstellungshalle für Reptilien. Sie wurde genutzt als Veranstaltungsort für Weihnachtsmarkt, Haschischpartys und Kinderkarneval.

Ehemals „fromme Häuser“ können sehr gewinnbringend sein – diese Erfahrung machte der Limburger Hotelier Camille Oostwegel. Sein Kruisherenhotel befindet sich in einem ehemaligen Kloster (Kreuzherrenkloster). Während viele umfunktionierte sakrale Gebäude kaum mehr als ihre Fassade in die ungewöhnliche Nutzung retten konnten, versuchte Oostwegel ein Designhotel zu entwickeln, das eine besondere Symbiose von Altem und Neuem eingeht.

Der Hotelier wollte das kulturelle Erbe seiner Heimatregion vor dem Verfall bewahren und schuf Überraschendes im historischen Ambiente. So etwa einen „heiligen“ Eingang mit kupferfarbener Pforte, den spirituellen Hof mit spiegelnder Wassersäule, vor allem aber eine eindrucksvolle Lichtinstallation: Große Lampen, Untertassen gleich, „segeln“ durch das Gewölbe, mal in Lila, in Hellgrün oder in Gelb, fließen sie als Farbbogen durch den Raum. Das Kunstwerk des Lichtdesigners Ingo Maurer gibt dem Hotel einen märchenhaften, fast mystischen Schein.

Camille Oostwegel wollte durch die besondere Architektur und Stimmung Gewohnheiten brechen und eine veränderte, ästhetische Spannung erzeugen. Dafür ließ er im einstigen Kirchenschiff einen modernen Aufzug bauen, der eine dynamische Bewegung in den Innenraum bringen soll. Mit ihm kann man bis hoch hinauf in die heilige Halle fahren und durch die obersten Luken der sakralen Fenster schauen: „In welcher Kirche ist das möglich, solch einen Ausblick von höchster Höhe zu genießen und in einem Gewölbe nicht nur hinauf, sondern auch von oben hinab zu sehen?“, fragt er stolz.

Wo bis zum 18. Jahrhundert Mönche beteten, Kranke pflegten und Bücher in mühevollster Kleinarbeit kopierten, wo später Napoleons Truppen Waffen und Munition lagerten, kommt der erfolgreiche Unternehmer mit seinem Fünf- Sterne-Hotel nun dem eigentlichen Ursprung eines Klosters wieder näher: Die Besucher können Ruhe finden, meditieren – und auf Erleuchtung hoffen. Oder zumindest doch auf eine tiefe Entspannung und Abstand zum Alltag.

Die starke Anziehungskraft der Kirchen, auch jener, die „verweltlicht“ wurden, geht für Alfons Maria Kurris nicht verloren. Er ist seit zehn Jahren Pfarrer der Onze Lieve Vrouwenbasiliek (Liebfrauenbasilika) und behauptet: „Es bleibt in diesen Häusern doch dieses Gefühl, ganz und gar mit sich selbst verknüpft zu sein.“ Er besucht regelmäßig sowohl den Buchladen Selexyz Dominicanen als auch das Kruisherenhotel. Doch der Onze Lieve Vrouwenbasiliek vorzustehen, darauf ist er richtig stolz. Denn sie ist nicht nur die beliebteste Kirche Maastrichts, sondern wohl auch die schönste romanische Kirche der Niederlande und eine der Hauptstationen auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.

Der Eingang der Kirche ist sein Kraftort, wie ihn Alfons Kurris nennt. Dort steht die blau schimmernde Marienstatue mit dem schönen Namen „Stern der Meere“, davor flackern unzählige Kerzen. Sie ist die Attraktion – und für Gläubige ein Zeichen dafür, dass hier die Jungfrau Maria erschien. Für die Touristen ist die Figur pure Kunst und ein Höhepunkt ihrer Stadttour.

Jedes Jahr, am Ostermontag, wird die Skulptur durch die Stadt Maastricht getragen, gefolgt von mehr als 20 000 Pilgern. „Schon um diesen wunderbaren Feiertag noch so oft wie möglich erleben zu können, schon allein deshalb möchte ich Hundert werden!“, sagt der 75-Jährige zufrieden.

Die Maastrichter haben sich an die umgebauten Basiliken, Kapellen, Kathedralen gewöhnt, kaum keiner stört sich daran. Nur in der ehrwürdigen D'n Awwe Stiene, der barocken Augustinerkirche, gab es einige Aufregung. Dass dort Discos und Partys stattfanden, war zwar beschlossene Sache, nur hatte man nicht bedacht, dass dröhnende Bässe das uralte Fundament des Gebäudes angreifen und zum Bröckeln bringen könnten. Nun wird der Nachtschuppen zur Tageseinrichtung für Kinder, Spielplatz inklusive. Man geht offenbar davon aus, dass das fröhliche, helle Gekreisch der Kleinen dem vierhundertjährigen Gemäuer irgendwie besser bekommt.

Birgit Weidt

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