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Reise: Im Schwarm der Forellen

Die oberösterreichische Traun gilt als eins der besten Reviere Europas für Flusstaucher. Das Schnorcheln ist schnell zu lernen

Auf den Holzbalkonen blühen die Geranien. Die Wiesen riechen nach Heu, und aus dem Landgasthof dringt der verführerische Duft von ofenfrischem Schweinebraten. Mitten durch diese ländliche Idylle stapft eine Gruppe von Froschmännern in bunten Neoprenanzügen. Die Taucherbrillen sind einsatzbereit über die Stirn geklemmt, die daran befestigten Schnorchel wackeln im Takt der Schritte.

Knick in der Optik? Nein, Viecht in Oberösterreich ist eine Basis fürs Süßwassertauchen und Schnorcheln. An den Anblick der Froschmänner hat man sich in dem Dorf mittlerweile gewöhnt, und man kennt die Wege dieser Besucher: Sie wollen zum Fluss Traun. Denn das oft kristallklare Wasser bietet ideale Tauchbedingungen.

Flussschnorcheln ist in Europa eine Rarität. Denn nur wenige Wasserläufe erlauben es, sich relativ ungefährlich flussabwärts treiben zu lassen und gleichzeitig, bei häufig guten Sichtverhältnissen, zahlreiche Fische in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Darunter etwa quirlige Regenbogenforellen oder Saiblinge, den vom Aussterben bedrohten Huchen oder kapitale Hechte von mehr als einem Meter Länge. Außerdem sind in der Traun überflutete Wehranlagen aus dem 16. Jahrhundert zu bestaunen.

Die Möglichkeit, an Flussschnorcheltouren teilzunehmen, dürfte in Europa ziemlich einzigartig sein. „Mir ist zumindest kein anderer Fluss bekannt“, sagt Franz Pramendorfer. Der Österreicher gilt als der Entdecker und Förderer der Traun als Schnorcheldorado. Er hat das Flussschnorcheln „Scuben“ getauft – ein Kunstbegriff. Nicht zu verwechseln mit Scuba-Diving, mit dem das Sport- oder Gerätetauchen bezeichnet wird.

Auch ohne schweres Gerät kann man sich den Touren von Pramendorfer anschließen. Die Ausrüstung wird gestellt. Vorkenntnisse sind nicht nötig, das Scuben ist auch für Familien mit Kindern möglich.

Das mühsame Überstreifen der Neoprenanzüge, die so fest wie eine zweite Haut sitzen sollen, bereitet so manchem Schnorchelnovizen echte Probleme. Pramendorfer – ein Original mit reichlich österreichischem Schmäh in der kräftigen Stimme – weiß den richtigen Tipp: „Ha geh, hearst, mach halt den Reißverschluss auf, dann kommst scho rein!“ Bevor die Gruppen ins Wasser gelassen werden, erhalten die Teilnehmer einen Schnorchelkurs. Nicht wenige der Gäste hatten noch nie Flossen an den Füssen, geschweige denn einen Schnorchel im Mund.

In einem ruhigen Abschnitt der Traun prüft Pramendorfer den Sitz der Ausrüstung und gibt wichtige Anweisungen – etwa über das Atmen im Wasser, die Fußbewegungen mit den Flossen sowie für den richtigen Durchblick mit der Taucherbrille: Reinspucken, Spucke fest verreiben, anschließend mit Wasser ausspülen. „Es gibt zwar auch Antibeschlagspray“, grummelt Pramendorfer, „doch des is eher für die, die zu deppert zum Spucken san.“

Aufgrund des Wasserstands entscheidet sich der Leiter für Tour Nummer zwei – eine von insgesamt fünf im Angebot. Vier Kilometer Flusslauf liegen vor den Schnorchlern. „Bei der heutigen Fließgeschwindigkeit werden wir zirka eine Stunde im Wasser sein“, prophezeit der Oberfroschmann. Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen wir die Einstiegsstelle. Man hört den nahen Traunfall, einen beeindruckenden Wasserfall, donnern.

Zwanzig Grad Wassertemperatur – für einen Strom, der seinen Ursprung im Gebirge, genauer im steirischen Salzkammergut hat, nicht unbedingt kalt. Grund ist der nahe Traunsee, durch den die Traun fließt. Nur das von der Sonne erwärmte Oberflächenwasser gelangt auf die Weiterreise. Die Temperatur ist allerdings erfrischend genug für ein Bad, denn unter den Neoprenanzügen beginnt sich die Körperwärme im Handumdrehen zu stauen.

Die Stromschnelle, die direkt hinter der Einstiegsstelle liegt, flößt einigen Teilnehmern Respekt ein. Nur zögerlich stürzt sich die Gruppe in die Fluten. „Oarschbacken z’samkneifen und rein mit euch!“, befiehlt Pramendorfer. Nachdem alle im Fluss sind, ist alles im Fluss: Wie an einer Schnur gezogen treiben wir die Traun hinab. „Immer in meiner Spur bleiben“, ruft Pramendorfer.

