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Gästeführer: Lustig ins Mittelalter

Viele Anekdoten, wenig Zahlen: Was Deutschlands Gästeführer erzählen

Hexen, Schinder, arme Sünder – auf den Spuren der Hinrichtungen in Heidelberg. Sensenmann trifft Sägenmann – ein vergnüglicher Rundgang in Würzburg zu Symbolen der Vergänglichkeit. Bettler, Bürger, böse Buben – mittelalterliches Köln. Wer im Urlaub eine Stadtführung machen möchte, der kann sich mittlerweile fast überall in Deutschland von Nachtwächtern im historischen Gewand auf dem Weg durch enge Altstadtgassen in alte Zeiten zurückversetzen lassen und dabei schaurigen Geschichten lauschen. Ein Problem: Nicht immer ist das Niveau der Führungen angemessen hoch.

„Besondere Führungen sind immer stärker gefragt. Ich gehe als Kräuterweib im Kostüm durch die Stadt. Die Menschen wollen unterhalten werden. Man erzählt lustige Geschichten, Zahlen stehen nicht im Vordergrund“, sagt Greta Verduyn, Gästeführerin in Münster. Die 46-jährige gelernte Krankenschwester ist eine von bundesweit rund 9000 Stadtführern, die Touristen die Attraktionen der eigenen Stadt zeigen und sie dabei auch mit der Stadtgeschichte vertraut machen. „Wenn man die Geschichte der Wiedertäufer in Münster verstehen will, dann muss man viele Hintergründe erklären. Dabei ist ein Bezug zur Gegenwart immer gut. Da kann man zum Beispiel daran erinnern, wie heute mit Terroristen umgegangen wird“, sagt Verduyn.

Die gebürtige Belgierin führt oft Gruppen aus den Niederlanden und nimmt dabei auf deren Wünsche Rücksicht – möglichst viele Kaffeepausen und lockere Stimmung. Sie sieht sich bei ihren Rundgängen als Werbeträgerin für ihre Stadt.

Wie die meisten Gästeführer ist Greta Verduyn über ihr Interesse für Geschichte zur Stadtführerin geworden – eine Tätigkeit, die die dreifache Mutter gut mit ihren häuslichen Pflichten kombinieren kann.

„In Münster gehen Nachtwächter mit mehr als 100 Gästen durch die Stadt, spulen ihr Programm ab und können Nachfragen nicht beantworten. Dafür bekommen sie pro Teilnehmer neun Euro, während wir geprüften Gästeführer oft nur wenig Kunden haben“, klagt Stefan Brandenberg, wie Verduyn einer von 42 geprüften Gästeführern aus Münster. Das Dilemma: Gästeführer kann sich in Deutschland jeder nennen und ob die erzählten Anekdoten der Wahrheit entsprechen, überprüft niemand.

Katja Samberg aus Dresden gehört zu den etwa 1000 hauptberuflichen Gästeführern. Während ihre nebenberuflichen und ehrenamtlichen Kollegen Aufträge meist von der örtlichen Tourismusinformation bekommen, werben die Profis unter anderem im Internet für ihre Dienste. „Ich fahre auch nach Japan, um mit den dortigen Reiseveranstaltern ins Gespräch zu kommen“, sagt die ausgebildete Dolmetscherin, die englische und japanische Führungen durch Dresden anbietet.

Eine laute Stimme und umfassende lokalhistorische Kenntnisse reichen nicht. Das meint zumindest der Bundesverband der Gästeführer in Deutschland, in dem jeder zweite Gästeführer organisiert ist. Der BVGD, dessen Führer man unter www.bvgd.org findet, bietet ein 600 Stunden umfassendes Fortbildungsprogramm an. Dazu gehören auch auch Fremdsprachenkenntnisse, pädagogisches Geschick, schauspielerische Fähigkeiten und Organisationstalent.

Christian Frick vom BVGD-Vorstand sieht Nachwuchsprobleme gerade in kleinen Städten, wo oft pensionierte Studienräte und Hausfrauen den Großteil der Führer stellen. „Die Nachfrage nach Führungen wächst. Dabei müssen wir auch Entertainer sein, denn es geht um die Verquickung von Information und Unterhaltung. Die Gäste wollen nicht mit Geschichtsdaten bombardiert werden, sondern lieber erfahren, wie etwa einst eine alte Mühle funktionierte.“ Für den 34-Jährigen, der im hessischen Gelnhausen Gruppen führt, ist sein Hobby ein guter Ausgleich zum Beruf: „Ich bin Finanzbeamter und mache oft Betriebsprüfungen. Bei den Stadtführungen freuen sich meine Kunden wenigstens auf mich.“

Joachim Göres

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