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Türkei: Der Sieg der Schlange

Die türkische Südküste steckt voller Legenden und antiker Schätze. Dennoch wirkt Kilikien touristisch oft unberührt.

Anfangs zögert der Bayer. Doch schnell gehört seine volle Aufmerksamkeit ihrer schwindelerregenden Schönheit. Schließlich verfügt die Besuchte über imposante Maße und lässt tief blicken. „So also sieht die Hölle aus“, staunt der Katholik am Abgrund. Die Korykischen Grotten sind nur eine von vielen Attraktionen im Südosten der Türkei, die künftig mehr Touristen anziehen sollen. Die Sehenswürdikeit aus Karbonatgestein ist 128 Meter tief, der Durchmesser der kupferroten, schwarz gesprenkelten Felsgrotte beträgt 50 Meter. „Paradiesisch“, findet der graumelierte Mann aus Bad Wörishofen den monumentalen Anblick.

Tourleiter Davut Oguzcan erklärt seiner staunenden Reisegruppe, dass das Phänomen einem unterirdischen Fluss zu verdanken sei, der vor Jahrmillionen ein Höhlensystem bildete und dessen Decke einstürzte. Er berichtet von der Geburt der Göttin Aphrodite an Zyperns Gestaden, deren Geschichte hier an der kilikischen Küste begann. Die Touristen hören gebannt von der Zeugung der aus Schaum Geborenen und schlürfen dabei ihren kalt aufgeschäumten Joghurt-Drink. Die 290 Stufen in die Tiefe zu steigen, wo das Rauschen des unterirdischen Flusses zu hören ist, wagen sie nicht.

„Die Zeit drängt“, mahnt Reiseführer Davut, Kilikien besitzt schließlich mehr als 200 antike Stätten, die besichtigt werden können. Die Küstenregion am Mittelmeer zwischen Anamur und Antakya ist so etwas wie touristisches Neuland. Im kommenden Herbst wird der Ausbau des seit Mai auch von deutschen Fliegern frequentierten Flughafens Hatay abgeschlossen sein.

Reiseführer Davut scheut sich nicht, seinen Finger in so manche touristische Wunde zu legen. Etwa bei den Bausünden der Region, auch in Antakya. Das antike Antiochia ist die Provinzhauptstadt von Hatay. Ausnahmslos gesichtslose Neubauten säumen den Fluss Orontes. Im Betonkanal durchzieht eine braune Flussbrühe den marode wirkenden Ort. Für den enttäuschenden ersten Eindruck entschädigt das Archäologische Museum: Jahrtausendealte Mosaike, Sarkophage und Amphoren ziehen Kulturinteressierte in ihren Bann. Davut berichtet seiner Gruppe über die Hethiter, die die Ägypter mit neuartigen Streitwagen in Schach hielten, vom Makedonier Alexander dem Großen, der die Perser im nördlich gelegenen Issos bei der „Keilerei von 333“ in die Flucht schlug. Militante Römer und herrschsüchtige Osmanen folgten.

Osmanisch geprägt ist auch der historische Stadtkern Antakyas. Dass dieser Winkel Kleinasiens seit vielen Jahrzehnten von der türkischen Regierung in Ankara vernachlässigt wird, sieht man auch den Gebäuden in den engen Altstadtgassen an. Allerdings hat sich mit Aufhebung der Visapflicht zwischen Syrien und der Türkei 2009 schon einiges gebessert, denn es fließt etwas Geld. Im kleinen Grenzverkehr kommen arabische Geschäftsleute, kurdische Familien sind zu Besuch. Der Türke Selçuk Tokdemir hat sich schon bereit gemacht für die neue Zeit. Preisgekrönt ist sein Projekt Soterya („Erneuerung“), ein mehr als 100 Jahre altes herausgeputztes Haus, das der junge Mann als neuer Eigentümer bewirtschaftet. Im Innenhof bieten Selçuks Helferinnen bestickte Kissenhüllen, ungewöhnlich bedruckte Seidenschals oder reich verzierte Brettspiele an. Orangenbäume spenden Schatten, auf Holzbänken mit orientalischen Kissen können Besucher heißen Tee mit (sehr viel) Zucker genießen.

