zum Hauptinhalt

Reise: Einen Pastis zum Wellengeplätscher

An der Côte d’Azur entwickelte der Erfinder des Anisschnapses zwei Inseln zu autofreien Refugien.

Dominique Jacomino pendelt zwischen den Welten. Jeden Tag steuert der Fährmann ein Dutzend Mal von der quirligen Côte d’Azur auf Bendor zu. Das Inselchen ist ein Park im Meer – knapp sieben Fußballfelder groß, bewachsen mit Palmen und Oleander, umrahmt von einer felsigen Küste. Sein Hafen zählt zu den kleinsten im Mittelmeer.

Dort muss Jacomino genau manövrieren. Die Fähre passt gerade so zwischen die Kaimauern. Nach der Einpark-Akrobatik fährt er die Rampe hinunter, die Passagiere verlassen das Schiff. „Diese Insel ist wie Alcatraz“, schwärmt der Fährmann und zieht an seiner Zigarette, „einen Katzensprung vom Festland entfernt, aber doch so abgeschieden.“

Hinter mannshohen Bougainvilleenbüschen versteckt sich jedoch kein Gefängnis, sondern die Villa der Familie Ricard. In Frankreich kennt jeder diesen Namen. Der 1997 verstorbene Paul Ricard erfand in den 1930er Jahren das Rezept für das Nationalgetränk der Franzosen, den Pastis. Inzwischen ist der Anisschnaps Kult. Der sogenannte Pastiskönig war nicht nur überaus erfolgreich und beliebt, sondern auch ein leidenschaftlicher Maler und Naturfan. In den 1950er Jahren kaufte er die Zwerginseln Bendor und Île des Embiez, südöstlich von Toulon und entwickelte sie zu autofreien Naturrefugien. Anfangs war der einzige Bewohner auf Bendor ein Schaf, die einzigen Besucher Sonne und Wind. Heute reisen jede Menge Tagesausflügler an. Sie spazieren in 20 Minuten um die Insel, vorbei an einer Tauchschule, einem kleinen Sandstrand und dem Wein- und Spirituosenmuseum, sie gehen den Hügel hinauf zum Skulpturenpark und besichtigen das Kunstmuseum mit Malerei- und Fotoausstellungen.

Irgendwann stehen sie mitten auf dem Helikopterlandeplatz. Er ist ein Relikt aus den 1960ern, als die Bar des Voûtes beliebte Partylocation für französische Künstler und Filmstars wie Jean Paul Belmondo, Fernandel oder Louis de Funés war. Heute hat die Insel ihre Ruhe zurück. Besonders romantisch ist es am Abend, wenn die Möwen den Tag verabschieden und die untergehende Sonne die Felsen orange-rot färbt. Dann ist es Zeit für einen Pastis auf der Terrasse des einzigen Hotels direkt am Meer. Wenn der Anisduft die Nase betört, die Wellen leise gegen die Küste plätschern und auf dem Festland nach und nach die Lichter angehen, fühlt man sich plötzlich wie auf einem anderen Kontinent.

Laurent Martinez mag keinen Pastis. „Psst“, flüstert er und legt den Zeigefinger auf die Lippen, „das darf ich hier nicht laut sagen.“ Dabei schmunzelt er und zwinkert mit den Augen. Seine Liebe gehört dem Wein. Er ist Kellermeister auf der Île des Embiez, zwölf Kilometer östlich von Bendor. Der humorvolle Mann mit lockigem Haar hat soeben Most in die Tanks gefüllt „Dieser hat das Aroma von Johannisbeeren“, sagt er und reicht den Besuchern einen Schluck im Becher.

Seit 1901 wird auf der Insel Wein angebaut. Das ist gar nicht so einfach, besonders wenn der Mistral über das Eiland faucht und an den Reben zerrt, als wolle er ihnen alle Trauben auf einmal entreißen. Dennoch werden jedes Jahr rund 40 000 Flaschen Rosé-, Rot- und Weißwein hergestellt. Die meisten Liter werden im Juli und August getrunken – auf Konzerten und Festen, bei Segel- und Petanque-Wettbewerben.

Embiez ist die größte von fünf Inseln vor dem Städtchen Six-Fours-les-Plage, aber mit 95 Hektar immer noch kleiner als Helgoland. Ein Naturlehrpfad führt über die mit Ginster und windschiefen Aleppokiefern bewachsenen Hügel. In Jahrtausenden hat das Meer kleine Badebuchten ins Land genagt, die keinen Platz lassen für Liegestühle, Sonnenschirme, Imbissbuden oder Schmuckverkäufer.

Bis 1934 wurde hier Meersalz gewonnen. Ein Touristenbähnchen rollt an ehemaligen Salzgärten vorbei, schnauft weiter den Asphaltweg hinauf. Am äußersten Zipfel steht ein Wachturm, den die Franzosen im 8. Jahrhundert zum Schutz vor der Invasion der Sarazenen errichteten. Nun halten nur noch ein paar zahme Ziegen die Stellung. Sie genießen den Blick auf die Nachbarinsel Rouveau, die mit ihrem eckigen Leuchtturm kokettiert. Betreten dürfen Touristen sie allerdings nicht, denn dort nisten seltene Vögel.

Wie Ornithologen so sind auch Meereskundler regelmäßig auf Embiez unterwegs. Im Institut Océanographique erforschen sie Seeigel und Seepferdchen.

Umweltschutz war Paul Ricard stets wichtig. Heute managt Enkelsohn Francois-Xavier Diaz die Mini-Welten im Sinne des Großvaters: Es rollen nur Fahrräder und Elektroautos umher. Der Müll wird auf dem Festland entsorgt. Als Ergebnis bekam Embiez 2010 das Umweltsiegel „Pavillon bleu“. Der Hafen trägt zusätzlich ein Ökosiegel, das ihn als besonders umweltfreundlich auszeichnet.

Hier hat es Jacominos Kollege mit dem Einparken leichter: Der Hafen ist so groß, dass 750 passable Segelboote hier Platz finden können. Wäre nicht eine Brücke zum Festland bequemer? „Natürlich wünsche ich mir das manchmal“, sagt Monsieur Diaz, „es würde alles schneller gehen. Aber dann wären die Inseln nicht mehr so magisch.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false