Nicht etwa, weil er sich in der Rolle als Alphafisch gefällt, sondern weil er mit seinem geschulten Blick die jeweils beste Route auswählt – je nach Strömung und Wasserstand. Der kann sich binnen eines halben Tages drastisch ändern. Seit zwanzig Jahren steigt Pramendorfer in die Traun und kennt daher praktisch jeden Felsen. Und beinahe jeden Fisch. Zumindest die Prachtexemplare: Pramendorfer weiß, wo die dicksten Fische sind.

An manchen Stellen lässt er uns über die Felsblöcke flutschen. Nur wenige Zentimeter trennen unsere Körper von den Steinen. Doch Pramendorfer schwört, es sei noch nie jemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Denn wegen der dicken Neoprenanzüge bleibt der Wassersportler immer obenauf – das Material sorgt für Auftrieb im Wasser und somit für genügend Sicherheitsabstand zu den Felsen.

Plötzlich stellt Pramendorfer die Flossen quer und schreit: „Riesenhecht! Riesenhecht!“ In der Tat, unter uns, in etwa zwei Meter Tiefe, dümpelt ein kapitaler, breitschultriger Hecht im Wasser und lässt sich von den unbekannten Flussobjekten nicht weiter stören.

„Der hat bestimmt einen Meter zehn“, schätzt ein Teilnehmer. Die Sicht auf den Fisch ist bestens. Zwar ist der Himmel bewölkt, doch seit Tagen hat es nicht geregnet. Niederschläge können, selbst wenn sie 48 Stunden zurückliegen, den Blick im Wasser stark trüben. Schuld sind aufgewühlte Schwebteilchen.

Nachdem sich der Hecht geduldig bestaunen ließ, werden wir von Barben besucht. „Riesenschwarm! Riesenschwarm!“, trompetet Pramendorfer dieses Mal. Weil die Barben zu den eher langsam schwimmenden Arten gehören, bleibt auch jetzt viel Zeit, das Naturschauspiel zu genießen. Zwischen 200 und 300 Tiere dürften es sein. Die Traun gilt heute als fischreich. Das war nicht immer so: 1989 war der Fluss so gut wie tot. Doch der Bau eines Klärwerks führte zur Wiederbelebung des Gewässers.

Im unteren Drittel wird’s noch mal richtig entspannend: Das Flussbett wird flach und breit. In diesen Untiefen fließt das Wasser zwar recht zügig, doch weil hier keine großen Felsblöcke im Wasser liegen, werden die Schnorchler nicht mehr durcheinandergewirbelt. „Kopf unter Wasser, Arme nach vorn und einfach gleiten lassen“, empfiehlt Pramendorfer. Ein berauschendes Gefühl, fast wie fliegen.

Kurz vorm Ende der Tour gibt es dann noch etwas Geschichtsunterricht. Jahrhundertealte Wehranlagen stehen etwa einen Meter fünfzig unter der Wasseroberfläche. Die Balken sind noch deutlich erkennbar. „Durch diese Wehre wurde die Traun früher schiffbar gemacht“, erklärt Pramendorfer. Das Umleiten des Wassers führte dazu, dass der Strom an den entscheidenden Stellen immer genügend Wasser führte. Salz, das im Salzkammergut abgebaut wurde, wurde so von Hallstadt aus auf Schiffen über die Traun, die in die Donau fließt, bis ans Schwarze Meer befördert.

Anekdote am Rande: An den Zielorten, etwa in Budapest, wurden die Schiffe zerlegt und das Holz wiederverwertet. Etwa für Dachbalken. Weil das Geschäft mit dem damals sehr kostbaren Salz florierte und immer mehr Schiffe für den Transport gebaut wurden, verfügte der jagdbesessene Adel, dass die Schiffe die gesamte Strecke von Pferden zurückgezogen werden mussten. Denn durch den Holzschlag wurden die Wälder lichter, das Jagdwild wanderte ab. Über die einstigen Treidelpfade freuen sich heute die Touristiker: Links und rechts von Donau und Traun finden Spaziergänger und Radfahrer ein ideales Terrain vor.

Am Ende der Tour hat uns die Schwerkraft wieder. Der Abschied aus dem Wasser fällt nicht allen leicht. „Ich könnte mich ewig so treiben lassen“, sagt ein Teilnehmer. Was für Pramendorfer nach 16 Jahren Schnorcheltouren das Faszinierendste sei? „Die Schwerelosigkeit“, sagt der 115-Kilo-Mann lachend, „im Wasser ist für mich besser als auf dem Land.“

Martin Cyris

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