Die deutsche Reisegruppe findet es eigentlich gemütlich an diesem Ort, doch der Mann aus Bayern drängt. Er möchte endlich den „Papst der Syrer“ sehen. Selçuk, der bald in der Altstadt ein Fünf-Sterne-Hotel eröffnen will, bedankt sich höflich für den Kurzbesuch, die Gruppe lässt die Oase im Grau Antakyas zurück. Es geht den Stadtberg hinauf, zu einer der vermutlich ältesten Sakralstätten der Christenheit, einer Höhle, die angeblich seit dem 1. Jahrhundert genutzt wird. Auf dem schmalen Plateau davor sammeln sich Pilger. Besucher rasten unter Olivenbäumen. Der steile Abhang gibt das Panorama auf das verbaute Flusstal frei. „Dit is hässlich, wa ...“, entfährt es der Berlinerin aus Davuts Gruppe. „Antakya wird sicher künftig schöner werden“, entgegnet Davut.

Den Eingang zur Höhle haben die Kreuzfahrer im Mittelalter mit einem imposanten Portal aus Stein versehen, ein begehrtes Fotomotiv. Im Inneren hört derweil der Bayer die Predigt von Moran Mor Ignatius Zakka I. Iwas. Der Patriarch von Damaskus, Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche, predigt in aramäischer Sprache. Auch er und seine Glaubensbrüder sind Nutznießer der neuen türkisch-syrischen Grenzfreiheit.

Harbiye liegt an den südlichen Ausläufern des Taurusgebirges. Hier gedeihen vor allem Lorbeer-, Eukalyptus- und Eichenbäume prächtig. In einem großen Restaurant oberhalb einer bewaldeten Schlucht wartet bereits der gedeckte Tisch für Davuts Reisegruppe. Gegrillte Hähnchen, riesige frische Fladenbrote, Joghurtsoßen, üppige Salatplatten und viel Süßes mit Honig, Pistazien und feinen Nudeln werden in gemächlicher Folge serviert. Es sind vor allem Einheimische, die es sich hier schmecken lassen. Wo sie sich niederlassen, kann man ja als Tourist nichts verkehrt machen. In der idyllischen Einkaufsstraße im Ort kaufen Touristen, vornehmlich sind sie aus der Türkei und aus Syrien, Souvernirs: Tinnef aus Plastik oder Wertvolles aus Seide.

Das zarte Pflänzchen Tourismus hat sich auch in Kanlidivane bei Kizkalesi entwickelt. Eine enorme Karstdoline bildet das Zentrum dieser antiken Stadt. Auch um diesen mysteriösen Erdeinbruch, der Höhlen und unterirdische Gänge birgt, ranken sich Sagen und Geschichten. Es soll einst ein Heiligtum zur Verehrung des Zeus Olbius gewesen sein. Ringsherum liegen Paläste, die in byzantinischer Zeit in Kirchen umgewandelt wurden. Die eigentliche Stadt zieht sich dahinter am Hang entlang. Von den einstigen Wohnhäusern sind nur noch Reste erhalten, aber diverse Tempelgräber bieten noch immer ein imposantes Bild.

Und schon geht es weiter. Einige Kilometer östlich erreichen die Reisenden die antike Stadt Elaiussa-Sebaste. Vom Theater aus bietet sich ein fantastischer Blick aufs Meer, dabei gilt es antike Bäder, Tempel und Wohnhäuser zu bestaunen. „Ephesus ist nichts dagegen“, sagt Davut mit einem Seitenhieb auf die Konkurrenz an der Ägäisküste.

An der kilikischen Küste hat es das Städtchen Kizkalesi nicht nur türkischen Touristen angetan, vor allem wegen seiner etwa 200 Meter vor dem Strand im Wasser ruhenden „Mädchenburg“. Eine Legende besagt, dass einem König prophezeit wurde, seine einzige Tochter werde durch einen Schlangenbiss sterben. Deshalb baute er ein Schloss im Wasser, in dem sie geschützt leben sollte. Verborgen in einem Obstkorb fand die Schlange dann doch ihren Weg ins Wasserschloss … Verbürgt ist: Die Festung wurde 1104 vom byzantinischen Admiral Eustathios erbaut.

Auch wenn an den Ortsrändern von Kizkalesi bereits Anfänge bedrohlicher Bauwut zu erkennen sind – am Strand ist alles noch schön unorganisiert. Kizkalesi ist eine Mini-Hochburg des Tourismus, wo man neben Türken auch Deutsche, Engländer und Russen trifft. Der Badeort selbst kommt (noch) ohne Hochhäuser aus und wirkt zumal in der Nebensaison wie eine typische türkische Kleinstadt.

Einige Kilometer westlich führt Davut seine Gruppe zum Ende der Reise „durch die kilikische Schatzkammer“ zum Fischerdorf Narlikuyu, gelegen in einer kleinen Bucht. Im Restaurant gibt’s auf Holzkohle gegrillten Rotbarsch. Was bedeutet Narlikuyu? „Garten Eden“, sagt Davuk. Und meint vielleicht ganz Kilikien damit.

Robert Niedermeier

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